Die junge Demokratie stärken!

Viele Tunesier sind enttäuscht von der EU. Sie kritisieren den fehlenden Willen der Europäer, die Handelsbeziehungen fairer zu gestalten, so dass die tunesische Wirtschaft eine Chance bekommt, sich wieder dynamisch zu entfalten. Von Isabel Schäfer

Von Isabel Schäfer

Als letzter übriggebliebener Hoffnungsträger des Arabischen Frühlings von 2011 hat sich Tunesien als einziges auf den steinigen Weg eines demokratischen Transitionsprozesses begeben, der bis heute andauert.

Viele Meilensteine wurden in dem nordafrikanischen Land nach dem Sturz Ben Alis erreicht, wie z.B. eine neue Verfassung, freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, Parteienpluralismus und politische Freiheiten; andere Meilensteine sind noch in Arbeit, wie z.B. ein unabhängiges Verfassungsgericht und freie Kommunalwahlen, geplant für Mai 2018.

Die ohnehin schwierige Umbruchsituation in Tunesien wurde durch eine Serie von Terroranschlägen 2015 und 2016 verschärft. Insbesondere die wirtschaftliche Lage spitzte sich zu und beginnt sich erst heute sehr langsam etwas zu erholen. Doch die soziale Situation bleibt angespannt, was sich in immer wieder aufflammenden sozialen Protesten niederschlägt, zuletzt im Januar 2018. Auch die Mittelklasse ist von dem seit 2011 schwieriger gewordenen Alltag betroffen, sei es durch die Preiserhöhungen oder anhaltend hohe Arbeitslosigkeit.

Die seit August 2016 amtierende Regierung unter Youssef Chahed bemüht sich nicht nur die Wirtschafts- und Finanzkrise in den Griff zu bekommen, sondern auch durch eine Kampagne gegen die weitverbreitete Korruption vorzugehen und die massive Steuerflucht einzudämmen. Viele Tunesier sehen hierbei jedoch keinerlei konkrete Erfolge und auch keine Verbesserung ihrer Lebenslage, sondern eher eine Verschlechterung.

Keine "Revolutionsrendite"

Die Stimmen, welche mit einer gewissen Nostalgie an die vermeintlich "guten alten Zeiten" unter dem autoritären und korrupten Ben-Ali-Regime erinnern, werden indes immer zahlreicher. Sowohl weite Teile der Zivilbevölkerung als auch der politischen und wirtschaftlichen Klasse haben das Gefühl, dass sie für den demokratischen Transitionsprozess erhebliche Opfer gebracht haben und weiterhin bringen, jedoch bis heute keine "Revolutionsrendite" eingetreten ist.

Tunesiens Ministerpräsident Youssef Chahed; Foto: Getty Images/AFP
Politisch brüskiert: Dass ausgerechnet die Europäische Union Ende 2017 Tunesien auf die Liste der Steuerparadiese gesetzt hatte, empfand vor allem die Chahed-Regierung als eine herbe Missachtung bzw. Nicht-Anerkennung ihrer bisherigen Reformbemühungen. Seitdem sind die Beziehungen zu Brüssel mehr als angespannt, auch wenn Tunesien sich auf diplomatischer Ebene nun um Schadensbegrenzung bemüht.

Und, dass nach der großen weltweiten Euphorie für den "tunesischen Frühling", das internationale Interesse am Schicksal Tunesiens nachgelassen hat und das Land mit seinen post-revolutionären Schwierigkeiten sich mittlerweile mehr oder weniger alleine gelassen fühlt, bzw. zu unrecht kritisiert wird.

Dass ausgerechnet die Europäische Union Ende 2017 Tunesien auf die Liste der Steuerparadiese gesetzt hatte, empfand vor allem die Chahed-Regierung als eine herbe Missachtung bzw. Nicht-Anerkennung ihrer bisherigen Reformbemühungen. Seitdem sind die Beziehungen zu Brüssel mehr als angespannt, auch wenn Tunesien sich auf diplomatischer Ebene nun um Schadensbegrenzung bemüht.

Im Januar 2018 wurde die Negativeinstufung zwar bereits wieder aufgehoben, aber im Februar 2018 folgte das nächste Debakel, als das EU-Parlament es ablehnte, Tunesien von der schwarzen Liste der Länder zu nehmen, die ein Geldwäsche- oder Terrorismusfinanzierungsrisiko darstellen. Für die junge und noch fragile Demokratie, die seit den Terroranschlägen von 2015 zusätzlich mit Wirtschafts- und Finanzkrisen zu kämpfen hat, sind derartige Hiobsbotschaften ein schwerer Rückschlag. Premierminister Youssef Chahed beschloss u.a. den Chef der Zentralbank zu entlassen.

