Globalisierung als eine Welt der Vielfalt

Die iranische Soziologin Shahla Shafigh begreift die Globalisierung als Chance, liberale Interessensgemeinschaften stärker zusammenzuführen und den weltweiten Dialog zu fördern. Ein Porträt von Fahimeh Farsaie.

Von Fahimeh Farsaie

 ​​Ihr Name stand auf der Verhaftungsliste der iranischen Revolutionswächter – Shahla Shafigh. Vor rund 20 Jahren musste sie ihre Heimat verlassen. Seitdem lebt die 49-jährige Autorin in Paris, fühlt sich aber keinen Zentimeter von ihrem Land entfernt. Nicht, weil sie in einer nostalgischen Welt lebt, sondern weil für sie der geographische Raum als primärer Bezugpunkt zu ihrem Land an Bedeutung verloren hat. Denn jederzeit kann sich durch elektronische Medien – Internet, Weblage, E-Mail – virtuell im Iran bewegen, sich in Chat-Räumen mit ihren Landsleuten über die Entwicklung der iranischen Studentenbewegung austauschen oder per E-Mail mit ihren Kollegen über islamischen Feminismus diskutieren.

„Diese Möglichkeiten machen die positiven Aspekte der Globalisierung aus. Sie helfen mir, meine ursprüngliche Heimat und meine Wahlheimat aus einer gesunden Distanz wahrzunehmen und damit beschäftigt zu sein. Meine widersprüchliche Situation im Exil spielt dabei auch eine Rolle. Erst in Frankreich wurde mir die Bedeutung meines Ursprungs bewusst“, meint die Soziologin Shahla Shafigh, die an der Pariser Sorbonne promovierte.

Selbstreflexion im Exil

Damals, nach der Islamischen Revolution 1979, war ihr als junge Studentin aus Teheran der Kampf für die Demokratie in ihrem Land wichtiger als ihre ethnische oder nationale Zugehörigkeit. „Nachdem ich 1989 mein Soziologiestudium in Paris absolviert hatte, begann ich mit meinem ersten Buch, in dem ich mich u. a. mit der Frage beschäftigte, warum ich als linke Intellektuelle mit Kopftuch an den Demonstrationen gegen das Schah-Regime teilgenommen habe, obwohl weder ich noch meine Familie strikt gläubig waren.

Selbst meine Großmutter, die als junge Frau mit ihrem Mann in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts nach Baku auswanderte, war keine strenge Muslimin. Sie trug auch kein Kopftuch, als sie ohne meinen Großvater wieder in den Iran zurückkehrte, nachdem ihr Mann in der Stalin-Zeit nach Sibirien verbannt worden war. Obwohl die Geschichte meiner Familie von den Folgen eines ständigen Aus- und Einwanderns und der Verbannung geprägt war, hatte ich anfänglich in Frankreich kein Bedürfnis, mich über meinen Ursprung zu definieren.

Shahla Shafigh

Dies wurde während meiner Lesungen im Publikum oft als 'Selbst-Verfremdung' bezeichnet“, betont Shafigh. Diese Selbst-Verfremdung beschäftigt die Soziologin als leitende Bildungsreferentin in einem interkulturellen Institut, anhand von Fallstudien über Migration und MigrantInnen in Frankreich. „Ich habe mich als Intellektuelle aus einer islamischen Welt in der Diaspora mit meiner Herkunft auseinandergesetzt. Das war auch der Grund, warum ich in meinem dritten Buch versuchte, das Schicksal meiner Generation zu beschreiben - eine Generation, die sich gegen die islamische Regierung auflehnte und deshalb verfolgt, verhaftet, hingerichtet oder verbannt wurde.“

Der Stellenwert von Religion und Politik in der Diaspora

Der Dialog mit anderen Migrantengruppen in Frankreich ist ihr wichtig, meint Shafigh: „In den Gesprächen mit Menschen aus Algerien, Marokko, Tunesien, der Türkei und Frankreich beschäftigen wir uns auf der Basis meiner Bücher mit dem Islam und dem Islamismus, mit dem Verhältnis zwischen Religion und Politik. Wir diskutieren über Macht und deren Ausübung, über die Stellung des Individuums in den westlichen Gesellschaften.

Unsere Situation als Exilanten und Einwanderer ist auch immer ein Gesprächsthema, das mit Rassismus, Gewalt und Diskriminierung in der Zeit der Globalisierung verbunden ist. Dadurch habe ich festgestellt, dass in jedem Land viele Länder existieren. Es gibt ein Land namens Iran, das Hisbollahis vertritt und ein Land, in dem Iraner gegen diese Hisbollahis kämpfen.

Genauso gibt es ein humanes, liberales sowie ein faschistisches und chauvinistisches Frankreich.“ Shahla Shafigh ist der Ansicht, dass die Globalisierung die Chance eröffnet, liberale und humane Gemeinschaften zusammenzuführen. Sie kann eine Brücke schlagen zwischen den Menschen, die sich für eine Welt der Vielfalt einsetzen und Menschenrechtsverletzungen anprangern. Für sie hat Freiheit eine andere Bedeutung als nur frei zu sein, um zu konsumieren. Durch Schreiben würde sie sich aktiv an diesem Prozess beteiligen, meint Shafigh, die nicht nur wissenschaftliche Bücher schreibt, sondern auch bis dato zwei Erzählbände auf Persisch herausgegeben hat.

Globaler Austausch als das einzig Beständige

In ihren Büchern versucht Shahla Shafigh, die individuellen und nationalen Themen zu relativieren, indem sie diese mit globalen Fragen in Beziehung setzt. Das Bewusstsein, einer Welt anzugehören, durchzieht alle ihre Thesen – ein Bewusstsein, das heutzutage das Neue an der zeitgenössischen Phase der Globalisierung darstellt. „Ich versuche, durch Diskussionen mit meinen Kollegen und meinem Publikum Lösungen zu finden, die weder zur Verfremdung von den Ursprüngen führen noch zu einem ‚Ethnozentrismus’.

Es ist ein Prozess, der sich ständig ändert. Wandel ist in diesem globalen Austausch das einzig Beständige.“ Für Shahla Shafigh besteht eine enge Wechselwirkung und Anpassung zwischen ihrer eigenen kulturellen Umgebung, den globalen Kulturen und den nationalen Lebenswelten.

Fahimeh Farsaie

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