Ernst Klagenfurt, 06. Februar 2010

zu Der neue kalte Krieg von Stefan Weidner

NICHT DIE ISLAMDEBATTE, DIE DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG IST DAS PROBLEM:

Zunächst möchte ich die grundlegende Richtigkeit der Perspektive Stefan Weidners hervorheben: nicht um "den Islam" geht es der Islamdebatte, sondern um die Befindlichkeiten der Mehrheitsgesellschaft in Anbetracht dessen, was Weidner als "Transformation" bezeichnet, eine Transformation im Übrigen, die das substantielle Selbstverständnis Europas und mithin die Frage der Konnotation von Freiheit betrifft. Gerade deswegen ist es aber weniger ratsam, unsere Gesellschaft moralisch positivierend als "aufgeklärt" zu ezeichnen. Vielmehr ist es die idealistisch verbrämte Seite materieller Prozesse, das heißt die Logik der Dialektik der Aufklärung, die "das Andere" in Gestalt "des Islams" haftbar machen möchte für allgemeine reaktionäre und politische Entwicklungen. Wie kann G. Vogel-Sedelmeyer, ob Doktor oder nicht, da von "heißer Luft" sprechen, wenn die Wirklichkeit eines globalen Krieges, wie sie tagtäglich über die Medien - weniger wohlfeil als an der Quote und damit am "Terrorismus" orientiert - in die Wohnzimmer geliefert wird? Wenn die Materialität des Völkerrechts zunehmend nur noch einseitig "westlich" bestimmt wird? Wenn bereits das Ergebnis des "humanitären" Embargos gegen den Irak zwischen 1991 und 3003 den Tod von 1,5 Millionen Irakern bedeutete? (vgl. Hans Sponeck, Der andere Krieg) Wenn das "heiße Luft" sein soll, zeigt sich: Stefan Weidners Metapher des "kalten Krieges" ist zumindest unglücklich gewählt. Es wäre wichtig - gleichwohl wie eine Debatte über die politischen Gründe von Völkerrechtsvergehen in sog. "islamischen" Ländern unbedingt vermittelt über die globale Relation materieller Interessen und die Materialität des Völkerrechts zu führen ist - endlich dahinzukommen, die Debatte über den islamfeindlichen Diskurs rechtssoziologisch fundiert zu führen. Was bedeutet es, wenn eine bestimmte kulturelle und religiöse Entität ("der Islam") zunehmend als Objekt der Mehrheitsgesellschaft, als Objekt der bürgerlichen Rechtssubjekte, als Objekt eines politisch bedingt substantialisierten "Feindstrafrechts" (Otto Depenheuer) bestimmt wird? Ist damit prinzipiell nicht ontologisch die gleiche Ebene beschritten, die dem Antisemitismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so zuträglich war?