Mitgliedschaft als Mittel zum Zweck

Die Betawi-Bruderschaft steht im Ruf, in der organisierten Kriminalität aktiv zu sein, den öffentlichen Raum mit Gangs zu kontrollieren und ein extremistisches Islambild zu predigen. Welches Ansehen sie dennoch bei Jakartas Jugendlichen hat, schildert Grace Leksana.

Mitglieder der Betawi-Bruderschaft in Jakarta; Foto: Ian Wilson
Die Betawi-Bruderschaft, die sich vor allem als Sprachrohr der benachteiligten ethnischen Gruppe der Betawi betrachtet, wurde 2001 in Jakarta gegründet und soll heute bis zu 100.000 Mitglieder zählen.

​​Es war gegen drei Uhr nachmittags, als ich mich mit Dede und Yono unterhielt, zwei jungen Männern aus Kampung Lio, im Osten Jakartas. Dede und Yono gehören zur "Betawi-Bruderschaft" ("Forum Betawi Rempug"), eine der umstrittensten Organisationen der indonesischen Hauptstadt.

Die "Betawi-Bruderschaft" (FBR) sagt, dass Ethnizität und islamische Werte die Basis ihre Arbeit bildeten und dass sie als Betawi, also als ursprünglich in Jakarta lebende Bevölkerungsgruppe, inzwischen an den Rand der Gesellschaft Jakartas gedrängt worden seien.

Was immer ihr eigentlicher Beweggrund sein mag, ist festzustellen, dass die Gewaltakte des FBR und ihr Verhältnis zu Jakartas politischen Führern und Geschäftsleuten die Aufmerksamkeit der Medien und Wissenschaft auf sich gezogen haben.

Gewalt und ethno-religiöser Fundamentalismus

Ihr gewalttätiger Charakter macht die "Betawi-Bruderschaft" in den Augen vieler zu einer einzigen Gruppe von Kriminellen, politischen Gangstern oder auch ethno-religiösen Fundamentalisten.

Kürzlich gab das FBR an, die Zahl ihrer Mitglieder, meist junge Männer um die 20 bis 30 Jahre, sei angeblich auf 1,2 Millionen in Jakarta angestiegen. Doch vorsichtige Schätzungen gehen von einer deutlich geringeren Zahl aus. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, weshalb es relativ viele junge Menschen in die Bruderschaft zieht?

Bei allem, was über das FBR geschrieben wurde, blieb bisher kaum versucht, die Organisation aus der Perspektive ihrer eigenen Mitglieder zu betrachten. Bei meinen Untersuchungen stellte ich fest, dass die jungen Männer, die sich dem FBR anschließen, keineswegs alles Gauner, Kriminelle oder ethnische und religiöse Fundamentalisten sind.

Viel eher nutzen sie das FBR, um in einer oft brutalen großstädtischen Umgebung zu überleben.

Ohne Perspektive auf einen Job

Junge Mitglieder der Betawi-Bruderschaft in Jakarta; Foto: Ian Wilson
Bruderschaft als "Beschäftigungsmotor"</wbr>: Viele junge Mitglieder des FBR nutzen das Organisationsnetzwerk, um in der Megametropole Jakarta einen Job zu finden, der ihnen die Existenz sichert.

​​ Indonesiens Behörden definieren sämtliche Bürger im Alter zwischen 15 und 29 Jahren als Jugendliche, weshalb sie in Schätzungen von etwa drei Millionen dieser Jugendlichen allein in Jakarta ausgehen. Demnach stellen sie insgesamt 30 Prozent der gesamten Bevölkerung.

Bezeichnenderweise berichtete das Ministerium für Jugend und Sport 2008, dass die Arbeitslosenquote bei diesen jungen Leuten bei 19,5 Prozent liege, also etwa zwei- bis dreimal höher als der Durchschnitt.

Das bedeutet, dass junge Menschen eine überdurchschnittlich hohe Belastung durch Arbeitslosigkeit tragen müssen – gehört doch mittlerweile mehr als jeder zweite in Jakarta ohne oder kaum ausreichender Arbeit zur Gruppe jener jungen Menschen. Unter ihnen sind auch die jungen Leute der "Betawi-Bruderschaft".

Der Teufelskreis aus schlechter Bildung und unzureichenden Arbeitsmöglichkeiten drängt viele von ihnen an den Rand der Gesellschaft und belässt sie in einem Niemandsland: nicht mehr jung, und doch auch noch nicht zu erwachsen.

