"Psychologische Kriegsführung"

Seit Wochen verkünden Taliban-Sprecher eine neue massive Offensive zu Beginn des Frühlings. Ein Großteil der afghanischen Bevölkerung nimmt die jüngsten Drohungen der Taliban sehr ernst. Ratbil Shamel hat sich umgehört.

Seit Wochen verkünden Taliban-Sprecher eine neue massive Offensive zu Beginn des Frühlings. Sie soll auch den Norden erfassen. Ein Großteil der afghanischen Bevölkerung nimmt die jüngsten Drohungen der Taliban sehr ernst. Ratbil Shamel hat sich umgehört.

In rund zwei Wochen wird in Afghanistan das neue Jahr und damit der Beginn des Frühlings gefeiert. Traditionell reisen viele Menschen in den Norden des Landes. Das so genannte "Rote Tulpen-Fest" in dieser Region ist landesweit bekannt und beliebt. Im letzten Jahr kam bis zu eine Million Menschen in die geschichtsträchtige Stadt Mazar-e Scharif, wo die Tulpen am besten gedeihen.

Doch ginge es nach den Wünschen der Taliban, soll im neuen Jahr vor allem der Terror zum Gedeihen kommen. Taliban-Sprecher verkünden seit Wochen eine neue massive Offensive zu Beginn des Frühlings.

Der Norden Afghanistans gilt als relativ sicher. Die Kämpfe mit den Taliban und anderen Terrorverbänden finden im weit entfernten Süden und Osten des Landes statt. Hier im Norden versuchen die Menschen trotz aller Schwierigkeiten den Neubeginn.

Die Drohungen der Taliban, eine neue Frühlingsoffensive zu starten, beunruhigen die Menschen im Norden kaum. Das Vertrauen in die Stärke der internationalen Truppen und die eigene Regierung ist groß.

Nurullah, ein Bäcker in Mazar-e Scharif, zeigt sich unbeeindruckt von den Drohungen der Taliban: "Die Taliban reden nur. Sie werden es nicht schaffen, das Land mit Terror zu überziehen. Sie haben weder die wirtschaftlichen noch die militärischen Möglichkeiten."

Ähnlich denkt auch Reza, ein Fensterglasverkäufer im Zentrum der Stadt mit der blauen Moschee. Er hält die Drohungen der Taliban für pure Propaganda: "Meiner Ansicht nach nennt man das, was die Taliban betreiben, psychologische Kriegsführung. Sie wollen den Menschen Angst machen, mehr steckt nicht dahinter."

Die Taliban und das Leben in der Großstadt

Die Menschen im Norden des Landes können sich eine Rückkehr der Taliban kaum vorstellen. Sie halten die Zeit von Mullah Omar und seiner Krieger für endgültig vorbei.

Einige hundert Kilometer weiter, in Kabul, sieht die Sache etwas anders aus. Die Bewohner der Hauptstadt standen länger unter der Herrschaft der Taliban als die im Norden. Ihre städtische Lebensweise war den Taliban besonders verhasst.

Die Frauen in Kabul, meist unverschleiert, galten den Taliban als Inbegriff der Sünde. Die Männer der Hauptstadt wurden als feige Ungläubige bezeichnet, die sogar ihren Frauen erlaubten, berufstätig zu sein und mit Männern zusammen zu arbeiten.

Selbstmordanschläge der Taliban in Kabul zeigen den Menschen, dass sie nicht ganz verschwunden sind. Der jüngste Anschlag ereignete sich Ende Februar und riss in Bagram - eine Ortschaft in der unmittelbaren Nähe von Kabul - mehr als 14 Menschen in den Tod. Die Drohungen der Taliban werden hier ernster genommen.

Muhammad Rafih, ein Schüler der zwölften Klasse, ist ein Kind des Krieges und wünscht sich keinen Krieg mehr. "Ich muss sagen, dass ich richtig Angst habe. Ich hoffe, dass die Taliban ihre Drohungen nicht wahr machen."

Der Trotz der Bewohner Kabuls

Rafihs Ängste und Hoffungen teilen viele in Kabul. Doch die leidgeprüften Bewohner Kabuls wollen sich nicht kleinkriegen lassen. Abdul Qasim, ein Bazarhändler in Schar-e Nau, einem wohlhabenderen Viertel der Stadt, zeigt sich kampfbereit:

"Natürlich haben die Menschen hier Angst, aber wir sind hier Kriege gewohnt und werden auch diese Krise überstehen. Wir haben schließlich eine Armee, und die internationalen Truppen sind ja auch noch zu unserem Schutz da."

Der Geschäftsnachbar von Qasim will endlich ein angstfreies Leben vor den Taliban haben. Trotzig sagt er: "Ich habe keine Angst vor den Taliban, sie sind keine Macht mehr - sie sind ein Nichts."

Der Süden und Osten im Griff der Taliban

US-Soldaten in Afghanistan; Foto: AP
Das US-Militär in Afghanistan rechnet im Vergleich zum Vorjahr mit einem Anstieg der Selbstmordanschläge

​​Die Hauptstadtbewohner fühlen sich im Schutz der eigenen und internationalen Armeen relativ sicher. Doch je weiter die Menschen von Kabul entfernt Richtung Süden und Osten leben, desto größer sind ihre Sorgen. Dort gehören die Taliban längst zum Alltag. Kaum ein Tag vergeht hier ohne militärische Übergriffe und Selbstmordattentate.

Die Menschen in Kandahar oder Urozgan sind die Taliban nie richtig losgeworden. In Helmand kontrollieren die Taliban offiziell vier Städte. In diesen Gebieten wagt es kaum einer, die Drohungen der Taliban nicht ernst zu nehmen.

Keiner zweifelt, dass die Kämpfe an Härte gewinnen werden. Hier im Süden und Osten gelten die amerikanischen und britischen Truppen auch als eine Bedrohung. Abdul Rauf, ein Bewohner der Stadt Kandahar, weiß warum:

"Wir in der Stadt Kandahar erwarten mehr Angriffe der Taliban und die Dorfbewohner Gegenangriffe der amerikanischen und britischen Truppen in ihren Dörfern."

Das Fest mit den roten Tulpen ist für Abdul Rauf weit entfernt. Er sagt, dass der nächste Frühling in Kandahar auch rot sein wird, aber es werden keine Tulpen zu sehen sein.

Ratbil Shamel

© DEUTSCHE WELLE 2007

Qantara.de

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