Mehr oder weniger offener Rassismus

Sie werden händeringend gesucht und dann doch diskriminiert. Lehrer mit Migrationshintergrund gelten oft noch als "Exoten" an deutschen Schulen. Dabei wünschen sich viele einfach nur Normalität, wie eine Studie zeigt. Von Anke-Martina Witt

Von Anke-Martina Witt

Saraya Gomis ist Lehrerin an einer Berliner Brennpunktschule. Sie möchte nicht darüber sprechen, wie alt sie ist oder wo ihre Eltern herkommen, denn genau das liefert ihrer Ansicht nach immer wieder Potential für Vorurteile und Klischees. "Es reicht zu sagen, dass ich eine schwarze Frau bin", meint die Pädagogin. Und als einzige schwarze Lehrerin ist sie an ihrer Schule immer noch eine Art "Exotin", denn während die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund stetig steigt, stehen ihnen in nur zwischen einem und fünf Prozent Lehrende mit Migrationshintergrund im Klassenzimmer gegenüber, schätzen Experten.

"Meine Schüler sind froh über Vielfalt", beobachtet Gomis. Eine schwarze Schülerin habe ihr sogar einmal gesagt, dass sie gar nicht gewusst hätte, dass Schwarze auch Lehrer werden könnten. "Ich will ihnen zeigen, dass sie alles erreichen können, egal wo sie herkommen", sagt die Pädagogin. Als Exotin empfinden die Schüler sie schon lange nicht mehr.

"Ihr Schwarzen seid eben eher lustig"

Anders sei es dagegen mit manchen Eltern, erzählt Gomis. "Zu meinem ersten Elternsprechtag kamen sehr viele Mütter und Väter, weil sie einmal die schwarze Lehrerin sehen wollten", erinnert sie sich. Das könne natürlich auch positiv gedeutet werden; sie seien eben interessiert. "Es hat aber auch dazu geführt, dass mich einige sogar angefasst haben, um zu versichern, dass sie keine Rassisten sind." So wandelten sich vermeintlich positive Handlungen schnell in Diskriminierung, meint Gomis.

Mehr oder weniger offenen Rassismus erlebt sie auch im Lehrerzimmer. "Keiner meiner Kollegen ist ein überzeugter Rassist", räumt Gomis ein. Die Handlungen und Äußerungen seien viel subtiler. So habe sie Zuschreibungen gehört wie "wir Weißen sind eher intellektuell und ihr Schwarzen seid eben eher lustig".

Saraya Gomis, Lehrerin an einer Berliner Brennpunktschule; Foto: Anke-Martina Witt
Als schwarze Lehrerin wird Saraya Gomis meist mit offenen und versteckten Vorurteilen und Klischees konfrontiert. "Ihr Schwarzen seid eben eher lustig", musste sie sich schon mal im Lehrerzimmer anhören.

Diskriminierung gehört zum Alltag

Mit ihren Erlebnissen ist Saraya Gomis kein Einzelfall. Aysun Kul forscht zurzeit an der Universität Bremen über die Erfahrungen von Referendaren mit und ohne Migrationshintergrund. "Eine Referendarin mit türkischem Migrationshintergrund hat berichtet, dass eine Kollegin sie fragte, ob sie denn einen Deutschen heiraten dürfte", erinnert sich die 37-jährige Wissenschaftlerin. "Das mag vielleicht eine harmlose Frage sein, aber es ist schon fraglich, ob das eine angemessene erste Kontaktaufnahme ist."

In einer ersten bundesweiten Studie zum Thema "Vielfalt im Lehrerzimmer" haben sich die Wissenschaftlerinnen Viola B. Georgi, Lisanne Ackermann und Nurten Karakaş bereits vor vier Jahren mit der Diskriminierung von Lehrern mit Migrationshintergrund auseinandergesetzt. Die Forscherinnen werteten dazu 200 Fragebögen aus und führten 60 biografische Interviews. Das Ergebnis: Mehr als 22 Prozent der Pädagogen erlebten Diskriminierung und Rassismus im Schullalltag. "Die Diskriminierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt", sagt die Leiterin des Hildesheimer Zentrums für Bildungsintegration, Viola B. Georgi. So würden die Lehrer zum Beispiel auf ihren Akzent angesprochen oder müssten Anspielungen auf ihre Religion hinnehmen.

Auf die "Sonderrolle" reduziert

Doch das Bild ist nicht eindeutig. Auf der anderen Seite gab die Mehrheit der Befragten an, im Kollegium viel Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. "Lehrende mit Migrationshintergrund werden unter anderem auch dafür geschätzt, dass sie als Brückenbauer arbeiten, zum Beispiel Elterngespräche übersetzen können", berichtet Georgi. Viele nähmen diese Rolle auch gerne an. Doch das sei nicht immer unproblematisch.

"Sie wollen nicht auf diese Sonderrolle reduziert werden", beobachtet die Wissenschaftlerin. Denn in erster Linie seien die Lehrer ja für alle Kinder zuständig, das gelte auch für Lehrende mit Migrationshintergrund. Aysun Kul bestätigt diese Sichtweise. "Es hängt davon ab, wie die Lehrenden sich selbst sehen, inwieweit ihr Migrationshintergrund für sie eine Rolle spielt", meint sie. "Einige wollen einfach nur Lehrende sein, ohne dass ihre Herkunft im Vordergrund steht."

Wissenschaftlerin Nurten Karakaş; Foto: Anke-Martina Witt
Zwischen Kampfgeist und Resignation: Lehrer reagieren ganz verschieden auf Vorurteile, beobachtet Nurten Karakaş, die zurzeit zu dem Thema promoviert.

Mehr Sensibilität unter Lehrern gefordert

Die befragten Lehrerinnen und Lehrer gehen mit den Diskriminierungserfahrungen ganz unterschiedlich um, berichtet Nurten Karakaş. Sie promoviert zurzeit zu dem Thema. "Die einen sagen, jetzt erst recht. Wir müssen dieses Thema in den Schulen angehen", erklärt die Wissenschaftlerin. Andere würden eher schweigen oder versuchen, sich rechtfertigen.

Einig aber sind sich alle Bildungsexperten darin, dass mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund an den Schulen arbeiten sollten. Die Vielfalt im Klassenzimmer müsse sich auch im Lehrerzimmer widerspiegeln, fordern sie. Nur so könnten die sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede tatsächlich als alltäglich wahrgenommen und gleichberechtigt gesehen werden. Lehrerin Saraya Gomis sieht dabei aber auch die Lehrer ohne Migrationshintergrund in der Pflicht: "Wir brauchen ebenso 'weiße deutsche' Lehrende, die transkulturell ausgebildet und sensibel für Diskriminierung sind."

Anke-Martina Witt

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de