Der 22jährige Yono beispielsweise lebt seit seiner Geburt in Kampung Lio. 1998 schloss er der Primarschule ab und wechselte in die Mittelstufe, brachte die Schulbildung jedoch nicht zu Ende. Seine Eltern konnten die Schulgebühren für ihn, seine Schwester und seinen Bruder schließlich nicht mehr aufbringen.

Beschäftigung als Frage der Identität

Seit dieser Zeit ist er auf der Suche nach einem festen Job, bisher vergeblich. Wirklich dauerhaft beschäftigt war er nur einmal: als er noch in einer Möbelfabrik arbeitete, die jedoch nach sechs Monaten wieder ihre Tore schließen musste, nachdem der Besitzer gestorben war. Seitdem ist Yono wieder arbeitslos.

Müllsammler bei Jakarta; Foto: AP
Seit dem Ende seiner Beschäftigung in einer Möbelfabrik musste Yono viele Gelegenheitstätigkeiten im informellen Sektor annehmen: Zeitungen verkaufen, Müll sammeln oder Motorräder waschen.

​​ Für Yono ist es schwierig, eine geregelte Arbeit zu finden. "Mit einem Abschluss von der Grundschule ist es sehr schwer, einen Job zu finden. Andere haben eine höhere Schulbildung oder Beziehungen zu den Arbeitgebern der Fabriken", sagt er.

Seit der Zeit in der Möbelfabrik ging Yono vielen kleinen Gelegenheitstätigkeiten nach, alles im informellen Bereich: Zeitungen verkaufen, Müll sammeln oder Motorräder waschen.

Yonos Situation ist vergleichbar mit der vieler junger Indonesier. Dede, Yonos bester Freund, ist 19 Jahre alt und lebt mit seinem Vater, seiner Stiefmutter und zwei jüngeren Brüdern zusammen. Die schwierigen finanziellen Verhältnisse seiner Familie zwangen ihn dazu, die Schule schon nach der Mittelstufe abzubrechen. Auch für Dede war es schwer, eine Anstellung zu finden.

So wichtig das Geld für den Lebensunterhalt der beiden jungen Männer auch sein mag, so bedeutet eine geregelte Arbeit nicht nur ein festes Einkommen. Vielmehr geht es auch um den sozialen Status und die Identität – die Anerkennung, jung und männlich zu sein. Arbeitslosigkeit bedeutet dagegen sozialen Ausschluss.

Als etwa Dedes Freunde Arbeit fanden, verbrachten sie fortan keine Zeit mehr mit ihm. "Warum sollten wir uns weiter mit Arbeitslosen abgeben?", zitiert Dede einen von ihnen.

Die Geschichten von Yono und Dede, wie so viele andere, erzählen uns davon, dass die Bedeutung des Wortes "jung" nicht nur etwas mit dem Alter zu tun hat. Vielmehr geht es um Erfahrungen in der Ausbildung und in der Arbeitswelt. Junge Menschen werden normalerweise entweder in der Schule oder bei der Arbeit gesehen.

Motivation für den Einstieg bei der Bruderschaft

Arbeiter in Jakarta; Foto: AP
Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen bedeutet eine geregelte Beschäftigung nicht nur ein festes Einkommen. Es geht vielen Jugendlichen auch um den sozialen Status und die Identität, schreibt Grace Leksana.

​​ Die strukturellen Gegebenheiten großstädtischer Armut und unzureichender öffentlicher Einrichtungen, die der Grund für den Schulabbruch vieler junger Menschen sind, hindern sie auch am Einstieg ins Berufsleben. Genau diese Situation ist es, die auch Dede und Yono dazu veranlasste, sich dem FBR anzuschließen.

Wie Yono und Dede ist auch Rudy Mitglied beim FBR. Mit 32 Jahren ein wenig älter als die beiden, arbeitet er seit drei Jahren als Wachmann bei einer der Fabriken nahe Kampung Lio. Nachdem er die High School 1995 beendet hatte, schlug auch er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durch und machte so ziemlich alles, mit dem sich ein wenig Geld verdienen ließ.

