Eine Kommission für Minderheiten unter Ausschluss einer Minderheit

Pakistans Umgang mit den Ahmadis und die Obsession mit religiöser Identität ist symptomatisch für die Radikalisierung der Gesellschaft, die alle Bereiche des Lebens durchzieht und sich in der Gesetzgebung widerspiegelt, meint Mohammad Luqman.

Von Mohammad Luqman

"Naya Pakistan" neues Pakistan lautete die Parole von Imran Khan während seines Wahlkampfes im Jahre 2018. Er wolle das Land von den korrupten Eliten und den politischen Familienclans befreien, die Pakistan seit Jahrzehnten wie Blutegel ausgesaugt hätten, so ließ er es mehrfach damals verlauten.

Die populistischen Wahlversprechen von mehr Gerechtigkeit, Toleranz und besserer Partizipation weckten bei der jungen Bevölkerung große Hoffnungen. Ende 2018 gewann Khan die Wahlen und wurde Premierminister, freilich mit ein wenig Beihilfe des mächtigen "Establishment", dem Militär.

Nach seiner Amtseinführung beschwor er abermals einen Kampf gegen die Korruption und den Extremismus in der Gesellschaft erbittert fortführen zu wollen. Nach fast zwei Jahren im Amt, ist wenig von den versprochenen Veränderungen zu spüren. Kürzlich gerieten Khans enge Vertraute in Korruptionsskandalen und toleranter ist die pakistanische Gesellschaft allemal nicht geworden.

Ahmadiya-Muslime ausgeschlossen

Exemplarisch zeigt sich das am Beispiel der Nationalen Kommission für Minderheiten. 2014 hatte das Verfassungsgericht, nach einer Welle von Übergriffe auf religiöse Minderheiten, der Regierung aufgetragen eine "National Commission for Minorities" ins Leben zu rufen. Die Kommission soll die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte von Minderheiten überwachen und dem Kabinett bei Minderheitenfragen beratend beistehen. Die Regierung beauftragte vor Kurzem das Ministerium für religiöse Angelegenheiten mit der Bildung eines derartigen Forums, worauf der Religionsminister Noor-ul-Haq Qadri, im Kabinett eine Kommission mit Vertretern aller religiöser Minderheiten präsentierte, ausgenommen der Ahmadiya-Muslime.

Als einige Kabinetts-Mitglieder ihren Unmut darüber äußerten und aufforderten den Ahmadis eine Repräsentanz in der Kommission zu geben, löste es eine heftige Kontroverse aus. Islamistische Parteien, Politiker, Gelehrte, Regierungsminister und auch das einfache Volk entluden ihren Zorn und Hass über die Beteiligung der "Qadianis" - pejorative Bezeichnung für Ahmadis - in einem Regierungsgremium.

Pakistans Premier Imran Khan; Foto: DW
Dem Druck der Extremisten nicht standgehalten: Die Regierung Khan hatte eine Teilnahme der Ahmadis in der Kommission kategorisch aus, mit der Bemerkung, die Ahmadiyya-Frage sei eine „religiös und historisch sensible“ Angelegenheit. Islamische Hardliner hatten sich noch bis zuletzt gegen die Einrichtung der Kommission und für eine Verschärfung der Restriktionen für Minderheitsreligionen ausgesprochen. Mit dem Ausschluss der Glaubensgemeinschaft Ahmadiya erfüllte Pakistans Regierung eine zentrale Forderung der Islamisten.

Auf sozialen Medien wurde Mord- und Boykottaufrufe ausgesprochen und die Hashtags "Qadianis die schlimmsten Ungläubigen der Welt" und "Qadianis die schlimmsten Verräter" trendeten mehrere Tage. Der Minister für religiöse Angelegenheiten, Noor-ul-Haq Qadri, sagte wenige Tage später in einem Fernsehinterview: "Wer Sympathie oder Mitgefühl für die Qadianis zeigt, kann nicht loyal gegenüber Islam und Pakistan sein."

Imran Khans "U-Turn"

Die Regierung Khan gab dem Druck nach und schloss eine Teilnahme der Ahmadis in der Kommission kategorisch aus, mit der Bemerkung, die Ahmadiyya-Frage sei eine "religiös und historisch sensible" Angelegenheit.

Eigentlich war das abzusehen. Die erste Kehrtwendung, das in Pakistan als "U-Turn" bezeichnet wird, nahm Imran Khan Ende 2018 kurz nach seiner Amtseinführung. Er hatte seinen Wirtschaftsrat, das "Economic Advisory Council" (EAC), mit renommierten Experten besetzt, unter ihnen, der weltbekannte Ökonom und Professor der Princeton Universität Atif Mian, ein Ahmadi. Atif Mian wird vom IMF zu den Top 25 Wirtschaftswissenschaftlern der Welt gezählt. Die Nachricht von Mians Ernennung rief schnell die religiösen Hardliner auf den Plan, die seine sofortige Absetzung forderten. Khan beugte sich damals dem Druck und zwang den Wissenschaftler vom  EAC zurückzutreten.

