Wenn Revolutionen entgleisen

Mit nie gesehenem Archivmaterial aus dem Iran und Rumänien erzählt Regisseur Vlad Petri die Geschichte zweier Frauen in den Revolutionen in Rumänien und nach dem Sturz des Schah im Iran. René Wildangel hat den Film für Qantara.de gesehen.

Von René Wildangel

Drei Wochen nach der Weltpremiere im Forum der Berlinale in Berlin lief "Între revoluții“ auf dem renommierten Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki. Der Film erzählt eine Freundschaft zwischen zwei Revolutionen, die nicht oft in Zusammenhang gebracht werden: Der iranischen Revolution, die zum Sturz des Schah-Regimes führte und der rumänische Revolution, die das Ende der Ceaușescu-Diktatur bedeutete. Weitere Festival-Stationen stehen bevor, das Thema Revolution in Iran ist mehr als aktuell.



Die Beziehung zwischen der Rumänin Maria und der Iranerin Zahra beginnt während ihrer gemeinsamen Studienzeit in den 1970er Jahren in Bukarest. Zahra kam damals, wie viele Studierende aus dem Iran und zahlreichen Ländern des Nahen Ostens, nach Rumänien, um Medizin zu studieren.



Maria wird ihre beste Freundin, doch dann geht Zahra kurz vor der Revolution zurück in den Iran. Der langjährige, intime Briefwechsel zeugt von ihrer tiefen Verbundenheit, ihrer Freundschaft, ihrer Liebe – und den dramatischen Veränderungen, die in ihren Ländern bevorstehen. 

Hoffnungen im Iran nach dem Sturz des Schah

"Hier passiert etwas Großes“, schreibt Zahra aus Teheran. "Die Zeit ist gekommen, die Leute haben keine Angst mehr.“ Im Iran beginnt die Revolution gegen den Schah. Zahra schreibt von einer unglaublichen Energie, die sie auf den Straßen spürt, einer "Naturgewalt“. Gemeinsam mit ihrem Vater verteilt sie Manifeste gegen den Schah, für Demokratie und: Gegen Imperialismus, eine Sprachregelung, die die Revolutionäre in Ost und West verbindet. Vor allem aber für die Hoffnung auf Freiheit. Ihre Berichte lösen Stolz, aber auch Sorge aus bei der Freundin in Rumänien. 

Ayatollah Khomeini kehrt 1979 zurück aus dem Pariser Exil; Foto: acairan
Ankunft von Ayatollah Khomeini in Teheran 1979 aus dem Pariser Exil: Anfangs waren die Hoffnungen groß auf einen echten Aufbruch groß. Doch die Aufnahmen, die Vlad Petri in seinem Dokumentarfilm „Between Revolutions“ zeigt, belegen wie die Zweifel am postrevolutionären Weg von Khomeinis Projekt einer Islamischen Republik wachsen, die zunehmend konservative und restriktivere Züge annimmt. Bald gehen Frauen in Massen auf die Straße, um für ihre Rechte und gegen den schon früh erlassenen Hijabzwang einzutreten.



Was Zahra erlebt, unterlegt Regisseur Vlad Petri mit eindringlichen, so noch nicht gesehenen Archivbildern des iranischen Fernsehens. Auf den Straßen in Teheran skandieren die Massen jetzt "Allahu Akbar“, ob links, säkular, religiös oder konservativ. Denn es geht einfach nur darum, die lähmende Schah-Zeit zu überwinden. Frauen spielen damals eine zentrale Rolle und man kann diese Bilder natürlich nicht sehen, ohne an die Proteste seit dem Mord an Mahsa Amini, an die neue Revolution zu denken. 

Dass die Briefe von Zahra und Maria nie abgeschickt wurden, sondern aus der Feder der bekannten rumänischen Autorin Lavinia Braniște stammen, die sie für Petris Film geschrieben hat, ist ein kalkulierter Überraschungsmoment am Ende. Ihre Sprache ist so lebendig, so präzise, dass die Zuschauer die Authentizität als selbstverständlich hinnehmen.



Regisseur Petri spielt gekonnt mit der fließenden Grenze zwischen Realität und Fiktion, und verwischt sie bewusst: "Manchmal sind fiktionale Geschichten dokumentarischer als Dokumentarfilme; und manche Dokumentarfilme sind fiktional. Letztlich ist schließlich im Film alles subjektiv“, sagt er im Gespräch mit Qantara.

Zwischen Fiktion und Dokumentation

Tatsächlich gibt es auch ein autobiographisches Element: Petris Mutter studierte wie Maria in den 1970ern, der Sohn entdeckte die Kommilitonen aus dem Nahen Osten auf alten Fotos und kam so auf die Idee zum Film. 

"Mich hat diese Begegnung sehr interessiert“, sagt Petri. "Es ist ja auch eine Begegnung zwischen Ost und West – wobei Rumänien ja ein sehr spezielles, sehr isoliertes Land war, und aus der Perspektive Europas wiederum selbst Teil des Ostens.“ So spielt Petri mit den Perspektiven, ohne je in Klischees zu verfallen. Gerade im Licht der aktuellen Situation im Iran hat er akribisch recherchiert, um ein nuanciertes Bild zu zeichnen.