Rückgriff auf Instrumente der Ben-Ali-Diktatur?

Die Sorgen über den Imageverlust Tunesiens in der Welt, sind aufgrund der weiterhin zu geringen Auslandsinvestitionen und Touristenzahlen mittlerweile so groß, dass nun geplant ist, die unter dem Ben-Ali-Regime gefürchtete Auslandsagentur "Agence tunisienne de communication extérieure" (ATCE) mit einer veränderten Struktur wiederzubeleben.

Die ATCE funktionierte wie eine Art Propagandabehörde, die repressiv gegen regimekritische Medien vorging, ausländische Journalisten kaufte, und Informationen über das Regime und Tunesien gegenüber dem Ausland massiv kontrollierte (inklusive die Überwachung von E-Mail-Verkehr, das Zurückverfolgen von IP Adressen) und diese manipulierte.

Arbeitslose Jugendliche in Tunis; Foto: DW
Gewachsene Perspektivlosigkeit der jüngeren Generation: Doch Hoffnung und Euphorie aus dem Jahr 2011 sind längst verschwunden. In den monatlichen Umfragen des tunesischen Meinungsforschungsinstituts Sigma zeigten sich zuletzt im Schnitt nur knapp 28 Prozent der Befragten mit der Lage des Landes zufrieden. Die größten Probleme sehen die meisten Menschen bei der lahmenden Wirtschaft und der weiterhin verbreiteten Korruption im Land.

Nach der tunesischen Revolution von 2011 wurde die ATCE 2012 aufgelöst. Journalisten und die Journalisten-Gewerkschaft "Syndicat National des Journalistes Tunisiens" (SNJT) warnen vor einer Rückkehr alter Methoden. In der Tat, wäre die 2011 gewonnene Pressefreiheit durch eine Wiedereinrichtung der ATCE bedroht. Regierungsvertreter hingegen verweisen auf andere Staaten, wie z.B. Marokko, die auch in internationale Image-Kampagnen investieren.

Gestaltung fairer Handelsbeziehungen

Ungeachtet dessen herrscht in der internationalen Gemeinschaft - und auch in der internationalen Berichterstattung - ein weitestgehend positives und anerkennendes Bild von Tunesien vor, was sich de facto auch in der steten Weiterbewilligung von Krediten, Transformationsgeldern, Fonds oder Sonderprogrammen seitens der internationalen Geber und auch seitens der EU-Institutionen und Mitgliedstaaten der Europäischen Union niederschlägt.

Es besteht also eine gewisse Schieflage zwischen der Wahrnehmung seitens Tunesiens benachteiligt zu sein und der tatsächlichen finanziellen Unterstützung durch die EU. Dennoch muss die EU sich fragen, ob die wirtschafts- und handelspolitischen Beziehungen, die sie Tunesien anbietet, wirklich zielführend und nicht vor allem in ihrem Eigeninteresse erfolgen.

Zwischen einer EU-28 (511 Millionen Einwohner) und dem Land Tunesien (11 Millionen Einwohner) bestehen natürlich erhebliche ökonomische Ungleichgewichte und unausgewogene politische Machtverhältnisse. Es geht nicht darum, dass die EU zusätzlich Millionen Euro für die tunesische Transition zur Verfügung stellen soll, sondern vielmehr darum, wie das strukturelle Ungleichgewicht etwas besser abgefedert werden kann und wie die Handelsbeziehungen fairer gestaltet werden können, so dass die tunesische Wirtschaft eine Chance hat, sich wieder dynamisch und nachhaltig zu entfalten und somit auch den sozialen Herausforderungen zu begegnen.

Die EU wünscht sich von Tunesien aber spätestens seit der Flüchtlingskrise und den Terroranschlägen in Europa vor allem eine engere Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, in der Anti-Terrorismus-Bekämpfung und bei der "Migrationsverhinderung". Dies stärkt wiederum die restaurativen Kräfte in Tunesien und nicht die liberale junge Demokratie.

Isabel Schäfer

© Qantara.de 2018

Isabel Schäfer ist freie Politikwissenschaftlerin und Dozentin an der Humboldt-Universität zu Berlin.