Die ewigen Geburtswehen der Islamischen Republik

Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei und General Hossein Salami, Chef der Revolutionsgarden, nehmen am 13. Oktober 2019 an einer Abschlussfeier für Kadetten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) in der Imam-Hussein-Universität in Teheran, Iran, teil.
Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei und General Hossein Salami, Chef der Revolutionsgarden, nehmen am 13. Oktober 2019 an einer Abschlussfeier für Kadetten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) in der Imam-Hussein-Universität in Teheran, Iran, teil.

Die Islamische Republik Iran war seit ihrer Entstehung im Jahr 1979 stets von Sanktionen begleitet. Je mehr das Regime sich etablierte und seine Macht in der Region ausbaute, desto ausgeklügelter wurden die Sanktionen, die dem Land die Luft abschnüren. Werden sie jemals enden? Hintergründe von Ali Sadrzadeh

Von Ali Sadrzadeh

"Armut ist mein Stolz und das erhebt mich über alle Propheten vor mir." Dieses bekannte Zitat des Propheten Mohammed hat derzeit im Iran Konjunktur. Soll man, wie der Prophet, stolz sein, weil man arm ist? Kommt der Mensch in Not tatsächlich dem Schöpfer näher? Und wie soll man sich in Zeiten der Knappheit und des Mangels verhalten?

Mit diesen und ähnlichen Fragen müssen sich die Gelehrten der Islamischen Republik dieser Tage mehr denn je beschäftigen. Denn in Zeiten der Sanktionen und der Corona-Pandemie ist die Kraft des Faktischen erdrückend. Alle reden und klagen über Armut, Verteuerung und Knappheit – Realitäten, die sich nicht mehr kaschieren lassen. Sogar die Nachrichtenwebseite Fars, die den Revolutionsgarden nahesteht, ist gezwungen, sich täglich dieses Themas anzunehmen.

Aber die Kardinalfrage bleibt: Warum und wo begann der Weg des Iran in diese Ausweglosigkeit? Wer hat diese unbestreitbare Misere verursacht? Waren es die erstickenden US-Sanktionen oder war es das hausgemachte Missmanagement der eigenen Regierung, gepaart mit überbordender Korruption? Welcher Präsident ist verantwortlich für die kaum erträglichen Lasten und Leiden? Donald Trump oder Hassan Rouhani? Und wie kommt man aus der Sackgasse heraus? Jeder hat seine eigene Antwort und niemand eine Lösung.

Die ewige Feindschaft der USA

Parlamentarier, Prediger und Propagandisten in Funk und Fernsehen kommen dieser Tage im Iran nicht umhin, über die unübersehbare Misere zu reden, die das Land erfasst hat. Jeder von ihnen hat seine eigene Erklärung, warum Iran so wurde, wie es ist. Doch den wahren Gründen für die ausländischen Sanktionen können und dürfen sie nicht zu nahekommen, sonst wanken die Koordinaten des ganzen Systems.

 

Für die Beantwortung der Sanktionsfrage genügt ihnen ein Wort: Feindschaft. Die USA seien von Anfang an ein Feind der Islamischen Republik gewesen, sie seien es bis heute und sie würden es immer bleiben, weil sie die Herrschaft des revolutionären Islam nicht duldeten. Das ist des Rätsels Lösung, damit sei die Geschichte der über 40 Jahre andauernden Sanktionen erzählt.

 

Ganz falsch ist dieses Narrativ nicht. Doch mit dem politischen Islam allein kann man diese alte Gegnerschaft nicht erklären. Sonst hätte man Schwierigkeiten, die Nähe der USA zu den Steinzeit-Islamisten in Saudi-Arabien zu verstehen, zu den afghanischen Taliban oder jenen Diktatoren, die sich ein islamisches Antlitz geben. Die Gründe der US-Feindschaft gegenüber dem Iran muss man nicht im Islam, sondern in den Ereignissen der vergangenen 40 Jahre suchen. Sie haben die Beziehung zwischen Teheran und Washington geprägt.

 

Sanktionen als fester Begleiter

 

Sanktionen gehörten im Grunde genommen zu den Geburtswehen der Islamischen Republik. Doch je mehr dieses Kind heranwächst, umso stärker wurden die Schmerzen, die ihm die Sanktionen bereiten, heute, wo die Islamische Republik bald 42 Jahre alt wird.

Der 11. Februar 1979 ist der offizielle Siegestag der Islamischen Revolution, also der Tag des endgültigen Sturzes der Monarchie. Doch der eigentliche Sieg der Revolutionäre fand am 4. November 1979 statt. Was an diesem Tag passierte, nannte Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini später „die zweite Revolution“. Die Stimmung war am Morgen dieses Tages gereizt in Teheran.

 

"Tod Amerika!", skandierten an diesem Tag mehrere hundert revolutionstreue Studenten vor der US-Botschaft, einige Dutzend von ihnen kletterten über den Zaun und drangen gewaltsam in das Gebäude ein. Sie brachten 66 US-Diplomaten in ihre Gewalt, 52 von ihnen wurden über ein Jahr lang als Geiseln gehalten. Khomeinis zweite Revolution war vollbracht, die provisorische zivile Regierung trat zurück, die radikale Geistlichkeit war am Ziel.

 

Am 4. November 1979 entstand eine Feindschaft, die immer noch viele im Iran ebenso wie in Amerika für unüberwindbar halten.

 

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Von Mossadegh bis Salman Rushdie

Die Wurzeln der antiamerikanischen Stimmung, die sich an diesem Tag entlud, lagen damals schon fast drei Jahrzehnte zurück: Es war der Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh am 13. August 1953. Die Volksmeinung über diesen Tag lässt keinen Zweifel zu: Hinter dem Sturz standen die CIA und Amerikas Durst nach dem Rohstoff Öl.

Fast 47 Jahre später, im März 2000, räumte die damalige US-Außenministerin Madelaine Albright zwar erstmals eine Beteiligung der USA an diesem Staatsstreich ein. Einen Monat danach veröffentlichte die New York Times Dokumente, die die Schlüsselrolle der CIA beim Putsch gegen Mossadegh beschrieben. Doch dieses Geständnis blieb folgenlos. Die Eiszeit zwischen Iran und USA, die mit der Botschaftsbesetzung in Teheran begann, ließ sich nicht so leicht beenden.

Unmittelbar nach der Geiselnahme der amerikanischen Diplomaten beschloss die US-Regierung eine Importsperre für iranische Güter. Doch die Islamische Republik tobte weiter.

Noch befanden sich die Diplomaten in der Geiselhaft, als am 22. September 1980 der Krieg gegen den Irak begann. Er dauerte acht Jahre und in dieser Zeit stand die Islamische Republik unter einem weltweiten Waffenembargo, während der irakische Diktator Saddam Hussein sich in fast allen Ländern der westlichen Welt Kriegsmaterial besorgen konnte.

Dieser Krieg war auf dem Höhepunkt, als am 18. April 1983 bei einem Terroranschlag auf die Botschaft der USA in Beirut 60 US-Soldaten getötet wurden. Unmittelbar danach erklärte US-Präsident Ronald Reagan den Iran zum „Sponsor des internationalen Terrorismus“. Wieder wurden die Sanktionen verschärft.

 

 

Kaum war der Iran-Irakkrieg vorbei, erließ Ayatollah Khomeini 1989 eine Todes-Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wegen dessen Buch "Die satanischen Verse“. Damit galt die Islamische Republik nicht nur für die US-Regierung, sondern für viele in der westlichen Welt als „Schurkenstaat“. Aus Protest gegen die Todes-Fatwa zogen alle EU-Staaten ihre Botschafter aus dem Iran ab. Wieder einmal sollten Sanktionen folgen.

 

Drei Jahre später, am 17. September 1992, ermordete ein Todeskommando auf Befehl aus Teheran vier iranische Oppositionelle im Berliner Restaurant Mykonos. Ein Berliner Gericht stellte später in seinem Urteil fest, beinahe die gesamte Spitze der Islamischen Republik sei in dieses Attentat involviert gewesen. Als Reaktion darauf sprachen sich alle Parteien in der Bundesrepublik für ein Ende des „kritischen Dialogs“ der Europäischen Union mit dem Iran aus. Es folgten: unterschiedliche Sanktionen.

Das kurze Tauwetter von 1997, als Mohammed Chatami zum Präsidenten gewählt wurde, konnte das Eis nicht dauerhaft brechen. Während Chatami auf der öffentlichen Bühne der Weltpolitik für den "Dialog der Kulturen" warb, lief im Geheimen etwas explosives ab, das bis heute das weltweite Sanktionsregime gegen den Iran bestimmt. 2002 war nämlich bekannt geworden, dass die Teheraner Machthaber zwei Nuklearanlagen betrieben, eine Urananreicherungsanlage in Natanz und einen Schwerwasserreaktor in Arak. Iran hatte sich offenbar daran gemacht, Kernwaffen zu produzieren.

Die Lage wurde kritisch, als die Internationale Atomenergiebehörde IAEA im Spätsommer 2003 in Natanz Spuren von angereichertem Uran fand. Der Iran habe sein Nuklearprogramm 18 Jahre lang geheim gehalten, berichtete die Agentur später. Seitdem läuft in unterschiedlichen Geschwindigkeiten beides weiter: die Urananreicherung in Irans Atomanlagen ebenso wie die internationalen Sanktionen.

Unzählige Sanktionen

Es gibt unzählige verschiedene Sanktionen: UN-Sanktionen, die für alle Staaten der Welt verbindlich sind, Sanktionen einzelner Regierungen, die ihre speziellen Probleme mit Teheran haben und schließlich die US-Sanktionen, die umfassend, universell und für die Teheraner Machthaber besonders schmerzhaft sind. Die Geschichte der Hintergründe und Ursachen dieser Sanktionen liest sich oft wie ein spannender Krimi.

US-Präsident Barack Obama gibt 2016 im Weißen Haus in Washington eine Erklärung zum Iran ab. Foto: Reuters/Y. Gripas
"Lähmende Sanktionen": Obwohl gemeinhin mit dem weltweit bejubelten Atomabkommen in Verbindung gebracht, gab es unter Barack Obama die härtesten Sanktionen gegen den Iran. Außenministerin Hillary Clinton wurde in ihrem Hardliner-Ansatz von dem Diplomaten Dennis Ross unterstützt, einem Falken, der für das Iran-Dossier zuständig war. Ross, der in Washington als Israel-Lobbyist bekannt ist, schlug vor, iranische Unternehmen zu sanktionieren, von denen angenommen wird, dass sie Verbindungen zur größten Bank des Landes, der Bank Melli, haben.

Seit ihrer Gründung hat die Islamische Republik sieben US-Präsidenten erlebt, von Jimmy Carter bis Donald Trump. Männer unterschiedlichen Charakters und verschiedener politischer Präferenzen in der Innen- und Außenpolitik.

Doch bei allen politischen Unterschieden blieb die US-amerikanische Politik in all diesen Jahren bei den Sanktionen gegen Iran konstant. Die Sanktionen begannen mit Reagan und seine Nachfolger setzten die Sanktionsspirale, jeder auf seine Art, fort. Eine kurze Pause gab es nur in jenen Jahren, als man „das Ende der Geschichte“ feierte: nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 und 1991. In dieser historischen Ära Anfang der 1990er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war George Bush Senior mit Wichtigerem als den Sanktionen gegen Iran beschäftigt.

Sein Nachfolger Bill Clinton aber drehte weiter an der Spirale. Wegen der Unterstützung von Terroristen und wegen des Strebens nach Massenvernichtungswaffen erließ er 1995 ein umfassendes Handelsembargo gegen den Iran. George Bush Junior ging noch weiter und erklärte die Islamische Republik zur „Achse des Bösen“, er ging sogar bis an die Schwelle eines heißen Krieges.

Auch Obama verschärft die Sanktionen

Dann kam der Hoffnungsträger Barack Obama. Seine Präsidentschaft gilt gemeinhin als Zeit der Entspannung und Annäherung an den Iran, denn mit Obama assoziiert man das weltweit gefeierte Atomabkommen. Doch so seltsam es klingen mag: Die Obama-Jahre waren eine Ära härtester Sanktionen gegen den Iran. Zwar sprach sich Obama zu Beginn seiner Amtszeit für einen „konstruktiven Neuanfang“ mit Iran aus. Doch seine Außenministerin Hillary Clinton war Anhängerin der sog. „lähmenden Sanktionen“, die sonst eher von Hardlinern gefordert wurden.