Pakistans Umgang mit den Ahmadis und die Obsession mit religiöser Identität ist symptomatisch für die Radikalisierung der Gesellschaft, die alle Bereiche des Lebens durchzieht und sich in der Landesgesetzgebung wiederspiegelt. 1974 wurden die Ahmadis zur nicht-muslimischer Minderheit deklariert, weil sie ihren Gründer Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad als den erwarteten Messias und einen ummati nabi einen innerislamischen Propheten betrachten.

Obsession mit Religionszugehörigkeit

Seit 1984 kriminalisiert neben den berüchtigten Blasphemie-Gesetzen die sogenannte Anti-Ahmadiyya Ordinance XX praktisch alle religiösen Handlungen der Religionsgemeinschaft. So ist es ihnen bei Strafe untersagt, sich selbst Muslime zu nennen, ihre Moscheen als Moschee zu bezeichnen oder "to pose like a Muslim" sich wie ein Muslim zu verhalten, was man darunter auch immer verstehen mag. Daher kann zum Beispiel der einfache Gruß "Assalamu alaykum" (Friede sei mit dir) schon einen Verstoß darstellen. Tatsächlich sind Ahmadis wegen dieser "Vergehen" ins Gefängnis gelandet.

Ausgebrannte Fabrik eines Angehörigen der Ahmadiya  im Jahr 2015 in Jehlum, Pakistan; Foto: Getty Images/AFP
Gezielte Angriffe gegen die als Häretiker gebrandmarkte Ahmadiya-Minderheit: Pakistan ist mehrheitlich sunnitisch-muslimisch geprägt. Seit Jahrzehnten geben Vertreter eines ultrakonservativen und teils extremistischen Islam in Gesellschaft, Politik und Militär den Ton an. Religiöse Minderheiten sowie die islamischen Minderheiten der Schiiten und Ahmadis werden bis heute systematisch unterdrückt und verfolgt.

Trotz wiederholter Kritik von der Uno, HRW, Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen, bleibt die mittelalterliche Rechtsprechung in Kraft. Kritik an dieser Gesetzgebung kann tödliche Folgen haben, wie im Fall von Salman Taseer, dem Gouverneur von Punjab.

Taseer hatte sich für die wegen Blasphemie angeklagte Christin Asia Bibi eingesetzt, und die Blasphemiegesetze "kala qanoon" ("schwarzes Gesetz") genannt. Dafür wurde er am helllichten Tag von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Der inzwischen erhängte Mörder von Taseer wird von einer bereiten Schicht der Bevölkerung wie ein Heiliger verehrt.

Die geächtete Minderheit

Die Ahmadis gehören zu der meist verfolgten und geächteten Minderheit des südasiatischen Landes. In Pakistan kann man politische Gegner und Rivalen leicht unter Druck setzen, indem man ihnen vorwirft "qadiani nawaaz" Qadiani-freundlich oder schlimmer noch gleich ein Qadiani  zu sein.

Allein der Vorwurf zwingt die Beschuldigten in die Defensive und sie müssen zuvorderst ihren "korrekten" Glauben bezeugen. Selbst dem mächtigen Armee Chef Bajwa blieb das nicht erspart. In Basaren und Geschäften hängen vielfach  in aller Öffentlichkeit Poster mit den Worten "Eintritt von Qadians verboten" oder "Qadianis sollen erst in den Islam und dann mein Geschäft betreten". Man warnt vor "Qadiani"-Produkten wie dem beliebten Shezan-Mangosaft, als ob Mangosäfte auch eine Religion hätten.

Tagtägliche Mordaufrufe von Gelehrten wie "qadiani wajib ul qatal hen" (die Qadianis müssen mit dem Tode bestraft werden) bleiben ohne rechtliche Folgen. Als im Jahre 2010 der damalige Premier Nawaz Sharif, nach zwei verheerenden Terroranschlägen auf Ahmadi-Moscheen mit über 80 Toten, die marginalisierte Minderheit mit  unsere Geschwister ansprach, erntete er von den Mullahs heftige Kritik, denn "Qadianis" könnten niemals Geschwister von Muslimen sein.

Jüngst forderte ein Richter des Obergerichts in Islamabad, die Ahmadis sollten bitte hinter ihren Namen den Zusatz "Qadiani" oder "Mirzai" hinzufügen, damit sie besser identifizierbar seien. Ausgestoßener kann man in Pakistan nicht sein.

Indes geht die Hetze in den sozialen Netzwerken unverfroren weiter und in den endlosen Fernsehtalkshows  sprechen alle möglichen Politiker und Gelehrte über die Minderheit. Doch wer dabei nie zu Worte kommt, sind die Ahmadi-Muslime selbst. Sie werden von keinem Mainstream-Medium nach ihrem Standpunkt befragt. Und Ahmadi-Publikationen unterliegen ohnehin seit Jahren einem staatlichen Verbot. Eine Diskussion auf Augenhöhe ist unmöglich und entsprechend beherrscht der einseitige Anti-Ahmadiyya Narrativ den Diskurs.   

Die Ahmadis sind bloße Zuschauer in einem Drama, wo sie angeklagt, verurteilt und bereits bestraft worden sind, ohne dass jemand sie je angehört hätte.

Mohammad Luqman

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