Stage-Diving von der mekkanischen Veranda

Der Film "Street Punk! Banda Aceh" Film zeigt, wie junge Leute an ihrer Identität festhalten und sich gegen religiöse Einschränkungen und massive Repressionen zur Wehr setzen. Richard Marcus hat sich mit der Regisseurin Maria Bakkalapulo unterhalten.

Von Richard Marcus

Sie sind Journalistin und Filmemacherin. Wieso haben Sie sich hierfür?

Maria Bakkalapulo: Am Anfang meiner journalistischen Laufbahn hat sich mein Uniabschluss als sehr nützlich erwiesen. Ich habe in verschiedenen Teilen der Welt soziale Themen anhand von Musik dokumentiert. Schließlich bin ich in Asien gelandet und habe vier Jahre in Bali gelebt. Dort habe ich die Punks kennengelernt. Es fing in Jakarta an, wo ich sehr verrückte Punk-Gigs erlebt habe, bei denen Menschen aus allen Schichten nach Herzenslust über die Bühne tobten und Stage-Diving machten. Besonders gut gefiel mir an indonesischer Punk-Musik, dass eine Randgruppe die Chance bekam, ein gemeinsames Ziel und eine Identität zu entwickeln. Durch Punk fanden sie auf den Straßen von Jakarta, auf denen es ziemlich rau zugeht, Schutz und Freundschaft. 

Ende 2004 fuhr ich nach Banda Aceh, weil ich über die verheerenden Auswirkungen des Tsunami berichten wollte. In den Jahren danach reiste ich immer wieder dorthin, um an Folgeartikeln zu arbeiten. Dann wurden im Dezember 2011 insgesamt 65 Punks verhaftet, die Irokesen wurden ihnen abrasiert und sie wurden gezwungen, in einem See zu baden, weil man sie für unrein hielt. Unser Film "Street Punk! Banda Aceh" handelt von ihrer Lebensgeschichte.

Nachdem die Medien über die dramatische Verhaftung der Punks berichtet hatten, wollten wir herausfinden, was danach mit ihnen passiert ist. Wir haben sie über die sozialen Medien kontaktiert und sind dann nach Banda Aceh geflogen, um ihren schwierigen Alltag zu filmen. Das ist der Kern des Films, er porträtiert einige der wichtigsten Mitglieder der dortigen Punk-Community. Sie gehören zu den engagiertesten Punks, die ich je getroffen habe. Sie treten wirklich bemerkenswert entschlossen für Gedanken- und Meinungsfreiheit ein. Mir haben schon immer solche Musikstile gefallen, die zur Veränderungen anregen – und  Punk ist die Verkörperung von Widerstand. Deshalb hat mich das, was dort passiert, sofort fasziniert.

Der Dokumentarfilm "Sumatran Folk Cinema", der vor dem Tsunami in Aceh und Banda Aceh gedreht wurde, zeigt, wie vielfältig die musikalische Landschaft damals in der Region war. Inwiefern hat sich das geändert?

Bakkalapulo: Wenn man über die Musikszene in Banda Aceh, der Hauptstadt der Provinz Aceh, spricht, hat man es mit einem sehr komplexen Thema zu tun. Kurz gesagt: Aceh war schon immer eine besonders religiöse indonesische Provinz, man nimmt sie auch als die "Veranda Mekkas" wahr. Angeblich soll der Islam durch reisende Sufi-Händler aus Gujarat eingeführt worden sein.

Darauf sind die Bewohner von Aceh sehr stolz. Sie sind so selbstbewusst, dass sie die Unabhängigkeit von Indonesien angestrebt haben. Im Film erwähnen wir auch den Bürgerkrieg zwischen dem indonesischen Militär und der "Bewegung Freies Aceh" (GAM), der zwischen 1976 und 2005 stattfand. Erst nach dem tödlichen Tsunami kam es zum Friedensschluss.

Nach dem Tsunami hatten viele Acehnesen das Bedürfnis, ihren Glauben intensiver zu leben, um zu verstehen, wie eine solche Tragödie möglich war. Viele gaben sich selbst die Schuld, sie glaubten, sie hätten etwas Böses getan, sie wurden noch frommer als zuvor und übernahmen besonders strenge Auslegungen der Scharia. Das Leben in Aceh wurde restriktiver, und alles, was nach Vergnügen aussah – auch Filme und Musik – wurde mit Argwohn betrachtet.

