Verwaltung für Anfänger

Sieben Städte aus ganz Deutschland haben ein Jahr lang 25 syrische Praktikanten in ihre Verwaltung eingeführt. Von dem Projekt "Qualifizierung syrischer Geflüchteter in Kommunalverwaltungen" haben aber nicht nur die Syrer profitiert. Ein Bericht von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Der Anfang war für beide Seiten schwierig. Die Verwaltungsleute wussten nicht recht, was auf sie zukommt. Solche Praktikanten hatten sie noch nie. Für die Syrerinnen und Syrer war alles neu, die Sprache, die Umgangsformen und die Abläufe. Sie hatten keine Vorstellung, was von ihnen erwartet wurde.

Die größte Überraschung sei für ihn gewesen, "dass die Mitarbeiter der Verwaltung tatsächlich die Angelegenheiten der Bürger erledigen", sagt Hane Moshmosh, 23. In Syrien müssten die Menschen erst zahlen, damit die Beamten überhaupt tätig würden. Moshmosh stammt aus Damaskus, wo er Volkswirtschaft studierte, bis er wegen des Krieges in Syrien die Universität abbrechen musste.

Er ist einer von bundesweit 25 Praktikanten, Frauen und Männern, die im Rahmen der Initiative "Kommunales Know-how für Nahost" von Engagement Global in 2018 und 2019 die Arbeitsweise einer Stadtverwaltung kennenlernen konnten. Die Praktikanten sollten sehen, wie Verwaltungsstrukturen und demokratische Prozesse auf lokaler Ebene funktionieren.

Hochqualifizierte Praktikanten

Gleichzeitig konnten sie damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Von der kleinen Gemeinde Beverstedt im ländlichen Schleswig-Holstein über die Landkreise Donau-Ries in Bayern und Hameln-Pyrmont in Niedersachsen, die Stadt Maintal bei Frankfurt bis zu den Großstädten Darmstadt, Gießen und Krefeld haben sich ganz unterschiedliche Kommunen beteiligt. 

Beworben haben sich Syrerinnen und Syrer im Alter von 18 bis über 50 Jahren, viele brachten ein abgeschlossenes Studium in Fächern wie Ingenieurswesen, Architektur, IT, Wirtschaft, Psychologie und Pädagogik aus Syrien mit, die Älteren unter ihnen auch Berufserfahrung. Noch nie gab es in den Stadtverwaltungen derart qualifizierte Praktikanten. Für ihre einjährige Lernphase erhielten sie den gesetzlichen Mindestlohn, finanziert hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

In den Verwaltungen lernten sie unterschiedliche Abteilungen kennen, von Presse und Kultur über Rechtsamt, Umweltamt, Ordnungswesen und Liegenschaften bis zu Stadtwerken, Bauamt, Stadtarchiv, Tourismus und IT. Die unterschiedlichen Abteilungen ermöglichten ihnen einen Einblick in die ganze Bandbreite von Verwaltungshandeln.

Der Syrer Ahmed al-Hamoud; Foto: Stadt Maintal
Chance für den beruflichen Neubeginn: Ahmed al-Hamoud, 28, ist in Homs geboren und lebt seit etwas mehr als drei Jahren in Deutschland. Ein in Syrien begonnenes Jurastudium konnte er auch in Ägypten aus politischen Gründen nicht abschließen. Er floh deshalb über die Türkei nach Deutschland und wollte hier sein Studium abschließen. Das Angebot eines Praktikums in der Stadt Maintal nahm er gerne an, "weil ich gerne mit Gesetzestexten arbeite und wissen wollte, wie eine Kommune in Deutschland funktioniert."

Im optimalen Fall erhielten sie Einblicke in Arbeitsbereiche, die direkt mit ihrem Studium oder ihrer beruflichen Qualifikation zu tun hatten. Nicht überall gelang es, die Praktikanten entsprechend ihren beruflichen Qualifikationen einzusetzen, so dass die Architektin auch eine Zeit im Bauamt untergebracht war.

"Ein Kulturschock"

Für Samie Morad, einen 30-jährigen Anwalt aus Damaskus, waren die ersten Tage in der Krefelder Stadtverwaltung "ein Kulturschock": Regeln und Umgangsformen seien ganz anders als in Syrien. Der Jurist hatte zunächst Befürchtungen, er könne die Anforderungen nicht erfüllen. Bayan al-Marashli, 22, ging es ähnlich, als sie in Maintal ihr Praktikum begann. Die Abiturientin aus Damaskus war anfangs unsicher, wie die Mitarbeiter in der Verwaltung auf sie reagieren würden. Alles war neu und die sprachlichen Hürden hoch. Nach ein paar Tagen jedoch ließ ihre Anspannung nach, denn "alle waren hilfsbereit und haben mir geduldig meine Fragen beantwortet."

