"Weiter Filme machen, ist die beste Rache"

Ein Still aus dem Dokumentarfilm "Sonita" über eine afghanische Rapperin von Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami
Ein Still aus dem Dokumentarfilm "Sonita" über eine afghanische Rapperin von Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami

Drei preisgekrönte Regisseurinnen aus Afghanistan appellieren an die internationale Filmbranche, das afghanische Kino zu retten - und insbesondere Frauen zu unterstützen. Von Christine Lehnen

Von Christine Lehnen

Bei einer Veranstaltung im Rahmen der Berlinale diskutierten die Regisseurinnen Sharhbanoo Sadat, Rokhsareh Ghaem Maghami und Zamarin Wahdat darüber, wie man das afghanische Kino unterstützen könnte. Sie forderten, afghanische Filmemacherinnen, die inzwischen im Exil leben, in bestehende Netzwerke aufzunehmen und ihnen die Finanzierung von Projekten zu ermöglichen.

Die große Bedeutung von Netzwerken betonte vor allen Dingen die Filmemacherin Sadat, die seit ihrer Teilnahme am Filmfestival in Cannes 2016 auch international bekannt ist. Noch vor einem Jahr lebte sie in Kabul. "Ich wollte wirklich an Afghanistan glauben und darauf vertrauen, dass ich dort eine Zukunft habe", berichtete die 30-jährige Filmemacherin bei der Panel-Diskussion des Internationalen Frauenfilmfestivals.

Geboren in Teheran als Kind afghanischer Geflüchteter, kehrte sie im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie nach Afghanistan in ein Bergdorf zurück, mit 18 Jahren zog sie nach Kabul. "Dort hatte ich mir sogar eine Wohnung gekauft." 

Die Rückeroberung Kabuls durch die Taliban im August bereitete ihrem Traum vom Leben als Filmemacherin jedoch ein jähes Ende: Die Taliban ordneten die Schließung der Kinos im Land an - und ob es eine Zukunft für Filmschaffende geben wird, ist ungewiss. Sadat gelang es, Afghanistan im Rahmen der Evakuierungen zu verlassen. In Hamburg nahmen sich Kolleginnen und Kollegen aus der Filmindustrie ihrer an, in diesem Jahr ist sie Mitglied der Berlinale-Jury.

Die Regisseurin Sahraa Karimi ist eine der bekanntesten Filmemacherinnen des Landes (Foto: AFP/Getty Images)
Sahraa Karimi, Vorsitzende der Afghanischen Filmorganisation, studierte in der Slowakei an der Slowakischen Film- und Fernsehakademie. Als die Taliban im August 2021 Kabul einnahmen, haben der Präsident der Akademie sowie die türkische und die ukrainische Regierung ihr geholfen, aus Afghanistan zu fliehen.

Kann ein afghanisches Kino im Exil entstehen?

Während sich Sadat Hoffnungen macht, im Exil afghanische Filme drehen zu können, zeigte sich ihre iranische Kollegin Rokhsareh Ghaem Maghami während der Veranstaltung unter dem Motto "Imagine Afghanistan" (Deutsch: "Sich Afghanistan vorstellen") weniger zuversichtlich: Im Westen würden nur solche Filme finanziert, die immer wieder dieselben Vorurteile über Afghanistan und den Nahen Osten verbreiten würden, sagte sie. "Als ich einen Film über den Iran machte, wurde ich dazu aufgefordert, keine Aufnahmen von den vielen modernen Autobahnen zu zeigen. In Kabul sollte ich keine Fahrstühle zeigen."

Obwohl ihr Dokumentarfilm "Sonita" über eine junge afghanische Rapperin im iranischen Exil beim renommierten Sundance-Filmfestival in den USA ausgezeichnet wurde, brach ihr genau dieser Film fast das Herz, so die Filmemacherin. "Wir müssen die Versionen von Kabul oder dem Iran zeigen, die Menschen im Westen sehen wollen. Sie interessieren sich nicht dafür, wie es dort wirklich aussieht."

 

— IFFF Dortmund+Köln (@frauenfilmfest) February 14, 2022

 

 

Kritik an westlichen Klischees 

Dabei komme insbesondere das Positive zu kurz, fügte Zamarin Wahdat hinzu, eine deutsch-afghanische Regisseurin, die in Hamburg aufgewachsen ist. Der britische Dokumentarfilm "Learning to Skateboard in a Warzone (If You're a Girl)" (Deutsch: "Wie man als Mädchen Skateboardfahren in einem Kriegsgebiet lernt"), an dem sie als Regieassistentin beteiligt war, wurde von vielen Filmfestivals abgelehnt.

Begründung: Er sei nicht "dramatisch" genug. "In Deutschland kann man einfach eine Vater-Tochter-Geschichte erzählen, in der nichts Dramatisches passiert", erklärte Wahdat. "Aber kaum spielt die Geschichte in Afghanistan, ist das auf einmal nicht mehr genug."

Die Diskussion sorgte im Netz für viel Zuspruch. Ihre Hoffnung setzen die drei Regisseurinnen nun auf Filme, die im Exil entstehen können. "Vier, fünf Jahre werden wir brauchen, um neue Sprachen zu lernen und Kontakte zu knüpfen", so Sharhbanoo Sadat. "Aber in zehn Jahren haben wir vielleicht ein afghanisches Kino, das im Exil entsteht." Dabei sei es entscheidend, dass die Perspektive von Frauen mit einbezogen werde, die in Afghanistan nun wieder überall ausgeschlossen werden, fuhr die Filmemacherin fort: "Die beste Rache ist es, weiter Filme zu machen."

Christine Lehnen

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