Erfolgreiche Integration statt Parallelgesellschaft

Die Terroranschläge in London haben Englands multikulturelle Gesellschaft auf die Probe gestellt. Doch das Beispiel eines Londoner Vorortes zeigt, dass durch kommunale Netzwerke ethnischer Gruppen positive Integrationsarbeit geleistet werden kann.

Die Terror-Anschläge in London vom 7. Juli 2005 haben die multikulturelle Gesellschaft im Vereinigten Königreich auf die Probe gestellt. Doch das Beispiel des Londoner Vorortes Southall zeigt, dass durch ein kommunales Netzwerk aller ethnischen Gruppen erfolgreiche Integrationsarbeit geleistet werden kann. Von Petra Tabeling

Willkommensschild am Bahnhof Southall, Foto: Petra Tabeling
London Southall - das multikulturelle Gesicht der Millionenmetropole unweit des Flughafens Heathrow

​​Wer mit der Bahn in den West-Londoner Vorort Southall reist, ahnt spätestens beim Ausstieg, dass hier vieles anders ist als in der Innenstadt. Düfte exotischer Gewürze liegen in der Luft, die Säulen auf den Bahnsteigen sind nach indischer Tradition bunt verziert, das Hinweisschild "Willkommen in Southall" ist auf Punjabi übersetzt. Unweit von der Bahnstation liegt die Hauptstrasse Southalls, die Geschäftstrasse ist die pulsierende Ader des rund 70.000 Einwohner zählenden Stadtteils.

Hier reihen sich Sarigeschäfte an traditionelle indische Restaurants, Bhanghra-Musik dröhnt aus den Lautsprechern der zahlreichen Musikstände, pakistanische Mangoverkäufer bieten ihre Waren auf der Straße an. Die katholische Kirche liegt neben einem riesigen Hindutempel, der Pub am anderen Ende der Straße sieht nur von außen wirklich traditionell britisch aus, innen kann der Gast mit Rupien zahlen.

Einwanderung mit Tradition

Straßenszene im Londoner Stadtteil Southall, Foto: Petra Tabeling
Kulturelle Vielfalt am Southall Broadway - Der Himalaya-Palace zeigt indische, pakistanische und afghanische Spielfilme

​​Southall, unweit des Flughafen Heathrow, gilt als das multikulturelle Gesicht der Millionenmetropole London. Mehr als 70 Prozent der Bewohner des lebendigen Viertels stammen vom indischen Subkontinent: Sikhs aus Punjab, Muslime aus Pakistan, Bangladesch und Afghanistan. Nicht ohne Grund bezeichnen die Londoner Southall als "Little Punjab".

Der Stadtteil blickt auf eine lange Einwanderertradition zurück: in den 20er Jahren des vergangen Jahrhunderts kamen walisische und irische Stahlarbeiter nach Southall, als die Schwerindustrie noch Arbeitsplätze bot, in den 50er bis in die 70er Jahre zog es viele Einwanderer des indischen Subkontinents in das Viertel, deren zweite und dritte Generation auch heute noch hier leben.

Seit wenigen Jahren siedeln sich auch Migranten aus kriegsgebeutelten Regionen an, aus Somalia, Uganda, Afghanistan, oder Neuankömmlinge aus Osteuropa.

Hilfe zur Selbsthilfe

In diesen Kommunen helfen sich die zahlreichen ethnischen Gruppen gegenseitig, in Alters-, Pflege oder Gesundheitsfragen, erzählt Janpal Lasran, Sozialarbeiter im Stadtteil. Doch trotzdem gab es auch hier wie in anderen Stadtteilen Londons soziale Benachteiligungen. Deswegen berief die Stadt vor wenigen Jahren ein Stadtteilerneuerungsprogramm für Southall ins Leben.

So konnten u. a. ein Bürogebäude eingerichtet werden, in dem Janpal Lasran als Netzwerk- und Community-Manager die Stadteilarbeit organisiert. Er stellt den verschiedenen Glaubens- und Gemeindegruppen Büroräume, Computer, Telefone und Kopierer zur Verfügung, damit sie ihre Arbeit besser und effektiver miteinander koordinieren können.

