Solarenergie als Chance

Der Krieg in der Ukraine könnte den Energiemarkt im Nahen Osten und Nordafrika verändern - und zwar zugunsten der Solarenergie. Noch bleibt die Region weit unter ihren Möglichkeiten. Doch einige Länder gehen voran. Von Kersten Knipp und Cathrin Schaer

Von Cathrin Schaer & Kersten Knipp

Der Krieg in der Ukraine legt für viele Politiker in Deutschland und der Europäischen Union eine Schlussfolgerung nahe: Westliche Staaten müssen sich möglichst rasch von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland befreien. Deshalb sollen Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien künftig eine noch größere Rolle spielen als bislang.

So rücken auch die Länder im Nahen Osten und Nordafrika in den Blick. Die Region gehört zu den sonnenreichsten Gegenden der Erde und bietet sich als potentieller Energielieferant auch für Europa an.

Noch allerdings sind die Länder der Region weit entfernt von den inzwischen in Europa erreichten Erzeugungskapazitäten. Zum Vergleich: Während im Jahr 2020 in der EU rund 810 Kilowattstunden Solarstrom pro Person erzeugt wurden, kamen Marokko und Saudi-Arabien im selben Jahr nur auf 106 beziehungsweise 74 Kilowattstunden. Beide Länder gehören im Nahen Osten und in Nordafrika zu den Spitzenreitern bei der Produktion von Solarenergie.

Missmanagement im Libanon

Andere Länder der Region nutzen Solarenergie trotz zahlreicher Sonnenstunden im Jahr bislang noch erstaunlich wenig. Verantwortlich dafür sind oftmals schlechte Staatsführung, Korruption und Geldmangel. So etwa im Libanon: In dem seit Jahren unter einer schweren finanziellen und politischen Krise leidenden Land gelten die Staatsunternehmen als wesentliche Treiber vieler Probleme - auch der Mängel im Energiesektor. Nahezu täglich haben die Libanesen mit mehrstündigen Stromausfällen zu kämpfen. "Der libanesische Elektrizitätssektor und insbesondere EDL (Electricité du Liban, ein staatliches Versorgungsunternehmen, Anm. d. Red.) werden seit langem als Hauptverantwortliche für die Wirtschafts- und Finanzkrise des Landes genannt", heißt es in einer Studie der American University of Beirut, veröffentlicht im September 2021.

Libanon Stromausfall in Beirut; Foto: Daniel carde/ZUMAPRESS.com/picture-alliance
Eine Stadt sitzt im Dunkeln: Nahezu täglich haben die Einwohner von Beirut mit mehrstündigen Stromausfällen zu kämpfen. In dem seit Jahren unter einer schweren finanziellen und politischen Krise leidenden Land gelten die Staatsunternehmen als wesentliche Treiber vieler Probleme - auch der Mängel im Energiesektor. "Der libanesische Elektrizitätssektor und insbesondere EDL (Electricité du Liban, ein staatliches Versorgungsunternehmen, Anm. d. Red.) werden seit langem als Hauptverantwortliche für die Wirtschafts- und Finanzkrise des Landes genannt", heißt es in einer Studie der American University of Beirut, veröffentlicht im September 2021.



Zwar haben der konstante Strommangel und die steigenden Treibstoffkosten für Generatoren die Nachfrage nach privaten Solaranlagen steigen lassen. Doch die hohen Preise - eine günstige Anlage kostet umgerechnet fast 3700 Euro - können sich viele Bürger nicht leisten.

"Licht" in Marokkos Süden

Erfolgreich in der Entwicklung alternativer Energien ist hingegen Marokko. Nahe der Stadt Ouarzazate im Süden des Landes befindet sich etwa der Solarkomplex "Noor" - das arabische Wort für "Licht". Die Anlage zählt zu den weltweit größten ihrer Art. Allein die erste von vier Einheiten des Kraftwerks produziert seit ihrer Inbetriebnahme 2016 rund 400 Gigawattstunden Strom im Jahr - genug für den durchschnittlichen Jahresbedarf von rund 400.000 Menschen.

Allerdings komme in Ouarzazate mit der Solarthermie teils eine nicht-wettbewerbsfähige Technologie zum Einsatz, sagt Bauke Baumann, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rabat. Diese könne aufgrund langfristiger vertraglicher Bindungen nicht leicht ersetzt werden und produziere überteuerten Strom, den der Staat derzeit noch bezuschussen müsse, so Baumann im Deutsche Welle-Interview.

