Rücküberweisungen fördern Wirtschaftswachstum

Migration hat viele Folgen. Nach wie vor belastet die Abwanderung von Fachkräften die Heimatländer schwer. Andererseits haben Rücküberweisungen an Familienmitglieder auch ökonomische Bedeutung. Hans Werner Mundt über die Vor- und Nachteile

Migration hat viele Folgen. Nach wie vor belastet die Abwanderung von Fachkräften die Heimatländer schwer. Andererseits haben Rücküberweisungen an Familienmitglieder eine bislang unterschätzte ökonomische Bedeutung. Überdies können Ingenieure und Computerexperten auch technisches Wissen, Geschäftskontakte und Investitionen für ihr Ursprungsland mobilisieren. Ohne geeignetes Umfeld und politische Steuerung verpufft derlei jedoch. Die Arbeit mit der Diaspora bietet der Entwicklungspolitik bislang unerschlossene Möglichkeiten.

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Sind Rücküberweisungen in die Heimatländer der Wirtschaft eher förderlich oder lähmen sie das Wachstum?

​​Der Zusammenhang von Migration und Entwicklung wird erst seit kurzem wieder in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Vielen ist noch die Debatte um den "Brain Drain" in Erinnerung. Unter diesem Schlagwort wurde in den 60er und 70er Jahren fast ausschließlich darauf abgezielt, die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte aus Entwicklungsländern zu verhindern.

Auswanderung kann jedoch nicht mit gewaltsamen oder gesetzlichen Mitteln verhindert werden. Sie wird als fundamentales Menschenrecht angesehen, auch wenn dieses nur ausgeübt werden kann, wenn ein anderes Land eine Einreisegenehmigung erteilt.

Letztlich ist keine der damals zur Abhilfe vorgeschlagenen Maßnahmen – etwa die Besteuerung der Migration oder Kompensationszahlungen für Ausbildungsleistungen vom Aufnahmeland an das Heimatland – umgesetzt worden.

Care Drain

Dabei ist das Problem nicht etwa gelöst oder kleiner geworden. Ganz im Gegenteil, hat es sich seit dieser Diskussion weiter verschärft. Das gilt vor allem für das Schlagwort "Care-Drain". Krankenschwestern und Ärzte aus armen Ländern füllen Lücken in den Gesundheitswesen reicher Staaten, obwohl die Defizite in ihren Heimatländern viel größer sind.

Allerdings ist das nicht der einzige Aspekt, unter dem Migration gesehen werden muss. Relevant sind auch die immensen Heimatüberweisungen von Migranten, die gerade in besonders armen Herkunftsländern ökonomisch große Bedeutung haben.

Zudem ist heute auch die Rede von einem "Brain Gain". Dieses Schlagwort bezieht sich auf die Vorteile, die ausgewanderte Ingenieure und Softwareprogrammierer ihren Heimatökonomien bieten.

In den Heimatländern fehlt Pflegepersonal

Die Abwanderung von Gesundheitspersonal aus dem südlichen Afrika hat dramatische Auswirkungen. Afrika gerät durch die massenhafte Migration von Ärzten und qualifiziertem Pflegepersonal in höchste Not. HIV/Aids hat pandemische Ausmaße angenommen, aber es gibt immer weniger Personal, Patienten zu behandeln.

Alleine in den USA praktizieren mehr als 21.000 nigerianische Ärzte. 60 Prozent aller ghanaischen Universitätsabsolventen der Medizin haben seit 1980 das Land verlassen. Anfang der 90er Jahre kam jeder zehnte Neuzugang im zentralen britischen Pflegepersonalregister aus einem Entwicklungsland.

Bis 2000/2001 war diese Zahl bereits auf 40 Prozent gestiegen und in der Periode 2001/2002 gab es zum ersten Mal mehr Neuregistrierungen aus Übersee als aus dem Vereinigten Königreich.

Hohe finanzielle Verluste

Alles deutet darauf hin, dass dieser Trend in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Das liegt zum einen an der demographischen Entwicklung in den Industrieländern. Hinzu kommen strukturelle Problemen wie die Unterbezahlung der Pflegeberufe, die dazu führt, dass in reichen Gesellschaften immer weniger Menschen diese Berufe wählen.

