Die Mohammed-Fiktion

Der niederländische Arabist Hans Jansen hat sich an eine Biographie über den Propheten Mohammed gewagt. Seine zunächst nachvollziehbare Kritik an den religiösen Quellen schlägt aber schell in pauschale Verurteilungen um, so der Islamwissenschaftler Stefan Weidner.

Will man einem Laien den Islam erklären, bietet sich eine einfache Formel an: Der Islam ist Mohammed, und wer den Islam verstehen will, ist besser beraten, sich mit dem islamischen Mohammed-Bild zu beschäftigen als etwa mit der islamischen Theologie oder dem Koran. Leider ist die vorliegende Literatur über Mohammed (sieht man von kurzen Zusammenfassungen wie dem empfehlenswerten Büchlein von Hartmut Bobzin ab) vergriffen, veraltet, hagiographisch oder nur für Spezialisten von Interesse.

Die jetzt auf deutsch vorgelegte Mohammed-Biographie des Utrechter Arabisten Hans Jansen stellt den Religionsgründer des Islams gemäß der Methoden und Ergebnisse einer jüngeren Schule der Islamwissenschaften dar, deren kritischer Geist von den politischen Auseinandersetzungen zusätzlich angestachelt scheint.

Der erfrischende und befreiende Atem ihrer alles in Frage stellenden wissenschaftlichen Ansätze bläst auch in den fünfhundert Seiten des Buches von Jansen, bis er schließlich zu einem wütenden Sturm wird, dessen Verheerungen die unvorbereiteten Leser ratlos zurücklassen dürften.

Schonungslose Dekonstruktion

Gemessen an den üblicherweise von Historikern angelegten Maßstäben, so die Kernaussage Jansens, wissen wir über Mohammed so gut wie gar nichts – nicht nur nichts Gesichertes, vielmehr nicht einmal Wahrscheinliches, begründet Vermutbares. Alles, was selbst westliche Islamwissenschaftler über das Leben Mohammeds bislang zu wissen glaubten, stammt nahezu ausschließlich aus der umfassendsten und frühsten Quelle über das Leben Mohammeds, der Biographie Ibn Ishâqs (spricht: Ibn Is-hâk), die um 750 im Irak entstanden ist.

Ein Großteil des Buches von Jansen ist in Wahrheit eine Ibn Ishâq-Studie, die schonungslose Dekonstruktion des überlieferten Wissens über Mohammed und derjenigen Forscher, die sich naiver Weise oder, so Jansen, sogar aus Rücksicht auf die Gefühle der Gläubigen, darauf gestützt haben. Es ist eine Anti-Biographie.

Das mag als Ergebnis enttäuschen, mutet aber auf den ersten Blick entwaffnend ehrlich an, zumal es schwer fallen dürfte, dem Autor in den meisten seiner Argumente gegen die Glaubwürdigkeit Ibn Ishâqs nicht recht zu geben. Ibn Ishâq, belegt Jansen, ist Hagiograph. Was er über Mohammed sagt, und das heißt, was wir bislang über ihn zu wissen meinten, ist so unglaubwürdig wie die Aussagen der Evangelisten, als historische Wahrheit über das Leben Jesu gelesen.

Chronologische Ungereimtheiten

Vor Beispielen quillt das Buch über. Schon das als verbürgt geltende Geburtsdatum um 570 unserer Zeitrechnung wird von Jansen überzeugend als instabil entlarvt und auf zwischen 552 und 590 angesetzt. Die von Ibn Ishâq übernommene Chronologie im Leben Mohammeds erweist sich insgesamt als unrealistisch.

Immerhin, das wichtigste Datum, die Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina, der Beginn der islamischen Zeitrechnung, wird nicht wirklich in Frage gestellt. Aber nicht einmal an diesem Punkt ringt sich Jansen dazu durch, aus dem nicht als falsch zu Widerlegenden eine echte Wahrscheinlichkeit zu machen. Bei einem Buch, das sich Biographie nennt, darf das verwundern.