″Street Punk! Banda Aceh″ film poster (source: mariabakkalapulo.com)
„Revolt, Resist, Rebel!“: Im Dezember 2011 wurden auf Banda Aceh 65 Punks verhaftet, die Irokesen wurden ihnen abrasiert und sie wurden gezwungen, in einem See zu baden, weil man sie für unrein hielt. Der Film "Street Punk! Banda Aceh" zeigt ihre Lebensgeschichte.

Nach und nach wurde immer weniger traditionelle und Unterhaltungsmusik gespielt und mehr religiöse Musik. Punks galten plötzlich als gesellschaftliches Übel und wurden angegriffen, obwohl es vor dem Tsunami eine starke Punk-Szene gegeben hatte. Dem Tsunami sind auch viele Punks zum Opfer gefallen. Auch davon handelt der Film – und von alldem, was die Punks seitdem durchmachen mussten.

Auf welche Geschichte blickt der Punk in Indonesien im Allgemeinen und in Banda Aceh im Besonderen zurück?

Bakkalapulo: Die Musik hat sich im gesamten indonesischen Archipel ausgebreitet. Punks waren schon immer ausgesprochen gut vernetzt. In den 1980er Jahren haben sie Tonträger ausgetauscht, jetzt sind sie in den Sozialen Medien aktiv. Den umfassendsten Eindruck von der Geschichte des Punk in Indonesien gewinnt man, wenn man die Artikel studiert, die u.a. im Time Magazine erschienen sind.

Existiert "Street Punk" hauptsächlich in der Region von Banda Aceh – und wenn ja warum?

Bakkalapulo: Wir haben auch Punks in Java gefilmt, aber wir hatten den Eindruck, dass die Situation der Punks in Banda Aceh ernster ist. Wir wollten ihnen eine Stimme geben.

Als in Nord-Mali der Versuch unternommen wurde, die Scharia in einer streng ausgelegten Form durchzusetzen, was auch ein Musikverbot bedeutete, hieß es, damit sollte die Kriminalität bei den öffentlichen Auftritten verhindert werden. Wurde in Aceh dasselbe Argument benutzt – hieß es da auch, Punks seien eine Bedrohung für die Allgemeinheit?

Bakkalapulo: Ja, natürlich. Punks gelten in Indonesien als sittenlose Kriminelle. Darum geht es in dem Film auch: Die Bevölkerung behauptet, dass Punks stehlen und einen schlechten Einfluss auf die Jugend ausüben – Punks als Sündenböcke. Während ihrer Auftritte ist fast immer die örtliche Polizei oder das Militär in der Nähe.

Indonesien ist ein muslimisches Land, aber in den meisten Gegenden scheint die traditionelle musikalische und kulturelle Vielfalt des Landes noch intakt zu sein. Wie kommt es, dass die Regierung von Banda Aceh eine so strenge Form der Scharia durchsetzen konnte?

Bakkalapulo: Aceh hat einen Sonderstatusinnerhalb Indonesiens inne, es gelten vielfach andere Gesetze.

Einmal wurden Sie bei den Dreharbeiten von der Polizei gezwungen, die Kameras auszuschalten. Gab es noch andere Probleme beim Filmen?

Bakkalapulo: Die Situation war immer angespannt. Ständig sind uns Geheimdienstler gefolgt und haben uns fotografiert. Die Punks werden als Bedrohung angesehen, aber die Medien interessieren sich für sie und das macht sie noch bedrohlicher. Sie lenken negative Aufmerksamkeit auf die Provinz, deshalb will die Obrigkeit sie loswerden.

Im Film konnte man nur einige wenige weibliche Punks sehen. Liegt es daran, dass es in der Gegend nicht gern gesehen wird, wenn sich die Geschlechter mischen, oder ist Punk in Indonesien hauptsächlich eine Sache junger Männer?

Bakkalapulo: Der Kontakt zwischen den Geschlechtern ist mit Verboten belegt, keine Frage. Aber es gibt auch weibliche Punks - und sie sind wirklich großartig. Sie setzen sich besonders dafür ein, dass die Armen etwas zu essen bekommen und sie haben einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft. Es war unsere Entscheidung, sie im Film nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken, weil diejenigen, die sich den Restriktionen widersetzen, durch ihre Kleidung oder den Kontakt mit dem anderen Geschlecht außerhalb der Familie oder der Ehe, unter Umständen streng bestraft werden.

Das Interview führte Richard Marcus.

© Qantara.de 2017

Der Film ist auf DVD nicht erhältlich, man kann ihn aber gegen eine Schutzgebühr, die den im Film Porträtierten zugute kommt, online sehen.

Übersetzung aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff