Türkische Rechtsextremisten

Wolfsgruß bei einer Kundgebung türkischer Nationalisten und national-konservativer Organisationen in Hamburg.
Wolfsgruß bei einer Kundgebung türkischer Nationalisten und national-konservativer Organisationen in Hamburg.

Der Verfassungsschutz schätzt sie als „rechtsextrem“ ein, die Politik will sie verbieten: Die ultranationalistische Bewegung der „Grauen Wölfe“. Sie stammt aus der Türkei. Dort ist sie die heimliche Macht im Land und politischer Königsmacher. Aus Istanbul informiert Marion Sendker.

Von Marion Sendker

Er brauche nur einen Tag, um etwa eine Millionen Anhänger der Grauen Wölfe in der Türkei auf die Straße zu schicken. „Wenn ich ein paar Stunden mehr Zeit habe, dann kann ich auch zwei, vielleicht drei Millionen mobilisieren“, sagt Azmi Karamahmutoğlu. Er war bis vor 23 Jahren der Führer der ultranationalistischen Bewegung, wird aber noch immer von vielen als Autoritätsperson anerkannt. Denn Karamahmutoğlu ist der Ziehsohn von Alparslan Türkes – dem Gründer der Grauen Wölfe.

Türkes, in den USA von CIA und NATO ausgebildet, rief die Bewegung unter dem Namen „Ülkücüler“ also „Idealisten“, vor mehr als 50 Jahren ins Leben. Sie sollte eine Art nationalistische Gegenbewegung zu den kommunistischen Bestrebungen im In- und Ausland sein. Auf der Jagd nach Linksradikalen und Andersdenkenden sind die Grauen Wölfe damals zum Teil wie Todesschwadronen durchs Land gezogen. Viele Anschläge und hunderte Morde gehen nachweislich auf ihr Konto.

Die „türkischen Nazis“

Heutzutage machen sie in der Türkei vor allem von sich reden, wenn Ortsverbände ethnische oder religiöse Minderheiten bedrohen. Die Hetze macht an den Landesgrenzen nicht Halt. Denn auch im Ausland haben sich die Grauen Wölfe längst organisiert. Attacken auf Armenier, Kurden oder Juden werden ihnen zugeschrieben. Es gibt zudem Berichte, wonach Ortsgruppen der Grauen Wölfe vor allem junge Menschen mit türkischem Hintergrund ansprechen und ihnen rechtsextremes Gedankengut vermitteln.

Azmi Karamahmutoğlu war bis vor 23 Jahren der Führer der ultranationalistischen Bewegung. (Foto: Privat)
"Eine faschistische und rassistische Ideologie": Die "Grauen Wölfe" und ihnen nahestehende Vereinigungen stehen unter Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz (BfV). Es gebe mindestens 11.000 Anhänger in Deutschland, heißt es in dem Jahresbericht der Bundesbehörde aus dem Jahr 2019. Der Bericht verweist darauf, dass es organisierte Vereine sowie unorganisierte Vertreter gebe, die über das Internet kommunizieren. Ihre Überzeugung sei, dass sie einer überlegenen türkischen "Rasse" angehören. Kurden, Armenier, Griechen, Juden und US-Amerikaner würden von ihnen als Feindbilder definiert.

All das hat ihnen über die Jahre den Ruf eingebracht „türkische Nazis“ zu sein. Ein Begriff, den Karamahmutoğlu strikt ablehnt. „Unser Nationalismus zielt darauf ab, die türkische Kultur zu entwickeln und zu bereichern.“ Rechtsextremismus würde dagegen die territoriale Integrität der Türkei gefährden. Und die zu bewahren, sei das oberste Ziel der Bewegung. Ihr Nationalismus sei das, was man in Europa „Patriotismus“ nennt.