Während Obama im Geheimen eine Lösung für das Problem des iranischen Atomprogramms suchte, betraute er den Diplomaten Dennis Ross, einen Falken, mit dem Iran-Dossier. Ross war in Washington als Israel-Lobbyist bekannt. Unter Bill Clinton war er Verhandlungsführer für den Nahen Osten und schon damals Sondergesandter für den Iran. Ross war es, der vorschlug, jene iranischen Unternehmen zu sanktionieren, denen man Verbindungen zum größten Geldhaus des Landes, der Bank Melli, nachsagte. Weitere Sanktionen sollten folgen.

 

Der US-Kongress beschloss Ende Oktober 2009 eine bis dahin beispiellose Verschärfung der Sanktionen. Sie sollten den Erdölexport, Irans Haupteinnahmequelle, komplett zum Erliegen bringen. Die USA drohten allen ausländischen Finanzinstituten, die Geschäfte mit der iranischen Zentralbank oder mit anderen auf US-Listen geführten iranischen Finanzinstituten betrieben, mit dem Verlust ihrer Bankkonten in den Vereinigten Staaten.

Dies traf auch alle ausländischen Zentralbanken, wenn sie ihre Ölverkäufe über die iranische Zentralbank abwickeln wollten. So wurden nicht-amerikanische Staaten dazu gezwungen, kein Erdöl mehr aus dem Iran zu beziehen. Alle Firmen, die Benzin in den Iran exportierten oder an der Entwicklung der maroden iranischen Ölindustrie beteiligt waren, wurden bestraft.

2010 wurden dann erstmals Sanktionen gegen führende Mitglieder des iranischen Regimes wegen Menschenrechtsverstößen erlassen, 2011 war die petrochemische Industrie an der Reihe, die eine weitere wichtige Einnahmequelle des Landes darstellt.

Im Februar 2013 wurden Sanktionen gegen staatliche iranische Rundfunkanstalten und deren Verantwortliche beschlossen, mit dem Argument, sie würden die iranische Opposition zensieren. Alle diese Sanktionen blieben auch nach dem international gefeierten Atomabkommen in Kraft. Präsident Trump erbte und verschärfte sie weiter.

"Biden should take a clear stand — with Germany, France and Britain — that there will be no new negotiations until nationals of these countries held hostage in #Iran are set free and the Islamic Republic quits this savage practice," writes @jrezaian. https://t.co/WWEwx1QaPC

— Hadi Ghaemi (@hadighaemi) January 26, 2021

Trump stopfte die letzten Löcher – und was macht Biden?

Nachdem Donald Trump im Mai 2018 den Austritt aus dem Atomabkommen verkündet hatte, machte er sich daran, die letzten noch verbliebenen Löcher zu stopfen, durch die die Islamische Republik die Sanktionen umgehen konnte. Ende April 2019 hob er die Ausnahmegenehmigungen auf, mit denen einige Länder für sechs Monate Ölgeschäfte mit dem Iran machen durften. Ziel war es, den Iran von den fünf wichtigsten Käufern seines Öls – China, Indien, Japan, Südkorea und der Türkei – abzuschneiden. Und das Ziel wurde erreicht.

Erdölexporte, die diesen Namen verdienen, tätigt der Iran derzeit nicht mehr. Mit sechs bis sieben Millionen Barrel pro Tag war er einst der zweitgrößte Erdölexporteur der Welt. Heute verkauft das Land auf Umwegen oder über den Schwarzmarkt täglich etwa 750.000 Barrel, jedoch selbst das ohne normale Banktransaktionen, das heißt bei den Geschäften wird oft Öl gegen Ware angeboten.

Wann und unter welchen Bedingungen US-Präsident Joe Biden zum Atomabkommen zurückkehren wird, ist ungewiss. Sicher ist allerdings, dass auch unter Biden fast alle Sanktionen einstweilen Bestand haben werden. Denn Biden bräuchte für ihre Aufhebung die Zustimmung des US-Kongresses. Und dort gibt es genug Abgeordnete, die eine Lockerung der Fesseln des Iran ablehnen – unter ihnen auch viele Demokraten.

Ali Sadrzadeh

© Iran Journal

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