
Einwanderung in DeutschlandIntegration statt Exklusion
Wir leben in postfaktischen Zeiten. Und das nicht erst seit Donald Trump. Es gehört zu den kontra- oder auch alternativfaktischen Überzeugungen des deutschen Konservatismus, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.
Deutschland, kein Einwanderungsland? Die nackten Zahlen sagen da etwas anderes: Im Jahr 2014 hatten in Deutschland 16,4 Millionen Menschen eine Migrationsgeschichte; das entspricht 20,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. 9,2 Millionen der Menschen mit Migrationsgeschichte sind Deutsche. Etwa zwei Drittel (oder 10,9 Millionen) der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte sind Migranten in erster Generation; ein Drittel (oder 5,5 Millionen) sind Menschen mit Migrationsgeschichte in zweiter oder dritter Generation.
Und wer diesen Zahlen misstraut mag vielleicht der normativen Kraft des deutschen Fußballs glauben. In der Weltmeistermannschaft von 2014 sorgten Spieler wie Jérôme Boateng, Sami Khedira, Shkodran Mustafi oder Mesut Özil für den Erfolg Deutschlands. Und auch im aktuellen Kader setzt Bundestrainer Jogi Löw auf Leistungsträger mit Migrationsgeschichte, auf Spieler wie Antonio Rüdiger oder Emre Can.
Der Deutsche stammt von Deutschen ab
Deutschland, kein Einwanderungsland? Dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, ist nicht Fakt, sondern bloßer Wunsch. Es ist das bis heute wirkmächtige ideologische Konstrukt eines homogenen und hermetisch geschlossenen Begriffs des "deutschen Volks" – zu dem man Zugang nur durch Geburt erhält.
Erst seit dem 1. Januar 2000 gilt in Deutschland neben dem noch immer primären Abstammungsrecht (ius sanguines, wörtl.: Blutrecht) auch das Territorialrecht (ius soli, wörtl.: Recht des Bodens) für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Im Falle des ius sanguines ist Deutscher nur, wer auch von deutschen Eltern abstammt. Der Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft und die Zugehörigkeit zum deutschen Volk sind damit exklusiv. Menschen mit Migrationsgeschichte können niemals Deutsche sein! Sie können die Staatsangehörigkeit auf formalem Wege erwerben – nur zu Deutschen, zu Mitgliedern des deutschen Volkes, werden sie so nicht.

Für den unbedarften Leser mag das antiquiert, angesichts der höchstproblematischen und unheilvollen Geschichte des Begriffs des "deutschen Volks" und des "Völkischen" sogar gruselig wirken. Und doch wirkt genau dieses hermetische, dieses exklusive und diskriminierende Verständnis des Deutschseins bis heute auf Politik und Gesellschaft. Es erzeugt auf der einen Seite noch immer Spannungen und Friktionen hinsichtlich der Frage der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte, und hält auf der anderen Seite den rechten Rand fruchtbar für Ressentiments gegen Menschen mit Migrationsgeschichte, gegen Ausländer und vor allem gegen Muslime.
Was ist deutsch?
Wer bei Wikipedia nach der nationalen Identität der Deutschen fragt, nach den Voraussetzungen des Deutschseins, wird positiv überrascht. "Die Deutschen selbst sagen mehrheitlich laut mehreren Untersuchungen, das entscheidendste Kriterium, um deutsch zu sein, sei die Anwendung der deutschen Sprache."
Abgesehen davon, dass tatsächlich nur eine Studie genannt wird, zeigt sich bei genauerer Betrachtung eben dieser Studie, dass das noch immer wirkmächtige Verständnis des Deutschseins weit exklusiver und geschlossener ist, als dieses Zitat hoffen macht. Der Wikipedia-Eintrag bezieht sich auf die Studie "Deutschland – Post-Migrantisch I", die die Humboldt-Universität zu Berlin zusammen mit dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) 2014 veröffentlicht hat. Die Ergebnisse dieser Studie sind ebenso erhellend wie vielsagend.