Fußball, Film und Freiheit in Sudan

Marwa Zein hat eine eindrucksvolle Doku über die sudanesische Frauennationalmannschaft gemacht – wenn der Verband sie denn anerkennen würde. Die Spielerinnen dürfen weder bei ausländischen Meisterschaften ihr Land repräsentieren, noch eine heimische Liga gründen. Von René Wildangel

Von René Wildangel

Filme über die Lage des Frauenfußballs als Gradmesser der Liberalität von Gesellschaften gab es schon öfters auf der Berlinale, allerdings ging es dabei meist um ein anders Land: den Iran, wo Frauen seit Langem darum kämpfen, einerseits selbst ohne Einschränkungen ihrer Leidenschaft als Fußballerinnen nachzugehen, andererseits professionelle Spiele im Stadion zu besuchen.

Das ist offiziell noch immer unerwünscht, wurde aber 2018 erstmals nach Jahrzehnten ermöglicht. Um die iranische Frauenfußball-Nationalmannschaft ging es in dem Dokumentarfilm "Football under Cover" auf der Berlinale 2008, um Frauen, die das Stadionverbot ablehnen in Jafar Panahis Film "Offside", der 2006 auf der Berlinale gefeiert wurde.

Der Sudan ist anders als der Iran nicht unbedingt als Fußballnation bekannt. Auf der Fußball-Weltrangliste der Männer rangiert das Land auf Platz 127 direkt hinter der karibischen Inselgruppe Antigua und Barbuda. Nicht Fußball, sondern der Genozid in Darfur und in den Nuba-Bergen, die Verfolgung von Oppositionellen, die Unabhängigkeit des Süd-Sudans (Platz 164 der Fußball-Rangliste) und der anhaltende Bürgerkrieg haben in den letzten Jahren die meist traurigen Schlagzeilen bestimmt.

Entrechtung von Frauen per Gesetz

An der Fußballbegeisterung der Sudanesen ändert dies freilich wenig, wenn die nationalen Ligaspiele ausverkauft sind oder die in der ganzen Region populäre Rivalität zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid zelebriert wird. Aber die Fußballwelt im Sudan ist eine fast ausschließlich männliche, Frauen sind nicht erwünscht.

Kinoplakat "Khartoum Offside" von Marwa Zein; Quelle: Berlinale 2019
„Wir – die Frauen – dürfen unter der islamischen Herrschaft weder Filme machen, noch Fußball spielen“, wird als Botschaft im Vorspann des Films „Khartoum Offside“ vorweggestellt. Regisseurin Marwa Zein porträtiert in dem Dokumentarfilm mutige Frauen, die sich gegen diese Ausgrenzung auflehnen.

"Wir – die Frauen – dürfen unter der islamischen Herrschaft weder Filme machen, noch Fußball spielen", wird als Botschaft im Vorspann des Films "Khartoum Offside" vorweggestellt.

Regisseurin Marwa Zein porträtiert in dem Dokumentarfilm mutige Frauen, die sich gegen diese Ausgrenzung auflehnen.

Und diese Ausgrenzung funktioniert durch ein von der islamistischen Regierung eingeführtes Gesetz, mit dem systematisch Frauen verfolgt werden: dem sogenannten "Public Order Act". Für "unmoralisches Verhalten" drohen Haftstrafen oder bis zu 40 Peitschenhiebe.

Und unmoralisches Verhalten kann alles sein - das Tragen von Hosen, das Rauchen, Trinken oder auch das Fußballspielen.

"Die Menschen im Sudan haben diese Willkür satt, insbesondere die Frauen. Deshalb gehen sie derzeit auf die Straße und protestieren", sagt Marwa Zein. Allerdings beklagt sie, dass dieser Kampf international kaum Aufmerksamkeit erhalte.

Seit Beginn der sudanesischen Massenproteste gegen die Regierung im Dezember 2017 wurden bereits Hunderte Menschen verhaftet, Dutzende von Sicherheitskräften getötet. In den internationalen Medien herrsche Schweigen, der politische Druck fehle, so die Regisseurin.

