Die Odyssee der Mogulzeit in Indien

Die "Hamzana" wird als das bedeutendste mündlich überlieferte Epos der indo-islamischen Welt angesehen. Die Geschichte erzählt die faszinierenden Heldentaten des Amir Hamza, dem Onkel des Propheten Mohammed. Nun erschien eine Aufsehen erregende englische Übersetzung eines pakistanisch-kanadischen Autors. Richard Marcus stellt das Buch vor.

Bild: Wikipedia
Indische und persische Elemente verschmelzen miteinander. Das Manuskript der "Hamzana" aus dem 16. Jahrhundert, aus der Sammlung Maria Sarre-Humann.

​​ Die Abenteuer des Amir Hamza, oder auch Hamzana genannt, wird als eines der großen Werke der klassischen Urdu-Literatur angesehen. Die englische Übertragung, die ich unlängst las, ist das Werk des in Pakistan geborenen kanadischen Schriftstellers Musharraf Ali Farooqi, der einen zuerst von Ghalib Lakhnavi 1855 zusammengestellten Text ebenso als Quelle benutzte wie eine erweiterte Fassung von Abdullah Bilgrami aus dem Jahr 1871.

Auch wenn diese Version in der Sprache des Mogulreiches geschrieben wurde, dem islamischen Großreich, das eine Fläche vom heutigen Pakistan bis hinunter nach Kalkutta bedeckte, reicht die Geschichte mehrere Jahrhunderte zurück. Denn auch wenn das Mogulreich seinen Zenit der kulturellen Aufklärung von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts erreichte, wird gesagt, dass ältere Versionen der Abenteuer des Amir Hamza schon im 7. Jahrhundert unserer Zeit erzählt wurden.

Eine wild wuchernde Geschichte

In den Anmerkungen zur Geschichte des Epos, die Farooqi seiner Übersetzung beifügte, erzählt er, dass man früher meinte, die Geschichte sei ursprünglich zu Ehren des Onkels des Propheten Mohammed, Hamza Bin Abdul Muttalibs, zusammengestellt worden, der bei der Verteidigung Mekkas gestorben war. Eine andere Überlieferung behauptet jedoch, es ginge um einen persischen Abenteurer namens Hamza Bin Abdullah, der erst im frühen 8. Jahrhundert lebte.

Was wir aber sicher wissen, ist, dass der Stil der Arbeit als "dastan" bekannt war, ein Typus einer mündlich überlieferten Abenteuergeschichte. Mit den Jahren wurden immer mehr zusätzliche Episoden und Abenteuer hinzugefügt. Doch auch als die Geschichte schließlich schriftlich fixiert wurde, dienten die Manuskripte als Referenz, aus der spätere Geschichtenerzähler ihre Inspiration gewannen.

Eine neue Sprache für ein neues Reich

Lakhnavi etwa verdankte seine Inspiration einer Version der Geschichte, die aus der Zeit Mahmud von Ghazni stammte, der zwischen 971 bis 1030 über ein Reich herrschte, dass das heutige Afghanistan ebenso umfasste wie den Iran und Nordindien. Die Geschichte selbst aber gelangte wahrscheinlich erst zu Zeiten des Mogulreiches nach Indien. Erst im 17. Jahrhundert wurde Urdu nämlich offizielle Sprache des Reiches und verband damit die drei größten Kulturen der Region in einer Schrift. Denn auch wenn die Wörter aus dem Persischen stammen, sind es arabische Schriftzeichen und die Grammatik des Hindi, die verwendet wurden.

Foto: amirhamza.blogspot.com
Von Hyderabad, Pakistan nach Toronto, Kanada: Musharraf Ali Farooqi, Autor, Romancier und Übersetzer der Hamzana.

​​ Es lag in der Natur der dastans, die entweder von späteren dastan-gos (dastan-Erzähler) ausgeschmückt oder durch neue Abenteuer ergänzt wurden, dass sich die Handlung der Abenteuer des Amir Hamza weiter entwickelte, solange es dastan-gos gab.

Im Gegensatz zu anderen mündlichen Überlieferungen überlebte diese Geschichte bis ins 20. Jahrhundert, da der letzte der dastan-gos, Mir Baqi Ali erst 1928 starb. Dies bedeutet, dass es keinen definitiven Text der Abenteuer des Amir Hamzas gibt, obwohl die von Musharraf Farooqi erstellte Fassung als eine der letzten gelten kann und deshalb wohl auch den größten Teil der einzelnen Episoden abdeckt.

Sprachlicher Prunk des Urdu

Im Unterschied zu den Adaptionen anderer klassischer Epen (etwa der Ramayana durch Ashok Banker) bietet uns Farooqi eine direkte Übersetzung des Werks vom Urdu ins Englische und verzichtet damit auch auf jedes Zugeständnis an die Modernität. Damit bleibt der Text sehr eng am Original und das Erlebnis beim Lesen kommt dem des ursprünglichen Urdu sehr nahe. All der Prunk und die Extravaganz der Sprache, die das Original so farbig und facettenreich machte, bleibt erhalten und auch wenn es eine Zeit braucht, um sich daran zu gewöhnen, wird man schon bald seine Freude haben an den emphatischen Ausrufesätzen und den ausschweifenden Satzkonstruktionen.

​​ Die Abenteuer des Amir Hamza beginnen, noch bevor der Protagonist geboren wurde. Zu Beginn wird von Ereignissen berichtet, die das Schicksal des Helden bestimmen sollten. Wir gewinnen auch wertvolle Einblicke in die verschiedenen Lager, die im Königreich eine Rolle spielten und erfahren etwas über diejenigen, von denen bereits vor seiner Geburt klar war, dass sie einst seine Feinde sein würden. Natürlich aber beginnt die eigentliche Handlung erst, als Hamza das Licht der Welt erblickt. Schon mit fünf Jahren sollte er dann Abenteuer bestehen, die selbst erwachsenen Männer einiges abverlangt hätten.

Hamza wächst heran und seine Heldentaten gehen weiter, wie auch sein Ruhm größer wird. Noch als Teenager erfüllt er sein Schicksal, das bereits vor seiner Geburt feststand, indem er den Thron des Kaisers vor dem Zugriff eines berüchtigten Verbrechers rettet.

Amar, Lehrer der Demut

Einer meiner liebsten Charaktere im Buch ist jedoch nicht Hamza selbst, sondern einer seiner Gefährten, Amar bil Fatah. Amar ist ein großer Dieb und Betrüger, der aufblüht im Angesicht fremden Ungemachs. Als Baby schon gelang es ihm, der Amme, die ihn und ein anderes Kind säugte, Milch zu stehlen, so dass er selbst ganz feist und rund wurde, während das andere Baby klein blieb. Zunächst sind seine Tricksereien bloß rücksichtslos und gemein, und nur die Freundschaft zu Hamza bewahrt ihn davor, verstoßen oder verbannt zu werden. Doch auch wenn er niemals den Geschmack an derlei Betrügereien verliert, setzt er sein Talent im Erwachsenenalter für das Gute ein, indem er sich etwa an denen rächt, die seinem Freund und Förderer Hamza schaden wollen.

Amar spielt also nicht nur die Rolle des lustigen Narren, der den Ernst anderer Episoden auflockert; vielmehr ist er, wie so viele andere zwielichtige Charaktere in der Weltliteratur, ein Lehrer der Demut. Er genießt es besonders, wenn es ihm gelingt, diejenigen wieder auf den Boden zu holen, die sich durch zu viel Stolz über ihren eigentlichen Wert erheben, seien es auch enge Freunde. Stets ist er es, der sie (und den Leser) daran erinnert, was passiert, wenn man eine zu hohe Meinung von sich selbst hat.

Die Abenteuer des Amir Hamza sind nicht nur aufgrund ihres Themas interessant, sie sind eben auch einfach sehr unterhaltsam. Sie bieten nicht nur all das an Abenteuer und Spannung, was den besten Ritter- und Hexerei-Geschichten eigen ist, sondern führen uns auch in die Legenden und Mythen einer Kultur ein, von denen wir wenig oder gar nichts wissen. Musharraf Ali Farooqis Übersetzung gelingt es spielend, den Klang des Urdu-Textes zu rekonstruieren und schafft es damit, die Faszination und den Stil des Originals auch für uns erlebbar zu machen.

Vor dem Hintergrund der heutigen globalen Konflikte, dem Krieg gegen den Terror und der Bedrohung durch den radikalen Islamismus, erinnert uns die Hamzana - eine Geschichte, die sich über Jahrhunderte entspann und auf so faszinierende Weise unterschiedliche Epochen und Kulturen miteinander zu verbinden verstand - daran, wie groß die Vielfalt und die Wandlungsfähigkeit der islamischen Kultur sind.

Richard Marcus

© Qantara.de 2008

The Adventures of Amir Hamza, By Ghalib Lakhnavi and Abdullah Bilgrami, Übersetzung: Musharraf Ali Farooqi, mit einem Vorwort von Hamid Dabashi, The Modern Library, 948 S.

Richard Marcus schreibt seit drei Jahren für verschiedenste Internetseiten und hat mehr als 1300 Artikel veröffentlicht. Zurzeit gibt er das Epic India Magazine heraus, eine Online-Zeitschrift für Kunst und Kultur mit einem Fokus auf Südostasien und Indien. Außerdem schreibt er für die Kulturseite Blogcritics.org. Seine Texte erschienen in so unterschiedlichen Veröffentlichungen wie dem deutschen Magazin Rolling Stone und The Bangladesh Star.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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