Gefangen im Interessendreieck Bulgarien-Griechenland-Türkei

Die Pomaken sind Bulgaren, die unter osmanischer Besatzung zum Islam übertraten. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden sie zum Spielball bulgarischer, griechischer und türkischer Politik. Die Lösung ihrer Probleme führt über die EU, so der Politologe Emil Mintchev.

Pomakische Frauen mit Kindern; Foto: AP
Identitätssuche in einem trilateralen Konflikt: mit dem Beitritt Bulgariens zur EU entstehen für die muslimische Volksgruppe der Pomaken neue Perspektiven

​​Die Pomaken, diese über Jahrzehnte fast vollkommen vergessene, in den Gebirgen und Tälern zwischen Bulgarien und Griechenland lebende Volksgruppe, ist bestrebt, die neue Zeit der Demokratie und der Öffnung der Grenzen zu nutzen, um ihre religiöse und kulturelle Identität zu bestätigen.

Für lange Zeit im Konfliktdreieck der Interessen zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei gefangen, eröffnen sich jetzt neue Möglichkeiten in Richtung einer grenzüberschreitenden Suche nach der Entstehungswurzel, der Bewältigung der mitunter tragischen Geschichte und der Perspektiven einer gemeinsamen Kulturentwicklung im vereinten Europa.

Die Pomaken (in Bulgarien ca. 200.000 bis 250.000, in Griechenland ca. 36.000 bis 40.000 Personen und ca. 30.000 in die Türkei übersiedelte Personen) stehen aufgrund ihrer muslimischen Konfession und ihres bulgarischen Dialekts seit dem 19. Jahrhundert im trilateralen politischen Konflikt zwischen Griechenland, Bulgarien und der Türkei:

Die Pomaken als "Faustpfand"

Zum einen entzündete sich der bulgarisch-griechische Konflikt in den Balkan- und beiden Weltkriegen am Streit um die territoriale Zugehörigkeit Thrakiens. Zum anderen dienten die Pomaken der bulgarischen und griechischen Führung als eine Art "Faustpfand" – da die Türkei immer wieder Einfluss auf die Stellung der türkischen Minderheiten in den beiden Ländern zu nehmen versuchte.

Zweimal gab es groß angelegte Versuche, am Vorabend des Ersten Weltkrieges und zwischen 1975-1989, die Pomaken in Bulgarien zu "bulgarisieren" – in erster Linie über die Namen – und somit die konfessionelle und kulturelle Sonderstellung der Pomaken abzuschaffen.

Die Identitätsmuster der Minderheit selbst standen so immer unter dem direkten Einfluss der zwischenstaatlichen Beziehungen: auf der einen Seite über hegemonialer Außenpolitik und die Ideologie des Irredentismus (wonach alle Angehörigen einer ethnischen Gruppe in einem Staatsgebiet vereint leben sollten) – auf der anderen Seite über die Ausgrenzungen seitens der Mehrheitsbevölkerung.

Griechisch-Bulgarische Allianz gegen die Türkei?

Zusammen mit den Türken in Thrakien sind die Pomaken die einzige offiziell anerkannte Minderheit in Griechenland. In den ersten Jahren des Kalten Krieges, als Bulgarien als Feind eingestuft wurde, bezeichnete man die Pomaken als "Türken".

Als später die Spannungen mit Ankara in den Vordergrund rückten, versuchte man in Griechenland, zwischen Pomaken und Türken zu differenzieren. So wurden zum Beispiel auch "Pomaken-Schulen" eingeführt, die auch auf "pomakisches" Lehrmaterial zurückgriffen.

Da Athen seine Muslime in den Rhodopen und in Thrakien eine Zeit lang als "Türken" definierte, sah sich Ankara dazu veranlasst, sich als Sprecher und Verteidiger auch der pomakischen Minderheit zu inszenieren. Die Pomaken wurden so zu einem Spielball der griechischen Innen- und Außenpolitik.

Die Versuche seitens der Partei der türkischen Minderheit in Bulgarien (BRF), sich als politischer Vertreter aller Muslime, inklusive der Pomaken zu etablieren, sind ein zusätzlicher Faktor für gewisse Sorgen in Sofia, könnte dadurch doch der der Einfluss Ankaras auf die Pomaken wachsen. In dieser Frage könnten die beiderseitigen Befürchtungen neue Berührungspunkte zwischen Sofia und Athen entstehen lassen, da auch Griechenland seit einiger Zeit versucht, den türkischen Einfluss auf die Pomaken in Thrakien und in den Rhodopen zu beschränken.

Die Lösung ist europäisch

Der Trend zur Europäisierung in den zwischenstaatlichen Beziehungen, die EU-Mitgliedschaft Bulgariens und Griechenlands sowie die graduelle Annäherung der Türkei an die EU sind aber die beste Garantie für eine sinnvolle Lösung der Konflikte, die – wenn man sie genauer betrachtet – eigentlich nur Scheinkonflikte sind.

Denn parallel zu den politischen Entwicklungen im Zuge der Europäisierung hat sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und den beiden Nachbarstaaten intensiviert. Griechenland ist Handelspartner Nr. 4 für Bulgarien und der drittstärkste Investor. Eine Reihe von gemeinsamen Projekten, wie die Erdölleitung Burgas-Alexandropolis wird die wirtschaftliche Verflechtung weiter intensivieren.

Auch die Wirtschaftsbeziehungen Bulgariens mit der Türkei entwickeln sich gut. Hier werden in Zukunft auch gemeinsame Projekte wie das Wasserkraftwerk "Gorna Arda" in den Rhodopen oder die Nabuko-Gasleitung von Zentralasien über die Türkei und Bulgarien in die übrige EU eine wichtige Rolle spielen.

Griechenland und die Türkei sind traditionelle Handelspartner mit einem wachsenden Trend zur Nutzung der Chancen bei gemeinsamen Projekten vor allem im Energiebereich. Die drei Länder werden in der Zukunft enger zusammenarbeiten, um die Gefahr der Wasserüberschwemmungen im Grenzdreieck erfolgreich zu bekämpfen. Dabei handelt es sich aber um Gebiete, in denen die Pomaken beheimatet sind.

Neben der Öffnung der Staatsgrenzen werden auch die ökonomischen Perspektiven und die neuen politische Freiheiten die Voraussetzungen erfüllen, eine neue – europäisch geprägte – Zukunft für diese immer noch wenig bekannte Volksgruppe sicherzustellen.

Emil Mintchev

© Qantara.de 2007

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