Kalkulierbare Spannungen

Nach wie vor zieht es viele Einwanderer nach Southall, nicht nur weil der nah gelegene Flughafen Heathrow Arbeitsplätze bietet, Häuserpreise und Lebensunterhaltskosten billiger sind als in Londons sündhaft teurer Innenstadt, sondern auch, weil sie hier Kontakt zu ihren Landsleuten finden.

Moschee im Londoner Stadtteil Southall, Foto: Petra Tabeling
Überwiegend störungsfreies Zusammenleben der zahlreichen ethnischen und religiösen Gruppen - Moschee in Southall

​​Hier funktioniere das Zusammenleben der ethnischen Gruppen zwar seit Jahrzehnten größtenteils störungsfrei, doch gebe es auch gelegentliche Spannungen zwischen ihnen, berichtet Janpal Lasran. In den letzten Jahren entdecken immer junge Leute ihre religiöse Identität, egal ob Sikhs, Hindus, Muslime oder Christen. Auch finden vermehrt religiöse Feste statt.

"Leider haben die Leute in letzter Zeit immer wieder ihre religiöse Identität mit ihrer nationalen durcheinander gebracht. Als während der Feierlichkeiten am Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan Mitglieder der pakistanischen Community ihre Nationalfahnen im Viertel herum schwenkten, haben auch andere ethnische Gruppen ihre Fahnen rausgeholt. Das hat zu Auseinandersetzungen und Spannungen geführt", berichtet Lasran.

Doch sei es das erklärte Ziel des staatlichen Förderprogramms, den Zusammenhalt der unterschiedlichen ethnischen Gruppen schrittweise zu festigen und zu verbessern.

Interkultureller Dialog auf dem Äther

Das will auch "Westsideradio", das erste multikulturelle Radio in Southall, das ebenfalls in den Büroräumen untergebracht und ein wichtiger Bestandteil der Gemeindearbeit ist. Viele der jungen Radiomacher sind Somalis, Inder oder Pakistaner – Neuankömmlinge im Vereinigten Königreich oder aber in Southall geboren und aufgewachsen.

Seit wenigen Wochen sind sie mit ihrem Stadtteilradio auf Sendung, finanziert wird das Gemeindeprojekt von der Stadt London und von privaten Geldgebern. 35 DJ's und Moderatoren senden täglich acht Stunden lang Weltmusik und Nachrichten aus Southall – auf Englisch, Hindi, Urdu, Punjabi und Somali.

"Westsideradio" informiert über Beratungsangebote für Flüchtlinge, über Möglichkeiten zur Ganztagsbetreuung von Kindern, praktische Integrationshilfen, Teilnahme an städtischer Gremienarbeit oder über interreligiöse Begegnungen und Feste. Die Hörfunkredakteure wollen Probleme ansprechen, die die Menschen aus Southall täglich bewegen und die sie nicht in den überregionalen Medien wieder finden.

Die multikulturelle Vielfalt in Southall zu reflektieren sei die Stärke des neuen Senders, so einer der Koordinatoren des Medienprojekts, Harmi Palda. Er sieht in der Initiative nicht nur die Möglichkeit zur Identitätsfindung der ethnischen und religiösen Gruppen, sondern auch eine große Chance für den Dialog zwischen diesen. Vor allem seit den Terroranschlägen vom 7. Juli.

"Es ist schade, dass nun auf die muslimischen Gemeinden mit dem Finger gezeigt wird", so Palda. "Deswegen möchten wir, dass sie in unseren Sendungen mehr über sich erzählen, so dass wir mehr von ihrer Religion verstehen."

Palda, der in Deutschland studiert hat und aus einer pakistanischen Einwandererfamilie stammt, hat eine einfache Botschaft: "Wir sind eine glückliche Gemeinschaft hier. Und wenn immer mehr Einwanderer in dieses Land kommen, ist das nicht nur eine Chance für das Zusammenleben, sondern auch für das Erleben der unterschiedlichsten Kulturen. Lasst uns einfach ihre Geschichten hören und sie gemeinsam teilen."

Petra Tabeling

© Qantara.de 2005

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www

London Southall's "Westside Radio" (engl.)