„Die Bewegung versteht sich auch nicht als rassistisch“, sagt Karamahmutoğlu im Interview mit Qantara.de. Die Attacken und Massaker der Grauen Wölfe in den 1970er Jahren, bei denen viele Mitglieder ethnischer Minderheiten ums Leben kamen, erklärt er mit dem Kampf gegen den Kommunismus. Die Menschen seien nicht gestorben, weil sie Alewiten, Kurden oder Armenier waren, sondern als vermeintliche Kommunisten. Mit anderen Worten: Die Grauen Wölfe haben sie getötet, um den Kommunismus zu zerstören, weil dieser wiederum den Staat vernichten wolle.

Den Staat zu verteidigen, ist der praktische Ausdruck des Traumes der Grauen Wölfe von „Turan“: Einem Großreich, das alle Turkvölker verbindet – von Asien über Europa bis Nordafrika. Dort leben Menschen unterschiedlicher türkischer Gesellschaften. Dabei geht es nicht um die Republik Türkei, sondern den kulturellen und ethnischen Volksstamm der Türken. Ihr Erkennungszeichen ist der Wolf, der in der alttürkischen, schamanischen Mythologie als zaubernder Helfer verehrt wird.

„Nationalismus hat einen säkularen Charakter“

Der Islam spielt dabei keine Rolle. Trotzdem gelten die Grauen Wölfe seit Jahren auch als Verfechter des Islam. Dass türkisch-nationale und islamische Werte für die Grauen Wölfe untrennbar sein sollen, nennen Akademiker weltweit die „Türkisch-islamische Synthese“. Karamahmutoğlu, hält das für ein Missverständnis. „Nationalismus hat einen säkularen Charakter“, betont er und erinnert daran, dass sich die Bewegung in ihren ersten Jahren für Säkularismus eingesetzt habe.

 

 

In den 1980er und 1990er Jahren hätten die Grauen Wölfe sogar gegen den Islam gekämpft – nämlich gegen den politischen Islam, der später in der Person von Recep Tayyip Erdogan zur türkischen Staatsideologie heraufbeschworen wurde. „Der politische Islam war ein internationales Projekt, das auf den türkischen Nationalismus abzielt. Er ist eine Ideologie wie der Kommunismus.“

Das, was Karamahmutoğlu sagt, steht im Kontrast zur Wirklichkeit der Grauen Wölfe im 21. Jahrhundert. An vielen Universitäten des Landes bedrohen Jugendgruppen der Bewegung ihre Kommilitonen, wenn diese zum Beispiel den Fastenmonat Ramadan nicht einhalten oder das Kopftuch ablehnen. Und in der Regierung koaliert der politische Arm der Grauen Wölfe, die MHP, seit Jahren mit Erdogans islamisch-konservativer AKP.

Es ist kein Geheimnis, dass es sich hierbei um ein Zweckbündnis handelt: Erdogan ist weder Nationalist, noch wollen die Führungspersonen der Grauen Wölfe einen politischen Islam. Sie nutzen die AKP vielmehr als Trittbrett, um ihre politische Macht auszuüben. Nur so konnten sie zum Beispiel in diesem Jahr eine weitreichende Amnestie für verurteilte Mafiabosse und Auftragskiller erreichen. Und die gehören – was wenig überraschend ist – fast alle zum Lager der Grauen Wölfe.

Politischer Opportunismus führte zur Spaltung

Die Kooperation mit Erdogan führte auch dazu, dass sich ein Teil der MHP abspaltete und die IYI-Partei gründete. So etwas ist in der Türkei nicht unüblich und wurde schon einmal im nationalistischen Umfeld als Instrument genutzt, um die eigenen Anhänger woanders zu parken, bis sie wieder zurück zur Mutterpartei konnten. Das kann im Fall der Grauen Wölfe und der MHP erst gelingen, wenn Erdogan weg ist. Bis dahin droht der politische Arm der Bewegung, sich weiter zu spalten.

