Konterrevolution am Golf

Fernab von westlicher Medienaufmerksamkeit versuchen die ölreichen Golfmonarchien der Revolutionswelle in Nordafrika und im Nahen Osten zu entkommen. Bisher sind sie damit nicht nur erfolgreich, sondern schaffen es sogar, die Aufstände für sich strategisch zu nutzen. Von Matthias Sailer

Anders als Tunesien, Ägypten, Libyen, der Jemen oder aktuell Syrien, sind die Länder des Golfkooperationsrates – mit Ausnahme Bahrains – bisher von großen Aufständen verschont geblieben. Diese autokratischen Regimes, also Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Qatar, Bahrain, Oman und Kuwait, hatten jedoch von vorneherein weit bessere Überlebenschancen als Mubarak, Ben Ali & Co.

Zum einen verfügten die meisten aufgrund ihrer großen Öleinnahmen über die Möglichkeit, ihre einheimischen Bevölkerungen mit materiellen Wohltaten, zum Beispiel Jobs im Staatsektor oder kostenlose Gesundheitsversorgung, milde zu stimmen. Zum anderen hatten es einige Scheichs aber auch verstanden, durch kluge Investments der Ölgelder den Respekt ihrer Untergebenen zu gewinnen: in den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Beispiel ist es schwierig, einheimische Emiratis zu finden, die mit ihrer Situation derart unzufrieden sind, dass sie ihre Herrscher stürzen wollten. Dieser Respekt geht über reine Stammesloyalität weit hinaus.

Materialismus und Identitätskrise

Das soll jedoch nicht heißen, dass es keine Probleme gäbe. Im Gegenteil: In den VAE hat die rasante wirtschaftliche Entwicklung zum Beispiel zu einem massiven Zuzug von Gastarbeitern geführt, so dass Emiratis nur noch rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Einhergegangen damit ist ein extremer Materialismus und die Verwestlichung des Alltags: In den unzähligen Shopping-Malls ist es keine Seltenheit, voll verschleierte Muslimas neben langbeinigen Blondinen in Hotpants zu sehen. Diese Entwicklung hat zu einer handfesten Identitätskrise vieler Einheimischer geführt.

Demonstration von Regierungsgegnern im Oman; Foto: dpa
Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit und Armut: Der seit 40 Jahren herrschende Sultan Kabus bin Said musste im Februar 2011 dem Druck der Straße nachgeben und versprach die Schaffung von 50.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sowie eine Arbeitslosenunterstützung von umgerechnet rund 280 Euro pro Monat.

​​Vor diesem Hintergrund überrascht es also nicht, dass Kritik gegen die Politik einiger Herrscher aufkommt. Diese ist in solchen Staaten am stärksten, wo die sozialen und ökonomischen Probleme am größten sind: Im wenig bekannten Sultanat Oman, das nicht über derart große Öleinnahmen wie etwa die VAE verfügt, gingen im Februar 2011 Tausende auf die Straßen und forderten bessere Lebensbedingungen.

Das Regime im inzwischen ebenfalls ölarmen Bahrain, das den Großteil der schiitischen Mehrheitsbevölkerung diskriminiert, ließ einen im Februar 2011 begonnenen Aufstand blutig niederschlagen. Selbst im reichen Saudi-Arabien kam es zu kleineren Aufständen in der östlichen, nahe Bahrain gelegenen Schiitenregion, die jedoch schnell unterdrückt wurden.

In Kuwait setzte das Parlament den Emir und die Regierung mächtig unter Druck. Und im November 2011 gingen rund 50.000 Menschen auf die Straße und zwangen den Premierminister wegen Korruptionsverdachts zum Rücktritt.

Die Angst der Regenten

Die Herrscher dieser Länder haben es inzwischen mit der Angst bekommen. Sie wollen keinerlei Risiko eingehen, am Ende trotz ihres Reichtums das gleiche Schicksal zu erleiden wie die Diktatoren Ägyptens, Libyens, Tunesiens oder bald auch Syriens. Selbst die zum Teil in der Bevölkerung beliebten Scheichs der VAE haben deshalb inzwischen begonnen, jegliche politische Opposition und Forderungen nach mehr politischer Partizipation im Keim zu ersticken: Laut Angaben des "Emirates Center for Human Rights" befinden sich gegenwärtig 50 politische Gefangene in den Gefängnissen der VAE. Allein im Juli wurden mindestens 37 Blogger, Schriftsteller, Dichter und Anwälte verhaftet.