Interessegeleitete Erkenntnis

Als wirklich fragwürdig, um nicht zu sagen voreingenommen, erweist sich Jansens Methodik, wenn er im Lauf seines Textes regelmäßig dann eben doch eine Wahrscheinlichkeit veranschlagt, wenn der Text Ibn Ishâqs einen Hinweis auf die dem modernen Bewusstsein als negativ erscheinenden Seiten Mohammeds bietet: Die Heirat mit der siebenjährigen Aischa, der Kampf gegen die Juden in Medina, Mohammeds Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die vor Lügen und Meuchelmord nicht halt machten.

Bei Ibn Ishâqs Schilderung des Kampfes gegen die Juden zieht Jansen sogar den Vergleich zum Holocaust heran. Selbst wenn sich uns dieser aufdringt: Man kann schlecht am Ende ausgerechnet das für wahr halten, was Mohammed nach heutigem Empfinden (und keineswegs dem der mittelalterlichen Muslime) als Monster erscheinen lässt.

Für die Muslime, die in Gegenwart und Moderne ankommen wollen, hält Jansen nach seiner schwerwiegenden Diagnose gleich das Heilmittel bereit: "Muslime maßen sich keinerlei kritische Aussage über ihn an, da er nun einmal ihr Prophet und Gottesgesandter ist. Aber die Beurteilung, inwieweit die überlieferten Geschichten glaubwürdig sind, müsste ihnen theoretisch freistehen."

Mangelnde Konsistenz

Ob der Autor das ernst meint, wo doch ihm zufolge die historische Wahrscheinlichkeitsprüfung ergibt, dass allenfalls ein paar negative Charakterzüge glaubwürdig sind, während die positiven Aspekte in den Bereich des Wundersamen fallen oder zahlreiche andere Details dagegen sprechen?

Offenbar will Jansen nicht mehr nur Ibn Ishâq und seine Abschreiber widerlegen, sondern lässt sich von der Überzeugung reiten, die von ihm betriebene Demontage des überlieferten Mohammed Bildes ebne den Weg zu einer überzeugenden Widerlegung des sich auf dieses Bild stützenden islamischen Fundamentalismus. Leider schüttet er das Kind, Mohammed und den Islam, mit dem Bade aus, den fundamentalistischen Interpreten.

Die Dogmen des Anti-Dogmatikers

Der aufgeklärte, gegen unhaltbare Dogmen wetternde Forscher verwandelt selbst in einen Dogmatiker, der sicher zu wissen glaubt, was die Wahrheit (nicht) ist und was man als moderner, aufgeklärter Mensch glauben müsse und was nicht. Polemische Töne und eine unschöne Ironie schleichen sich in den Text, und die anfangs berechtigt erscheinende Voreingenommenheit gegen die Quellen verwandelt sich in ätzenden Spott gegenüber denjenigen, die diesen Quellen ihre gute Nachricht glauben, also den Muslimen.

Jansen vergreift sich im Ton, aber er legt selbst als Historiker eine merkwürdige Blindheit an den Tag. Es gibt, um nur ein Beispiel zu nennen, zumindest eine große, unerklärliche Leerstelle in dieser Mohammed-Biographie: Den Koran, das unbestritten älteste Zeugnis des Islams. Wenn ein beträchtlicher Teil von Ibn Ishâqs-Mohammed Biographie, wie Jansen überzeugt scheint, mit dem Ziel entstanden ist, den Koran zu erklären, was erklärt dann der Koran?

Mag noch so vieles daran unverständlich, missdeutet und dunkel sein: Ganz und gar unverständlich ist er nicht. Und überhaupt keine Mühe darauf zu verwenden, aus dem Koran selbst etwas über die Absichten, Motive und historischen Kontexte des oder der Verfasser zu erfahren, ist ein wissenschaftlicher Defätismus, der klar macht, dass in Sachen Mohammed auch für den kritischsten westlichen Forscher mehr herauszuholen wäre, als Jansen zu tun bereit ist.

Man lernt von ihm viel über die Schwierigkeiten, etwas Verlässliches über Mohammed zu erfahren. Über das, was man von Mohammed und damit vom Islam vielleicht erfahren könnte, lernt man nichts.

Stefan Weidner

© Stefan Weidner 2008

Dieser Artikel wurde bereits in der Sonderbeilage zur Leipziger Buchmesse der Wochenzeitung Die Zeit publiziert.

Hans Jansen: Mohammed. Eine Biographie. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. C.H. Beck Verlag, München 2008. 491 S., geb., 24,90 Euro

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