Abschied von Stereotypen

Kann man Integration eigentlich lernen? Seit 2005 sollen spezielle Kurse Einwanderern dabei helfen. Aber funktioniert das? Eine Berlinerin wagt nun mit ihrem Dokumentarfilm eine spannende Nahaufnahme. Ein Bericht von Melanie Lachner

Stirnrunzelnd beugt sich Insaf Azzam über ihr Übungsheft. "Ist die Stelle als Putzfrau noch frei?" liest sie in gebrochenem Deutsch. Rollenspiele rund um die Jobsuche stehen auf dem Lehrplan. Die gebürtige Syrerin mit dem schlichten Kopftuch nimmt an einem Integrationskurs in Berlin teil. Zusammen mit rund 20 anderen Einwanderern aus Bangladesch, Argentinien und Osteuropa.

Zehn Monate lang begleitete die Regisseurin Britt Beyer einen solchen Kurs. Das Ergebnis ist ihr Dokumentarfilm "Werden Sie Deutscher", ein seltener Einblick in die Praxis deutscher Einwanderungspolitik.

Regisseurin Britt Beyer, Foto: © Annette Hauschild/OSTKREUZ
Die Integrationskurse sollen den Einwanderen zeigen, dass sie als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft - und nicht nur als Gäste - anerkannt werden. Dennoch ist fraglich, ob allein das Erlernen deutscher Tugenden und Werte hierfür eine Grundvoraussetzung sein sollte, meint Regisseurin Britt Beyer.

​​"Ich hatte mir das am Anfang komplizierter vorgestellt", gesteht sie. "Aber es gab eine große Offenheit." Ihr Film ist voller Situationskomik und regt doch zu einer kritischen Auseinandersetzung an.

Denn viele Teilnehmer von solchen Integrationskursen leben seit Jahrzehnten in Deutschland. Sie schlugen hier Wurzeln, ohne wirklich heimisch zu werden. So wie Insaf Azzam in dem Dokumentarfilm. Vor 20 Jahren kam sie mit ihrem Mann hierher. Doch wirklich willkommen fühlte sich die Familie nie. Deutsch lernte die Hausfrau kaum in den Jahren. Der Alltag in ihrem Berliner Kiez funktioniert auch auf Arabisch.

Deutsch lernen oder das Land verlassen

Jetzt wurde die Aufenthaltsgenehmigung der Familie erstmals für zwei Jahre bewilligt und nicht wie zuvor für wenige Monate. Die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs war eine Bedingung dafür. Doch Insaf Azzam sieht darin auch die Möglichkeit, endlich Deutsch zu lernen.

Sie will sich nicht länger als Fremdkörper in diesem Land fühlen. Der Kurs ist für sie der erste Schritt. Für viele Teilnehmer ist der Druck, die Prüfungen am Ende zu bestehen, enorm. Wer durchfällt, dem können Sozialleistungen gekürzt werden. Im schlimmsten Fall droht die Abschiebung.

Insaf Azzam, Foto:© Marcus Lenz
Angekommen in Deutschland? Insaf Azzam bezweifelt, dass sie sich mit dem Bestehen des Integrationstests integriert und der deutschen Gesellschaft näher fühlt.

​​Dabei ist die Grundidee des Integrationskurses eine durchaus lobenswerte. Mit einem Euro pro Unterrichtsstunde ist er konkurrenzlos günstig. Vor allem aber setzt die deutsche Politik hier ein eindeutiges Signal, Migranten nicht länger als Gäste, sondern als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen. "Es hat immerhin 50 Jahre gedauert, bis man ihnen dieses Angebot gemacht hat", konstatiert die Regisseurin Britt Beyer.

Guter Ansatz, fragwürdige Umsetzung

Doch die Umsetzung dieses längst fälligen Schritts ist ziemlich fragwürdig. werden hier in Lehrbüchern als erstrebenswerte "deutsche" Tugenden vermittelt. Ein Deutschlandbild aufgebaut auf Klischees, erhoben zu Verhaltensvorbildern.

Für Britt Beyer ist es "Zeit, sich von diesen Stereotypen zu verabschieden." Die Lehrinhalte seien Zeugnis eines "krampfhaften Festhaltens" an ebenso realitätsfernen wie überholten Idealen.

Steckt dahinter etwa die Angst, mit jedem Zuwanderer ein Stück deutsche Identität einzubüßen? Dabei wären solche Kurse eine Chance, die kulturelle Vielfalt Deutschlands zu fördern.

Am Ende des Dokumentarfilms darf Insaf Azzam ihr Testergebnis entgegennehmen. Bestanden! Aber macht sie ein schnödes Zertifikat jetzt zu einem Teil Deutschlands? Fühlt sie sich nun wirklich "integrierter", nachdem sie jahrzehntelang in einer Parallelgesellschaft gelebt hat? Nicht unbedingt. Das selbst ernannte Einwanderungsland Deutschland pflegt weiterhin eine "Integration auf Raten".

Melanie Lachner

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de