In den jüngeren Solarparks würden inzwischen aber hauptsächlich neue Solarzellen verbaut, so der deutsche Experte. "Ihr Einsatz macht die Technik auch für durchschnittliche Verbraucher interessant. Denn die Solarzellen produzieren im Vergleich zu fossilen Energien konkurrenzlos günstig." Da Marokko über keine eigenen Ressourcen verfügt, muss es diese Solarzellen jedoch sämtlich importieren. Gerade mit dem Blick auf den Ukraine-Krieg drohen aber empfindliche Preissteigerungen, die viele Bürger vor erhebliche Probleme stellen dürften.

Golfhalbinsel im Umbruch

Ein anderer Spitzenreiter in der Region sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Im Jahr 2020 zählten sie mit einer Pro-Kopf-Leistung von 1.385 Kilowattstunden zu den weltweit führenden Produzenten von Solarenergie. Zum Vergleich: Deutschland, ebenfalls weltweit führend in der Solarenergie, produzierte im Jahr 2020 rund 1.490 Kilowattstunden pro Kopf der Bevölkerung.

Solarenergie in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Foto: Marwan Naamani/AFP/Getty Images
Spitzenreiter in der Region: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind bei den erneuerbaren Energien führend in der arabischen Welt. Im Jahr 2020 zählten sie mit einer Pro-Kopf-Leistung von 1.385 Kilowattstunden zu den weltweit führenden Produzenten von Solarenergie. Zum Vergleich: Deutschland, ebenfalls weltweit führend in der Solarenergie, produzierte im Jahr 2020 rund 1.490 Kilowattstunden pro Kopf der Bevölkerung.



Auch Saudi-Arabien treibt den Ausbau alternativer Energien voran. Lange Zeit hatte sich das Königreich auf eine Stromproduktion vor allem auf Grundlage seiner Ölvorkommen konzentriert. Doch diese Politik hat sich unter der Herrschaft von Kronprinz Mohammed bin Salman (auch kurz MbS genannt) grundlegend geändert. Fortan soll das Erdöl vor allem in den Export gehen - und nicht mehr als Treibstoff für die heimische Energiegewinnung genutzt werden.

Inzwischen engagieren sich die Saudis auch bei ihren Nachbarn. So wurde etwa das erste, im Januar dieses Jahres fertiggestellte Solarkraftwerk des Oman durch Investitionen aus Saudi-Arabien und Kuwait finanziert.

Einfluss des Ukraine-Kriegs

Der Krieg in der Ukraine stellt nun aber auch die Solarbranche vor Probleme. Bislang nämlich spielten russische und ukrainische Unternehmen im Kontext der erneuerbaren Energien als Zulieferer eine wichtige Rolle, sagt Li-Chen Sim, Forscher am Middle East Institute (MEI) in Washington. Rohstoffe wie Stahl, Aluminium, Kobalt, Nickel, Neon und Palladium kämen oftmals aus diesen beiden Ländern. Das Funktionieren der entsprechenden Lieferketten stünde nun in Frage, so Sim im Deutsche Welle-Interview.

Umgekehrt könnte der Krieg in der Ukraine aber auch zu mehr Investitionen in die Solarenergie führen. In Marokko etwa seien die Benzin- und Dieselpreise deutlich gestiegen, sagt Bauke Baumann von der Heinrich-Böll-Stiftung in Rabat. Dies habe eine Debatte um die Energieversorgung der Zukunft ausgelöst.

"Derzeit sind viele Anlagen in Planung, die grünen Wasserstoff produzieren. Für diesen gab es bereits vor dem Krieg eine erhebliche Nachfrage. Sie könnte jetzt noch einmal steigen", so Baumann. Er verweist auf das britische Unternehmen Xlinks, das sich eine große Fläche im Süden Marokkos gesichert hat und von dort Elektrizität direkt für den britischen Markt produzieren will. Diese soll mit einem noch zu verlegenden Unterseekabel nach Großbritannien transportiert werden. "An Projekten mangelt es nicht", so Baumann. "Und natürlich werden sich unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine diese Pläne noch beschleunigen."

Kersten Knipp und Cathrin Schaer

© Deutsche Welle 2022