Auch in der Bewegung selbst gibt es eine Art Trennung. Sie begann an dem Tag, an dem der amtierende MHP-Chef Devlet Bahceli den Parteivorsitz übernahm. Stühle flogen durch den Konferenzraum, in dem er gewählt wurde. Sogar Schüsse fielen. Karamahmutoğlu, der damals zugunsten des leiblichen Sohnes von Alparslan Türkes vom Vorsitz der Grauen Wölfe zurückgetreten war und auch nicht für den MHP-Vorsitz kandidierte, betrat die Bühne und schrie: „Wir erkennen die Wahl nicht an! Es lebe die Illegalität für die Verräter!“

Was er damit meinte: Diejenigen, die Bahceli gewählt hatten, hätten das Erbe von Nationalistenvater Türkes verraten. Unter Bahceli, dem er politischen Opportunismus unterstellte, würde die Bewegung unrechtmäßig sein. Der Satz wurde ihm aber als Aufruf zu mehr Illegalität und als Drohung gegen Bahceli ausgelegt. Um sich zu schützen, ging Karamahmutoğlu für einige Zeit nach Zypern – bis ein türkisches Gerichtsurteil den Satz zu seinen Gunsten auslegte. Derweil entmachtete Bahceli die Bewegung zum Teil. Sie dürfen zum Beispiel keine Demonstrationen oder andere Aktionen mehr ohne seine Erlaubnis abhalten.

 

 

Graue Wölfe in Deutschland: Gegen Assimilierung

Die bewusste Führungsschwäche führte dazu, dass sich die Bewegung veränderte, zum Teil radikalisierte und rechtsextreme bis rassistische Züge annahm. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch im Ausland. Lobten deutsche Politiker in den 1980-er Jahren noch die Grauen Wölfe in der Bundesrepublik, strengen heute nahezu alle Fraktionen im Bundestag ein Verbotsverfahren an.

In Deutschland sollen bis zu 20.000 Graue Wölfe leben. Sie gehören zum Dachverband der Türkischen Föderation Europa. Deren ehemaliger stellvertretender Vorsitzende, Suat Başaran, hält ihre Aktivitäten für rechtmäßig: „Wir sind im Ausland, da auch dort Türken leben. Wir setzen uns gegen Assimilierung ein. Das ist unsere Mission.“

Er und Karamahmutoğlu betonen, dass es keine institutionellen Verbindungen der Europäischen Föderation zu den türkischen Idealisten gebe. Das will heißen: Die türkischen Grauen Wölfe seien nicht für das verantwortlich, was im Ausland passiert. Dort kann die Bewegung machen, was sie will – und sich verändern, wie sie will. In Deutschland operiert sie etwa vor allem über Moscheegemeinden, was in der Türkei undenkbar wäre.

Ein Verbot als Rache an Erdogan?

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir nennt die Grauen Wölfe „den langen Arm Erdogans“ – auch eine Verbindung, auf die in der Türkei niemand kommen würde. Die Wirklichkeit im In- wie im Ausland und die ursprüngliche Ideologie der Bewegung klafften wohl noch nie so weit auseinander wie jetzt.

Ein mögliches Verbot in Deutschland, wie es das schon in Frankreich oder Österreich gibt, wird in der Türkei mit Sorge betrachtet. „Die Antragssteller tragen damit den ideologischen Konflikt zwischen Kommunisten und Nationalisten von der Türkei aus nach Berlin“, sagt Karamahmutoğlu.

Dabei sollten die Politiker sich aber nicht an den Grauen Wölfen abarbeiten, nur um so der Türkei in Gestalt von Erdogan eins auszuwischen. „Die Türken in Deutschland sind nicht Teil dieses politischen Konflikts.“ Die Bewegung oder ihre Symbole zu verbieten, sei eine Bedrohung für die türkische Identität in Deutschland – und würde mehr Probleme schaffen als lösen.

Marion Sendker

© Qantara 2020