Für Zein persönlich war es nicht leicht, diesen Film zu drehen. Ursprünglich sollte sie für eine Frauenrechts-Organisation einen fünfminütigen Kurzfilm über Frauenfußball drehen. Dann wurden daraus drei Jahre Dreharbeiten, weil sie das Thema so faszinierte. "Ich habe aber die ganze Zeit keine Drehgenehmigung erhalten. Ich konnte mir nicht mal eine kaufen", berichtet Zein, womit sie auf die grassierende Korruption im Land anspielt: Hier liegt der Sudan sogar noch weiter zurück als in der Fußballweltrangliste, Platz 172 von 180 Ländern auf dem Index von Transparency International.

Außerdem gibt es im Sudan keine Infrastruktur für Filmförderung oder Finanzierung. Dabei wäre die erfolgreiche junge Frau, die die Filmhochschule in Kairo absolvierte und mit bekannten arabischen Regisseuren arbeitete, eigentlich ein Aushängeschild für ihr Land.

Aber der sudanesischen Regierung ist sie ebenso ein Dorn in Auge wie die Protagonistinnen ihres Films: Sara und ihre Mitstreiterinnen kämpfen für ihre Rechte als Frauenfußballerinnen. Kicken können sie richtig gut und sie würden sich gern in einer nationalen Liga und in internationalen Turnieren messen.

Die junge Generation begehrt auf

Proteste gegen Präsident Al-Bashir am 20. Januar 2019 in Khartum; Foto: Reuters
Proteste jenseits der öffentlichen Wahrnehmung: Im Sudan gehen seit Mitte Dezember immer wieder Tausende Menschen gegen die Regierung auf die Straße. Auslöser der Proteste war ein deutlicher Anstieg der Brotpreise, nachdem die Behörden Subventionen für Mehl gestrichen hatten. Die Regierung lässt die Demonstrationen mit Gewalt niederschlagen. Regierungsangaben zufolge wurden seit dem 19. Dezember 31 Menschen getötet, die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" geht jedoch von mindestens 51 Toten aus.

2019 steht die Frauen-WM in Frankreich an. Aber dafür müssen sie mehr überwinden als eine sportliche Qualifikationsrunde. Sie stemmen sich gegen die offensichtliche Korruption, denn von der FIFA fließt eigentlich ausreichend Geld, um Frauenfußball im Sudan zu fördern.

Mehr als regelmäßige Versprechungen machen die Herren vom sudanesischen Fußballverband jedoch nicht. "Ihr braucht eine Liga mit acht Teams", erklären sie, aber die Einrichtung einer Liga wird per Beschluss der Obersten Islamischen Rechtsgelehrten verboten. Die Spielerinnen setzen ihre Hoffnungen auf Wahlen beim sudanesischen Fußballverband, doch dort werden die immer gleichen Funktionäre im Amt bestätigt, beklagen sie.

Die selbstbewussten jungen Frauen lehnen die rigide Politik der Regierung ab, mit der Frauen systematisch entrechtet werden. Sie machen sich lustig über die willkürlichen Gesetze und die korrupte Herrschaft der alten Männer im Sudan.

Sara träumt davon, in Khartoum eine Bar wiederzubeleben, die einst ihre Familie bis in die Wirren des Zweiten Weltkrieges im Südsudan betrieb. Aber auch dieses Vorhaben scheiterte an der grassierenden Korruption. Und an ihren Wunsch, dort lokales Bier auszuschenken, ist erst gar nicht zu denken.

"Diese Frauen sind unglaublich mutig", meint Marwa Zein, "sie wollen das System überwinden und glauben fest an ihre eigene Macht." Mit ihrem Film will sie auch die klischeehafte Wahrnehmung des Sudans verändern und einen Beitrag zur Überwindung der politischen Misere leisten.

Gerne würde sie ihren Film auch im Sudan vorführen: "In den Vierteln, in denen ich gedreht habe. Aber auch im Westen, in Darfur, in den Nuba-Bergen." Junge Menschen, die Veränderung wollen, gebe es genug. Die jüngsten Proteste im Land geben ihr Recht.

René Wildangel

© Qantara.de 2019