Shopping Mall in Abu Dhabi; Foto: AP
Tendenz zur Verwestlichung: "In den unzähligen Shopping-Malls ist es keine Seltenheit, voll verschleierte Muslimas neben langbeinigen Blondinen in Hotpants zu sehen. Diese Entwicklung hat zu einer handfesten Identitätskrise vieler Einheimischer geführt", schreibt Sailer.

​​Einige wurden inzwischen in Drittländer ausgewiesen, nachdem ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Die Staatsmedien rechtfertigen das Vorgehen oft mit der Zugehörigkeit zu einer Organisation, die angeblich verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, die Nationale Sicherheit gefährdet und vom Ausland mitgesteuert werden würde. Gemeint ist die "Al-Islah", eine ideologisch der Muslimbruderschaft nahestehende islamistische Gruppierung.

Söldnertruppen für die Scheichs

Die Maßnahmen der Golfstaaten gegen politische Unruhen gehen jedoch noch viel weiter. Bereits im Mai letzten Jahres wurde bekannt, dass die VAE unter Beteiligung des Gründers der berüchtigten privaten Söldnerfirma „Blackwater“ kolumbianische Söldner in der Wüste Abu Dhabis ausbildet. Solche Söldnertruppen werden häufig von autoritären Regimes eingesetzt, da ausländische Soldaten weniger davor zurückschrecken, gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen.

Auch Bahrains Herrscher hat eine große Zahl vor allem pakistanischer Kämpfer für seine Sicherheitsdienste rekrutiert. Selbst die Diskussion über eine Vereinigung des winzigen Emirats Bahrain mit Saudi-Arabien kann als vorbeugende Maßnahme zur besseren Kontrolle der dort immer wieder aufflammenden Proteste gegen das Regime interpretiert werden. Die Golfmonarchien stellen die meisten dieser Schritte als vorbeugende Maßnahmen gegen die angebliche Bedrohung durch den Iran dar.

Letztlich ist es jedoch die Angst vor dem Export der Revolutionen, vor allem aus dem inzwischen von der Muslimbruderschaft mitregierten Ägypten, die die Golfstaaten dazu veranlasst, solche Maßnahmen zu ergreifen. Die Korruption, westliche Lebensweise und auch die sozialen Missstände bieten Angriffsfläche für religiöse Kritik an den Regimes. Das Verhalten der Golfmonarchien gegenüber den Revolutionsstaaten ist daher als aggressiv zu bezeichnen.

Der Golf als rote Linie

Erst Ende Juli hat Dubais Polizeichef Dahi Khalfan die Muslimbruderschaft auf eine Ebene mit dem Erzfeind Iran gestellt: "Die Brüder und ihre Regierungen in Damaskus und Nordafrika müssen wissen, dass der Golf eine rote Linie darstellt, nicht nur für Iran, sondern auch für die Brüder. (…) Wir müssen auf der Hut und wachsam sein, denn je größer diese Gruppen werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Ärger verursachen." Der besagte Polizeigeneral hatte die ägyptische Muslimbruderschaft in den letzten Monaten immer wieder scharf angegriffen.

Der saudische König Abdullah und der iranische Präsident Ahmadinedschad auf dem OIC-Gipfel in Mekka; Foto: Reuters
Regionaler Gegenspieler Ahmadinedschad: Saudi-Arabien fürchtet den wachsenden Einfluss des Iran auf die Golfregion und die Unterstützung der schiitischen Bevölkerungsgruppe im Königreich

​​Auch die Beziehungen mit Saudi-Arabien sind spannungsgeladen. Die letzte Eskalation fand nach der Festnahme des ägyptischen Menschenrechtsanwalts Ahmed Al-Gizawi in Saudi-Arabien statt, woraufhin es zu Demonstrationen vor der saudischen Botschaft in Kairo und daraufhin vorübergehend zum Abzug des Botschafters kam.