Mit der Abwanderung sind für die Herkunftsländer nach wie vor herbe fiskalische Verluste verbunden. Laut OECD-Daten betrug das Defizit allein für Südafrika in der Zeit von1995 bis 2002 über eine Milliarde Dollar.

Trotz dieser tristen Realität betont die internationale Diskussion in einer überraschenden Wendung in jüngster Zeit die Vorteile der Migration. Sie konzentriert sich zunehmend auf die Formel, aus der (weitgehend unvermeidbaren) Migration entstünden auch für die Herkunftsländer Gewinne. Die genauere Betrachtung zeigt aber, dass positive Wirkungen vermutlich überschätzt werden.

Milliarden-Rückfluss

Ganz zuvörderst werden die Rücküberweisungen der Migranten in ihre Heimatländer genannt. Tatsächlich hat ihr Volumen in den vergangenen zehn Jahren stetig zugenommen. Inzwischen sind sie zur zweitgrößten externen Finanzquelle für Entwicklungsländer geworden.

Die jährlichen Heimattransfers gehen inzwischen auf 100 Milliarden Dollar zu. Sie erreichen beinahe die Höhe der Direktinvestitionen und liegen deutlich über den Zuflüssen aus der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA).

Dabei erfassen diese Zahlen nur die Überweisungen im formellen Bankwesen. Schätzungen gehen davon aus, dass noch einmal der gleiche Betrag inoffiziell über die Grenzen wandert.

Dabei beeindrucken schon die offiziellen Zahlen. Das gilt vor allem für die am wenigsten entwickelten Länder. Bei den Low-Income-Ländern übersteigt die Höhe der Rücküberweisungen die der ODA mit 120,6 Prozent. Die Direktinvestitionen werden hier sogar mit 213 Prozent übertroffen. Besonders in wirtschaftlich und politisch schwierigen Situationen hat das in die Heimat zurückgesandte Geld eine bedeutende Stabilisierungsfunktion.

Dies zeigen Zahlen der serbischen Zentralbank. Die privaten Rücküberweisungen nach Serbien beliefen sich demnach im Jahr 2003 auf 2,7 Milliarden Dollar. Das waren knapp sieben Prozent weniger als die Exporterlöse (2,9 Milliarden Dollar) und deutlich mehr als die ausländischen Direktinvestitionen, die für 2004 auf 400 Millionen Dollar geschätzt werden.

Wie die Tabelle zeigt, handelt es sich um stabile Zuflüsse, die anders als alle anderen externen Kapitalströme auch in den wirtschaftlichen Krisenzeiten der Jahre 2000/2001 nicht eingebrochen, sondern stetig weiter gestiegen sind.

Rücküberweisungen erhöhen Wirtschaftleistungen

Deutschland steht mit 8,1 Prozent der gesamten Rücküberweisungen nach den USA (28,4 Prozent) und Saudi-Arabien (15,1 Prozent) an dritter Stelle der Länder, aus denen die Mittel stammen. Die europäischen Länder kommen gemeinsam auf einen etwas größeren Anteil als die Vereinigten Staaten.

Diese hohen Zahlen haben auch hinsichtlich der Wirkung geradezu euphorische Erwartungen ausgelöst. Die Weltbank schreibt in ihrem Bericht Global Development Finance 2003:

"Rücküberweisungen vermehren das Einkommen des Empfängers und die Devisenreserven des Empfängerlands. Wenn sie investiert werden, tragen sie zu einer Erhöhung der Wirtschaftsleistung bei, und wenn sie konsumiert werden, dann erzeugen sie vielfältige Multiplikatorwirkungen."

Das US-Magazin Newsweek preist in der Ausgabe vom 19.1.2004 die Rücküberweisungen als "effectively a new form of foreign aid".

Beitrag zur Armutsbekämpfung

Ist das wirklich so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht? Das wichtigste Merkmal von Rücküberweisungen ist zweifellos, dass sie als direkte Zahlungen an arme Haushalte einen unmittelbaren Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten können.

Ob allerdings wirklich die Armen von den Rücküberweisungen profitieren, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, zum Beispiel aus welchen Einkommensschichten die Migranten stammen.

Aber selbst wenn die Rücküberweisungen nicht an die ärmsten Familien gehen, können diese durch verstärkte Ausgaben indirekt profitieren. Insbesondere der Konsum lokal erzeugter Güter und Dienstleistungen kann armutsmindernd wirken.

