Ein Freund in der Not

Die libysche Zentralregierung in Tripolis sieht sich von den Europäern im Stich gelassen. Davon profitiert vor allem die Türkei – mit weitreichenden politischen Folgen für das Bürgerkriegsland Libyen. Von Nermin Ismail

Von Nermin Ismail

Bald könnte auch die Türkei im Libyen-Konflikt mitmischen. Geht es nach dem Willen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan stimmt das türkische Parlament seinem Vorhaben bereits in wenigen Tagen zu: Erdoğan will die von den Vereinten Nationen (UN) anerkannte Regierung in Tripolis in deren Kampf gegen den Milizenführer Khalifa Haftar militärisch unterstützen.

Seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 sind die Verhältnisse chaotisch. Mittlerweile haben sich zwei Machtpole herauskristallisiert: die von vielen Staaten und den UN anerkannte Regierung von Fajis al-Sarradsch in Tripolis und die Miliz von General Haftar. Der kontrolliert den Osten des Landes und wird unter anderem von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland unterstützt.

Im April haben Haftars Truppen begonnen, Tripolis anzugreifen. Seine Kämpfer scheinen immer weiter auf die Hauptstadt vorzurücken. Haftars Miliz, die selbsternannte Libysche Nationalarmee (LNA), teilte mit, ihre Kämpfer seien nur noch zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Die sogenannte Einheitsregierung von Sarradsch kontrolliert bisher nicht einmal ganz Tripolis und ist ihrerseits von der militärischen Unterstützung gewisser Milizen abhängig, die wiederum eigene Interessen verfolgen.

Seit dem Beginn der Offensive vor acht Monaten wurden nach UN-Angaben mehr als 280 Zivilisten getötet und mehr als 140.000 Menschen vertrieben. Bereits im November unterzeichnete Sarradsch ein Abkommen mit der Türkei, das Ankara die Entsendung von Luft-, Boden- und Marineeinheiten sowie die Lieferung von Waffen ermöglicht.

"Damit Sarradsch seine Macht erhalten kann, nimmt er die Hilfe der Türkei an", sagt Claudia Gazzini von der "International Crisis Group". "Das heißt aber, dass der Kampf um die Hauptstadt eskalieren wird."

Kampf um Vormachtstellung

Die Europäische Union ist bemüht, einen Waffenstillstand in Libyen zu vermitteln. Eine in Berlin vorgesehene Konferenz im Januar 2020 hat aber laut Libyen-Expertin Gazzini kaum Chancen auf Erfolg: "Im derzeitigen Klima ist fraglich, ob ein Friedensgipfel das Ende der Feindseligkeiten in Libyen herbeiführen kann", so Gazzinni, die als Beraterin für den UN-Sonderbeauftragten in Libyen, Ghassan Salame, tätig war. Außerdem sei General Haftar nicht bereit zu verhandeln und wolle um jeden Preis die Macht ergreifen. Der Warlord wolle den Krieg fortsetzen und werde dies auch tun, solange er die militärische Hilfe von seinen Verbündeten erhalte.

Politische Akteure und Allianzen im libyschen Bürgerkrieg; Quelle: DW
Freund und Feind im Libyen-Konflikt: In dem Maghrebstaat tobt seit dem Sturz des Langzeitdiktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ein Bürgerkrieg. Dabei konkurrieren die von den UN anerkannte Einheitsregierung von Fajis al-Sarradsch und der mächtige General Khalifa Haftar um die Macht. Haftars selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) versucht seit April, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen. Die Türkei beschleunigt daher ihre Pläne für einen Militäreinsatz im Bürgerkriegsland Libyen und will schon bald einen Mandatsentwurf zur Verlegung von Truppen in das nordafrikanische Land vorlegen.

Hinzu kommt, dass sich die Europäer im Libyen-Konflikt nicht einig sind. So steht Italien, wie die meisten EU-Länder, hinter der Sarradsch-Regierung, Frankreich jedoch unterstützt Haftar. Der libysche Politik-Analyst Mohamed Fouad rechnet nicht mit einer aktiven europäischen Rolle: "Die EU kann Haftar nicht unter Druck setzen. Die europäischen Staaten können der Einheitsregierung trotz politischer Unterstützung eigentlich nichts anbieten."

Tripolis "ohne Alternative"

Politikberaterin Gazzini sieht es ähnlich: "Tripolis soll den Krieg beenden, erhält aber keine wirkliche Hilfe von der EU", erklärt die Expertin. Und ungefähr so begründet auch der Chef der UN-gestützten Einheitsregierung das Abkommen mit der Türkei. In einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" erklärte Al-Sarradsch, seine Regierung habe auch Italien um Waffen gebeten, aber keine Antwort erhalten. "Jeder, der uns kritisiert, sollte sich zuerst fragen, was er an unserer Stelle getan hätte - und er wird sehen, dass wir keine Alternative hatten."

International ist die militärische Zusammenarbeit zwischen der Sarradsch-Regierung und der Türkei höchst umstritten. "Die Türkei hat auch einen Pakt über die Kontrolle der mediterranen Gewässer mit der Regierung von Tripolis unterzeichnet", erklärt Gazzini. "Das sehen die Europäer als Verstoß gegen griechisches Recht. Die EU steht diesem Bündnis sehr skeptisch gegenüber."

Für Erdogan indes scheint Libyen vor allem ein weiterer Schauplatz zu sein, auf dem er sein Ringen gegen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten - allesamt Verbündete Haftars - um die Vormachtstellung in der Region austragen kann.

Eine direkte türkische Intervention in Libyen stelle ein reales Risiko der Eskalation des Krieges in Tripolis dar, sagt Claudia Gazzini. Die EU könne diese verlangsamen, doch sie könne Haftar nicht aufhalten. Der einzige Weg, den Krieg zu stoppen und Frieden zu schaffen, sei, einen Waffenlieferungsstopp der internationalen Verbündeten beider Kontrahenten zu erwirken.

Nermin Ismail

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