Aufbruch im Silicon Wadi

Mit digitalen Start-ups suchen junge Menschen in Jordanien nach neuen Perspektiven abseits eines Arbeitsmarkts, der ihnen kaum Chancen bietet. Vieler dieser Geschäftsideen haben auch einen sozialen Impuls, der die Gesellschaft voranbringen will. Ein Bericht von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Hello World Kids ist umgezogen; Handwerker verlegen letzte Leitungen. Der Name Hello World Kids klingt ein wenig nach Bonbons und rosa Schleifen. Tatsächlich ist Hanan Khader eine der erfolgreichsten jungen Unternehmerinnen Jordaniens. Ihr Unternehmen logiert im Untergeschoss eines der vielen mehrstöckigen Gebäude im King-Hussein-Business-Park in Amman.

Fit machen für die digitale Zukunft

Khader, Ende 30, ist Software-Entwicklerin und sehr beschäftigt, aber sie nimmt sich zwischen zwei Besprechungen Zeit, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erläutern: Sie will die junge Generation Jordaniens fit machen für die digitale Zukunft. Sie will die Digitalisierung in einer Weltregion voranbringen, die noch zu großen Teilen in der analogen Welt steckt. Vor allem aber möchte sie etwas für junge Frauen tun.

 

Hanan Khader; Foto: privat
Eine der erfolgreichsten jungen Unternehmerinnen Jordaniens: Hanan Khader will mit ihrem Unternehmen Hello World Kids die junge Generation Jordaniens fit machen für die digitale Zukunft. Sie möchte die Digitalisierung in einer Weltregion voranbringen, die noch zu großen Teilen in der analogen Welt steckt. Vor allem aber möchte sie etwas für junge Frauen tun.

Die Idee für ihr Unternehmen ist aus der Enttäuschung entstanden, dass ihre beiden Töchter in der Schule kaum an den Computer herangeführt wurden. Der Unterricht erschöpfte sich darin zu lernen, wie man eine Maus zu bedient. "Kinder müssen heute Programmieren lernen wie Mathematik und Lesen", sagt Khader. Diese grundlegenden Fertigkeiten brauche jeder in der modernen Welt.

2015 hat sie eine einfache, kindgerechte Programmiersprache und einen Lehrplan für Computerkurse an Schulen von der ersten bis zur neunten Klasse entwickelt. Sie entwarf Lehrmaterialien auf Papier und Online und machte dem Erziehungsministerium ein Angebot für den schulischen Unterricht.

Bisher steht Programmieren nicht auf den Lehrplänen öffentlicher Schulen in Jordanien. Einige Privatschulen waren gleich von der Idee begeistert und nach einer Weile war auch das Erziehungsministerium in Amman überzeugt.

Fünf Jahre später hat Hello World Kids bereits mehr als 50.000 Schüler im ganzen Land in Workshops, bei privaten Trainings oder im Unterricht erreicht. Die Idee findet über Jordanien hinaus Anklang. Behörden im Libanon, in Qatar und Oman sind an den Programmen interessiert.

Amman – Drehscheibe für digitale Start-ups

Jordaniens Hauptstadt Amman ist neben Kairo, Beirut und Tunis ein wichtiges Zentrum für digitale Start-ups im Nahen Osten. Im King Hussein Business Park drängt sich ein Büro neben das andere. Genaue Angaben über die Zahl der Gründungen gibt es nicht, dazu ist die Szene zu unübersichtlich.

Die Initiativen nutzen Lücken im Gesundheits- oder Bildungsbereich, sie vermitteln Babysitter, Pflegekräfte, Stylisten und Nachhilfelehrer oder vermarkten neue Produkte online. Viele haben einen sozialen Anspruch und wollen Menschen eine Chance geben, die aus marginalisierten Schichten stammen und auf dem Arbeitsmarkt nur wenig Chancen haben.

Aber die Rahmenbedingungen sind schwierig. Jordanien gilt zwar als eines der wenigen politisch stabilen Länder in einer von Konflikten zerrissenen Region. Aber Mieten und Lebenshaltungskosten nähern sich europäischem Niveau. Amman ist die teuerste Hauptstadt in der Region, während die Armutsrate im Land steigt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 30 Prozent, bei den unter 35-jährigen sind fast 40 Prozent ohne Job.

Aufstiegschancen im Land der Krise

Bevölkerungswachstum, geringe Industrialisierung, Flüchtlingskrise und der Zusammenbruch der Märkte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Jordanien in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt. Arbeit findet heute nur, wer über die richtigen Verbindungen verfügt. Das sorgt für sehr viel Frustration. Proteste und Demonstrationen sind an der Tagesordnung.

In dieser Situation will sich eine junge, gut ausgebildete und digital affine Generation selber Perspektiven schaffen. Im gleichen Gebäude wie Hanan Khader hat auch Ghassan Halawa seine Niederlassung. Der Mittdreißiger ist ein Energiebündel und eine zentrale Figur in der jungen Start-up-Szene. In seinem kleinen Büro ist eine ganze Wand mit Fotos seiner Geschäftspartner dekoriert. Seine Agentur Parachute 16 berät Gründer und deshalb kennt Halawa ihre Geschichten, ihre Erfolge und Niederlagen.

Blick auf Jordaniens Hauptstadt Amman; Foto: picture alliance/dpa
Teures Pflaster Amman: Die Mieten und Lebenshaltungskosten in der jordanischen Hauptstadt nähern sich europäischem Niveau. Amman ist die teuerste Hauptstadt in der Region, während die Armutsrate im Land steigt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 30 Prozent, bei den unter 35-jährigen sind fast 40 Prozent ohne Job.