Es ist viel darüber diskutiert worden, ob Rücküberweisungen zu mehr Investitionen führen. Sicher ist diese Frage dann falsch gestellt, wenn darauf abgestellt wird, ob die Familie, die die Rücküberweisungen erhält, mehr investiert. Entscheidend ist vielmehr, ob sie mehr spart und damit insgesamt Investitionen ermöglicht.

Dafür bedarf es freilich auch eines funktionierenden Kreditgewerbes, das private Ersparnis in Investitionen lenkt, und eines Umfeldes, das überhaupt ertragreiche Investitionen ermöglicht.

Ausgaben für die Bildung der zurückgebliebenen Angehörigen oder für ihre medizinische Versorgung können durchaus auch als Investitionen gelten, wenn sie deren Chancen steigern, am Arbeitsleben teilzunehmen und Einkommen zu erzielen.

Makroökonomisch sind Rücküberweisungen eine wichtige Devisenquelle. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Handelsbilanz unausgeglichen ist und Devisen knapp sind. Für ein Land wie Indien, das inzwischen über ausreichend hohe Reserven verfügt, spielt dies keine Rolle mehr, wohl aber für viele andere Entwicklungs- und Transformationsländer.

Entscheidend ist allerdings auch hier wieder, wie die Mittel verwendet werden. Wenn sie für den Import von Luxusgütern verbraucht werden, haben sie kaum entwicklungspolitische Relevanz.

Negative Auswirkungen

Gerade auf makroökonomischer Ebene können Rücküberweisungen allerdings auch eine Reihe negativer Folgen haben. So können sie eine Aufwertung der Währung (oder das Ausbleiben einer Abwertung) bewirken.

Ein Beispiel ist Moldawien, dessen Währung trotz nachlassender Wettbewerbsfähigkeit und schrumpfender Exporte zwischen 1995 und 2002 nicht an Wert verlor. Langfristig können Rücküberweisungen deshalb die Wettbewerbsfähigkeit schädigen, die Zahlungsbilanz verschlechtern und damit auch das Wirtschaftswachstum negativ beeinflussen.

Noch umstrittener als die rein ökonomischen Effekte sind die sozioökonomischen und politischen Wirkungen. Für diese wichtigen Bereiche liegen noch viel zu wenige empirische Untersuchungen vor.

Auf der familiären Ebene werden nämlich einkommenserhöhende Effekte nur dann eintreten, wenn das zusätzliche Einkommen aus den Rücküberweisungen nicht dazu führt, dass andere Familienmitglieder auf eigenes Einkommen verzichten und sich vom Arbeitsmarkt fern halten.

Einige Studien zeigen negative Korrelation zwischen der Höhe der Rücküberweisungen und dem Wirtschaftswachstum auf.

Kinderstube für Migranten

Begründet wird dies damit, dass es auf der persönlichen und familiären Ebene entbehrlich erscheint, in der Heimat nachhaltige Einkommensquellen zu schaffen, weil die Grundversorgung durch die Auswanderer besorgt wird.

Zugleich macht auf der staatlichen Ebene die komfortable Finanzierung des Handelsbilanzdefizits durch die Rücküberweisungen es entbehrlich, eine langfristig ausgerichtete Politik der Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu verfolgen.

Eine auf der individuellen Ebene einträgliche Migration – so wird argumentiert – nimmt so die Arbeitskraft und das Kapital weg, das notwendig ist, um Produkte herzustellen, die am Weltmarkt verkauft werden können.

Als sich selbst perpetuierender Vorgang verwandele die Migration ganze Regionen und Länder in Orte, die sich ganz auf den Export von Arbeitskräften spezialisierten und so als Kinderstube für künftige Migranten fungierten.

Die Wahrheit wird in vielen Ländern und Regionen in der Mitte liegen. Eins ist indessen klar: Die Zusammenhänge sind komplex und bedürfen in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Untersuchung.

Heimatüberweisungen sind keineswegs so eindeutig positiv, wie die internationalen Finanzinstitutionen dies glauben lassen wollen. Damit sie sinnvoll genutzt werden, müssen die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen stimmen.