Der Anwalt strengte in Saudi-Arabien ein Gerichtsverfahren für die Freilassung von ägyptischen Gastarbeitern an, die ohne Anklage in saudischen Gefängnissen inhaftiert sind. Bei Einreise in das Land wurde der Anwalt wegen angeblichen Drogenschmuggels festgenommen und ist seitdem zu einem Politikum geworden.

Die Furcht vor dem Revolutionsexport ist im Königreich noch weiter gewachsen, seitdem mit der demokratischen Wahl Mohammed Mursis zum neuen ägyptischen Präsidenten die Muslimbruderschaft dort direkt an der Staatsführung beteiligt ist.

Es ist eine gefährliche Situation für das saudische Königshaus, da die Muslimbruderschaft seit jeher eine aktive Rolle des Islam in der Politik vertreten hat: Seit Beginn ihrer Verfolgung unter Gamal Abdel Nasser Mitte der 1950er Jahre befand sich die Organisation in Opposition zum herrschenden Regime. Das Recht auf Widerstand gegen diktatorische Herrscher wurde seitdem Teil der Ideologie der Bruderschaft. Ganz anders in Saudi-Arabien: Der dortige erzkonservative Klerus genießt beträchtliche religiöse Freiheiten und wird vom Königshaus auch finanziell großzügig bedacht.

"Unislamische" Aufstände

Im Gegenzug unterstützt er nahezu bedingungslos das autoritäre Regime der Al-Sauds. Das äußert sich zum Beispiel in den Aussagen des saudischen Großmuftis, der Aufstände im Regelfall als unislamisch diffamiert. Im April sagte er der Zeitung Al-Watan: "Die Spaltung, die Instabilität, die schlechte Sicherheitssituation und der Zusammenbruch der Einheit der islamischen Länder, mit der die islamischen Staaten im Moment konfrontiert sind, sind ein Ergebnis der Sünden und des Zuweitgehens der Öffentlichkeit".

Ägyptischer Gastarbeiter vor der Scheich Said Moschee in Abu Dhabi; Foto: dpa
Zucker, Brot und Peitsche: "Ob diese gemischte Strategie aus finanziellen Wohltaten, Scheckbuchdiplomatie und Unterdrückung die Golfregimes in ihrer jetzigen Form am Leben erhalten wird, werden die nächsten Jahre zeigen", schreibt Sailer.

​​Doch Ägyptens Muslimbruderschaft hat vorerst klein beigegeben und den Saudis versichert, die Revolution nicht an den Golf exportieren zu wollen. Der unter extremen Druck stehende Präsident Mursi ist sich wohl bewusst, dass er den Ägyptern in den nächsten Monaten spürbare soziale und ökonomische Verbesserungen vorweisen muss.

Ein Konflikt mit Saudi-Arabien wäre dabei pures Gift: Dadurch würde er die monatlichen Überweisungen (2011 waren es insgesamt rund acht Milliarden US-Dollar) der über 1,7 Millionen ägyptischen Gastarbeiter gefährden. Und auch die milliardenschweren Hilfen der Golfstaaten würden wohl in weite Ferne rücken. Für die ohnehin schon desaströse Wirtschafts- und Finanzsituation Ägyptens wäre das nicht zu verkraften.

So sind die Golfstaaten zumindest auf absehbare Zeit vor dem Revolutionsexport geschützt und können sich gegenüber ihren Bevölkerungen gleichzeitig brüsten, mit Waffenlieferungen die gegen das Assad-Regime kämpfenden Widerstandskämpfer der Freien Syrischen Armee zu unterstützen.

Ob diese gemischte Strategie aus finanziellen Wohltaten, Scheckbuchdiplomatie und Unterdrückung die Golfregimes in ihrer jetzigen Form am Leben erhalten wird, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Chancen dafür stehen zumindest kurz- bis mittelfristig gut.

Matthias Sailer

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de