"90 Prozent aller Start-ups scheitern", sagt er. Sie funktionieren nicht, weil ihr Produkt nicht stimmt, weil es ihnen an Expertise fehlt oder es an der Kommunikation mit den Kunden hapert. Es mangelt ihnen an Kapital oder die kommen nicht mit den bürokratischen Hürden zurecht.

"Gute Idee setzen sich irgendwann durch"

Halawa weiß, wie es sich anfühlt zu scheitern. "Ich habe schon acht Mal ein Unternehmen gegründet, sechs davon sind pleite gegangen", erzählt er mit einem breiten Grinsen. Doch er ist keiner, der so schnell aufgibt. "Gute Idee setzen sich irgendwann durch."

Mit Parachute 16 gelang ihm der Durchbruch. Die Agentur hat mittlerweile 14 fest angestellte Mitarbeiter und einen größeren Kreis von 70 externen Beratern. Sie bietet ihre Dienstleistung erfolgreich im ganzen Nahen Osten an. Geld nehme er von den Start-ups nicht, wie er sagt. Er verdiene durch die Zusammenarbeit mit internationalen Nichtregierungsorganisationen, ausländischen Botschaften und Unternehmen.

Trotz aller Schwierigkeiten glaubt Halawa, dass Start-ups eine große Chance für Jordanien bedeuten. Sie bringen neue Ideen in eine konservative Gesellschaft und flexible Lösungen für einen starren Arbeitsmarkt. "Man muss sie fördern und ihnen Zeit geben." So wie bei der jungen Unternehmerin Alaa Suleiman. Ihr gelang eine wichtige kulturelle Innovation.

Die gelernte Tontechnikerin hat immer gerne Hörbücher genossen, wenn sie im Auto unterwegs war. Allerdings nur auf Englisch, denn arabische Hörbücher gab es zu Beginn des neuen Jahrtausends noch nicht. Eine schmerzliche Lücke, wie sie fand.

Im Jahr 2010 hat sie zusammen mit ihrem Bruder Ala Masmoo3 gegründet, das erste Unternehmen im Nahen Osten, das Hörbücher in arabischer Sprache produziert. Nach einer euphorischen Anfangsphase und einer massiven Krise in 2014 konnte sich Masmoo3 (deutsch "gehört") ab 2018 konsolidieren.

Neben einem eigenen Angebot von rund 100 Büchern für Erwachsene und 350 Kinderbüchern produziert die kleine Firma mit einem winzigen Büro an einer unscheinbaren Geschäftsstraße in Amman auch für Verlage in den Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten. 2.000 Titel will Suleiman bis 2020 im Programm haben. "Hörbücher bieten gerade denjenigen in der Region, die nicht Lesen und Schreiben können, einen anderen Zugang zu Wissen und Unterhaltung", sagt sie.  

Schlechte berufliche Integration von Frauen

Werbekampagne Parachute 16; Quelle: Facebook
Innovativ und kreativ: Mit Parachute 16 gelang Start-up-Gründer Halawa der Durchbruch. Die Agentur hat mittlerweile 14 fest angestellte Mitarbeiter und einen größeren Kreis von 70 externen Beratern. Sie bietet ihre Dienstleistung erfolgreich im ganzen Nahen Osten an.

Es ist kein Zufall, dass viele Frauen in der Start-up-Szene aktiv sind. "Das liegt an einer veränderten Arbeitskultur bei den Digital-Projekten", meint Khaleel Najjar von der nichtstaatlichen Organisation Mercy Corps. "Sie machen es zum Beispiel möglich, von Zuhause aus zu arbeiten."

Das bedeute eine Chance für Frauen, sagt er. Frauen sind in Jordanien schlecht in den Arbeitsmarkt integriert: Nur 15 Prozent aller Frauen sind formal beschäftigt, eine auch im regionalen Vergleich sehr niedrige Zahl. Fehlende Kinderbetreuung, schlecht ausgebauter öffentlicher Nahverkehr und kulturelle Barrieren sind dafür verantwortlich, dass es auch gut ausgebildete Frauen auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben, obwohl sie heute die Mehrzahl der Universitätsabsolventen stellen.

Mercy Corps hat ein dreijähriges Programm zur Unterstützung von digitalen Start-ups aufgelegt.  Eines der ersten unterstützten Projekte war die Geschäftsidee von Mohammed Battikhi mit Bilforon (deutsch "Aus dem Ofen"). Der Jungunternehmer bietet Frauen aus sozial benachteiligten Schichten eine neue Chance.

Er startete 2016 mit seinem Online-Catering und -Lieferservice mit hausgemachten, traditionellen Gerichten. Sie stellen nicht nur eine gesunde und auch kostengünstige Alternative zu den Fast-Food-Gerichten internationaler Ketten, die in Amman überall aus dem Boden schießen. Beim Kochen können sich Frauen, darunter auch syrische Flüchtlinge, ein eigenes Einkommen erwirtschaften.

"Viele Frauen haben Geschäftspotenzial, aber es fehlt ihnen an geeigneten Werkzeugen und Ressourcen, um es zu nutzen", sagt Battikhi. Er konnte seine Geschäftsidee mit einem Kredit von Mercy Corps starten.

Die Beschaffung von Startkapital ist eines der Hauptprobleme für die jungen Gründer. Bankkredite kann sich kaum jemand leisten.

"Jede Bäckerei schafft mehr Arbeitsplätze als eine digitales Start-up Unternehmen", sagt Ghassan Halawa. Ein Allheilmittel gegen die wirtschaftlichen Probleme des Landes sind digitale Start-ups deshalb nicht. Aber sie stehen für eine neue, weniger hierarchische Arbeitskultur, sie bieten all jenen Chancen, die etwas Neues ausprobieren möchten.

Claudia Mende

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