Brain Gain

Nach Angaben der Overseas Chinese Affairs Commission leben circa 35 Millionen Chinesen außerhalb Chinas. Mehr als 20 Millionen Inder haben ihr Land verlassen. Rund die Hälfte der rund sieben Millionen Serben leben im Ausland. Diese riesigen Diasporagemeinden spielen über die Rücküberweisungen hinaus für die Entwicklung ihrer Heimatländer eine Rolle.

Tatsächlich bedeutet die Wanderung in einem Zeitalter der billigen und schnellen Transport- und Kommunikationswege keineswegs mehr den Bruch mit der Heimat, wie es früher der Fall war.

Die Exilgemeinschaften dienen heute nicht mehr nur als Netzwerke für neu ankommende Migranten, sie können auch einen großen Einfluss auf die Gestaltung von Politik und Gesellschaft ihrer Heimatländer nehmen. Die Migrationswissenschaft interessiert sich zunehmend für die Potenziale der "transnationalen Netzwerke".

Mitglieder der Diaspora genießen bei der Anbahnung und Durchführung von Geschäften und Investitionen besondere Vorteile. Sie kennen ihre Heimat und können besser einschätzen, wie leistungsfähig und vertrauenswürdig örtliche Partner sind.

Sie haben ein klareres Gespür für Marktverhältnisse und Geschäftsmöglichkeiten. Zudem haben sie dank sozialer Einbindung bessere Möglichkeiten, Rechtspositionen durchzusetzen. Gleichzeitig genießen sie einen Vertrauensvorsprung bei den Geschäftspartnern des Aufnahmelandes.

So sind sie ideale Mittler zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland. Verfügen sie über technische Expertise, dienen sie häufig auch dem Technologietransfer.

Erfolgreiche IT-Industrie

Bekanntestes Beispiel ist die IT-Industrie in Indien. Eine noch nicht veröffentlichte Studie von Uwe Hunger zeigt, in welchem Maß Inder aus der US-amerikanischen Diaspora an dem Aufbau dieser Industrie beteiligt waren.

Zehn der 20 erfolgreichsten Softwareunternehmen mit rund 40 Prozent der Gesamteinnahmen der Branche werden gemanagt oder wurden gegründet von Indern, die aus den Vereinigten Staaten zurückkehrten.

Indien ist zwar das meistgenannte, aber beileibe nicht das einzige Erfolgsbeispiel dieser Art. Ähnliche Entwicklungen sind in Korea, Taiwan und China zu beobachten.

Der Erfolg in diesen Ländern reflektiert allerdings auch und immer eine Wirtschaftspolitik, die unternehmerische Aktivitäten begünstigt.

Außerdem können nur qualifizierte Migranten derartige Aktivitäten erfolgreich entfalten. Herkunftsländer mit verfehlten Wirtschaftspolitiken und/oder eher unqualifizierten Migranten werden von diesen Vorteilen kaum profitieren.

Deutschland sollte Potenzial der Emigranten nutzen

Für die Entwicklungspolitik ist das Potenzial der Diasporagemeinden in Deutschland noch weitgehend zu entdecken.

Eine GTZ-Konferenz zur Kooperation mit der Diaspora hat in diesem Jahr eine Reihe von Vorschlägen gebracht. Wichtig wäre es demnach, die finanzwirtschaftlichen Bedingungen für Rücküberweisungen zu verbessern. Auslandstransfers sollten billiger werden, damit offizielle Institutionen informelle Kanäle (wie das muslimische Hawala-System) ersetzen können.

Der aufenthaltsrechtliche Status von Migranten muss abgesichert werden – illegale Einwanderer haben keinen Zugang zum formellen Bankwesen.

Sinnvoll wäre auch die gezielte Beratung und Unterstützung von Investoren mit Plänen im Heimatland. Solche Ansätze zeigen, in welche Richtung eine sinnvolle Diaspora-Politik gehen könnte.

Nötig wäre dafür zweifellos, die Zuwanderergemeinschaften im Aufnahmeland als relevante Akteure anzuerkennen und sie zur Kooperation zu ermutigen. Hoffentlich verhindern die innenpolitischen Kontroversen über das Thema Zuwanderung nicht, dass Deutschland das Potenzial der Diasporagemeinden künftig besser nutzt als bisher.

Hans Werner Mundt

© Entwicklung und Zusammenarbeit 10/2004

Dr. Hans Werner Mundt leitet das GTZ-Projekt Migration und Entwicklung.

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