Neue Hoffnung, eine richtige Arbeit zu finden, schöpfte er erst, als in Kampung ein lokaler Ableger des FBR gegründet wurde. Rudy schloss sich der Organisation sofort an, in der Hoffnung, so schneller an einen Job zu kommen. Schon nach kurzer zeit der Verhandlungen des FBR mit der Werksleitung bekam er schließlich eine Anstellung in der Sicherheitsabteilung der Fabrik.

Rudy schätzt die Unabhängigkeit und die neue Identität, die er durch seine feste Anstellung gewonnen hat. Selbst für Dede, der keiner Beschäftigung nachgeht, bedeutet das kleine Einkommen, das er jetzt vom FBR bekommt, ein Gefühl von Unabhängigkeit.

Entgegen seines erklärten Auftrages, sich ausschließlich für die Rechte der Betawi einzusetzen, scheint sich das FBR jedoch nicht nur für diese zu engagieren.

Als ich Dokumente zur Organisation des FBR las und Berichte einiger Mitglieder, stieß ich auf ein paar erstaunliche Fakten. Ich stieß auf einige Mitglieder anderer ethnischer Gruppen, unter anderem aus dem Volk der Maduresen, die gemeinhin als Erzfeinde der Betawi angesehen werden.

Islamische Prinzipien und illegale Praktiken

Zum anderen stellt sich das FBR als eine Massenorganisation dar, deren Wertesystem islamischen Prinzipien folgt. Die Methoden, die es tatsächlich anwendet, reflektieren dieses Selbstbild jedoch nicht.

In den letzten Jahren verzeichneten die Medien eine ganze Reihe illegaler Akte des FBR, von der Eintreibung von Zwangssteuern über gewaltsame Protestaktionen bis hin zur Verwicklung in Korruption und Bestechung in Wahlkampfzeiten.

Und doch sind es in vielerlei Hinsicht eben diese Widersprüche, die es der Jugend von Jakarta erlauben, Lösungen für einige ihrer Probleme zu finden. In Rudys Fall "verhandelte" das FBR mit einer lokalen Fabrik, um gegen die Gewährleistung von Werksicherheit die Einstellung von FBR-Mitgliedern zu erreichen. Diese Beziehungen zur Fabrik sollten noch zu weiteren Arrangements führen.

Yono, Dede und Rudy eröffnete die Mitgliedschaft im FBR neue Möglichkeiten, ein – wenn auch – bescheidenes Einkommen zu beziehen. Ihr Hauptmotiv, sich dem FBR anzuschließen, bestand eher darin, Arbeit zu finden und dadurch die gewünschte Unabhängigkeit zu erlangen, als für den Islam zu kämpfen oder sich für die Rechte der Betawi einzusetzen.

"Ich bin kein fanatischer Anhänger des FBR. Ich will bloß einen Job finden", meint Rudy. Für viele junge Menschen aus der städtischen Mittel- und Unterschicht, die gezwungen sind, die Schule abzubrechen und unmittelbar mit der prekären Arbeitsmarktsituation konfrontiert sind, können die Kontakte und die gesellschaftliche Stellung des FBR sehr nützlich sein.

Doch diese Unabhängigkeit und Unterstützung bei der Jobsuche hat ihren Preis. Um in den Genuss dieser Vergünstigen zu kommen, wird von den FBR-Mitgliedern erwartet, dass sie an den Aktionen des FBR partizipieren – auch wenn sie sich dagegen sträuben.

Darüber zu sprechen, fiel den jungen Männern, die ich befragte, nicht gerade leicht. Und schnell wurde klar, dass sie ihre "Unabhängigkeit" im Tauschhandel gegen die Unterwerfung und Abhängigkeit vom FBR erlangt hatten.

Tatsächlich bieten seit der Abdankung Suhartos im Jahr 1998 bieten vor allem ethnisch ausgerichtete Organisationen wie das FBR arbeitslosen und schlecht ausgebildeten, jungen Indonesiern Chancen, wieder Fuß im Arbeitsmarkt zu finden.

Und unabhängig davon, worin die erklärten Ziele des FBR im Einzelnen bestehen und wie sehr auch die Medien sie als "ethnisch-religiöse Fundamentalisten" abstempeln: Für viele junge Menschen sind es oft ganz praktische Gründe für den Eintritt in das "Betawi Bruderschafts-Forum": Arbeit, Identität und Überleben.

Grace Leksana

© Inside Indonesia 2009

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Grace Leksana arbeitet am "Indonesian Institute of Social History".

Qantara.de

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