 

 

Die Liebesgeschichte zwischen Zahra und Maria ist zwar erdacht, aber aus zahlreichen Quellen konstruiert; das meiste Material stammt aus den nationalen Archiven der Securitate, Ceaușescus berüchtigter Geheimpolizei, die die nahöstlichen Studierenden und ihre Beziehungen zu den Rumänen engmaschig überwacht hat. Petri hat mit Historikern gearbeitet, den Film und seine Protagonisten mit vielen Iranerinnen und Iranern diskutiert und erarbeitet. Ein Co-Produzent im Iran hat die beeindruckenden Bilder der Revolution und den folgenden Jahren beschafft. 

In den Aufnahmen werden auch die baldigen Zweifel am postrevolutionären Weg von Khomeinis Projekt einer Islamischen Republik deutlich, die zunehmend konservative und restriktivere Züge annimmt. Frauen gehen in Massen auf die Straße, um für ihre Rechte und gegen den schon früh erlassenen Hijabzwang einzutreten.



Am Tag des Referendums im März 1979 über die Einrichtung der neuen "Islamischen Republik“ werden Passanten im Fernsehen nach ihrer Meinung befragt. Ein Ehepaar mit Kindern ist sich uneinig: Der Mann sagt beiläufig, er wolle zustimmen; sie sagt besorgt, sie werde nicht zustimmen - zu groß ist schon längst die Sorge vor der weiteren massiven Einschränkung von Frauenrechten. 

Das Trauma einer ganzen Generation

Brieffreundin Maria berichtet derweil ihrerseits von zunehmender Unterdrückung in Rumänien. Ständig werde sie von "Männern in schwarzen Mänteln“ verfolgt, der Geheimpolizei, die auch in Wirklichkeit jede Begegnung, jeden Brief unter den Studierenden verfolgte. Die Beziehung zwischen Zahra und Maria und das, was hätte sein können, fällt zunehmend der Entfernung und den Umständen zum Opfer; Maria schreibt, dass sie dem Druck der Familie nachgegeben und geheiratet habe. Es klingt wie eine Kapitulation. 

"Tod den Konservativen“ skandieren die Frauen in den Straßen noch, doch schon bald wird ihr Protest brutal unterdrückt. Der Krieg gegen den Irak (1980-1988) prägt jetzt ein ganzes Jahrzehnt. Das drückt sich auch in den Briefen von Zahra aus, in denen sich das Entgleisen der Revolution widerspiegelt, in die sie so viel Hoffnung gelegt hatte. Die Islamische Republik macht ihr Angst und sie zerstört ihr Leben.



Der geliebte Vater verschwindet, die Behörden raten der Familie, nicht mehr nach ihm zu suchen. "Diese Leute hier sind ganz genau so wie deine Männer mit schwarzen Mänteln“, schreibt Zahra. Später berichtet sie von ihrem fünfzehnjährigen Neffen, der in den Krieg geschickt wird. "Dann werden wir die Familie eines Märtyrers“, schreibt Zahra bitter. Was Petri als Schicksal von Zahra und ihrer Familie in der jungen Islamischen Republik skizziert, steht stellvertretend für das tiefe Trauma einer ganzen Generation. Es gibt kein zurück – vorerst. 

 



 

Auch Rumänien steht ein langer Weg bevor

Während sich eine bleierne Schwere über den Iran legt, beginnt in Rumänien der Aufstand gegen Ceaușescu, die Bilder ähneln jetzt denen aus Iran 1979: Maria denkt zurück an Zahras Briefe aus der Revolution, die Energie in den Straßen, die "Naturgewalt“ – jetzt sind die Menschen in Massen auf den Straßen von Bukarest und rufen "Nieder mit Ceaușescu!“



Aber Maria erinnert sich in der Stunde der Freiheit auch an den Ausgang im Iran und schreibt der Freundin : "Wir sind jetzt frei – aber ich weiß, dass Revolutionen konfisziert werden können.“ Bilder aus der Zeit nach der Wende, der kommenden Privatisierungen, Kommerzialisierung und Verteilungskämpfe deuten an, dass auch in Rumänien noch ein langer Weg bevorsteht. 

Zahra antwortet nicht mehr. Maria trauert um den Verlust der Freundin: "Wann verblassen Menschen auf Papier?“ fragt sie sich. Ob Zahra den Schergen der Islamischen Republik zum Opfer gefallen ist, oder heute, wie viele Frauen ihrer Generation, auf den Straßen Teherans "Frau, Leben, Freiheit“ skandiert, bleibt im Ungewissen. 

Die poetischen und sinnlichen Texte der Briefe, durch die der Regisseur und seine Co-Autorinnen den Film erzählen, sind ebenso ausdrucksstark und komplex wie die großartigen Archivbilder. Im Abspann werden die Studierenden-Ausweise von Iranerinnen in Rumänien gezeigt, die die Geschichte von Zahra und Maria inspiriert haben. Petri ist ein großartiger und besonderer Film gelungen über die Nähe und die Ferne in einer Liebesbeziehung, über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Iran und Rumänien und über die unbändige Kraft der Freiheit.  

René Wildangel

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