Die meisten Praktikanten konnten sich schnell einarbeiten, ihre Deutschkenntnisse verbessern und die für sie neuen Abläufe und Regeln rasch begreifen.

Trotzdem gab es zunächst auch frustrierende Erfahrungen. Der Bauingenieur Khaled Khalifeh, 29, verheiratet, vier Kinder, hatte in Syrien ein Studium begonnen, seinen Abschluss 2012 in Ägypten gemacht und konnte drei Jahre Berufspraxis in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorweisen. Die Familie musste 2015 zunächst nach Syrien zurückgehen, flüchtete dann aber acht Monate später nach Deutschland. Dort wurde er der Gemeinde Beverstedt in Schleswig-Holstein zugeteilt.

Während seines Praktikums im Bauamt der Gemeinde musste Khalifeh feststellen, dass in Deutschland ganz anders gebaut wird als in den Emiraten. Statt mit Shopping Malls war er nun mit der Planung einer Kindertagesstätte beschäftigt. Die verwendeten Baumaterialien aber auch die Vorschriften und Modalitäten für Ausschreibungen sind ganz andere und selbst für fachfremde Deutsche kaum zu verstehen. Für Khalifeh war das zunächst ernüchternd. Er musste sich fragen, was er überhaupt mit seinem erlernten Beruf in Deutschland anfangen kann. Doch der Bauingenieur biss sich hartnäckig durch.

Kenntnisse auf einem noch fremden Terrain

"Diese Erfahrung war für ihn zwar frustrierend, aber wichtig", sagt Detlev Fänger. "Im geschützten Rahmen des Praktikums konnte er wichtige neue Kenntnisse für den Arbeitsmarkt erwerben."

Das sieht auch Khalifeh so. "Es war für mich extrem wichtig, diesen ganzen Prozess des Bauens in Deutschland kennenzulernen", sagt der Bauingenieur. "Am Anfang war es hart, aber es hat mir sehr geholfen, dass die Mitarbeiter in der Verwaltung hier wie eine Familie zusammenhalten." Als er sich im Anschluss an das Praktikum bei einer Baufirma bewarb, konnte er mit dieser Erfahrung punkten und bekam die Stelle.

Neben der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt war das Praktikum auch eine Einführung in die Grundlagen der Demokratie. Hane Moshmosh war beeindruckt, als er bei der Vorbereitung der bayerischen Bezirks- und Landtagswahl in 2018 mithelfen konnte. So erhielt er eine Vorstellung davon, wie demokratische Wahlen auf lokaler Ebene funktionieren. Außerdem konnte er an einer Bürgerversammlung teilnehmen, bei der es um den geplanten Bau eines Hallenbades ging. An einem ganz konkreten Beispiel erfuhr er, wie Bürgerbeteiligung funktioniert.

Moshmosh war nicht der einzige unter den Praktikanten, dem es so ging. Ahmed al-Hamoud, 28, ist in Homs geboren und lebt seit etwas mehr als drei Jahren in Deutschland. Ein in Syrien begonnenes Jurastudium konnte er auch in Ägypten aus politischen Gründen nicht abschließen. Er floh deshalb über die Türkei nach Deutschland und wollte hier sein Studium abschließen. Doch da ihm wichtige Dokumente fehlten, schied diese Möglichkeit erst mal aus. Das Angebot eines Praktikums in der Stadt Maintal nahm er gerne an, "weil ich gerne mit Gesetzestexten arbeite und wissen wollte, wie eine Kommune in Deutschland funktioniert."

Beiderseitiger Gewinn

Al-Hamoud war begeistert zu erleben, wie im Büro der Gremien demokratische Prozesse organisiert werden. Wie die Stadtverordnetenversammlung diskutiert, wofür städtische Gelder ausgeben werden und dass kontroverse Meinungen normal sind. "Solche Diskussionen gibt es in Syrien nicht. Bei uns haben die Menschen Angst, ihre Meinung frei zu äußern."

Aber nicht nur die syrischen Geflüchteten haben profitiert. Für die Verwaltung ist der alltägliche Kontakt mit Migrantinnen und Migranten von großem Wert, denn die interkulturelle Öffnung steht bei vielen auf der Tagesordnung. Im direkten menschlichen Kontakt ließen sich Vorbehalte am besten abbauen, meint Tagrid Yousef, Integrationsbeauftragte in Krefeld. "Alle Studien zur Integration kommen zu diesem Ergebnis."

Bei den vielen Begegnungen, den informellen Gesprächen in der  Kaffeepause oder beim Mittagessen über die Wohnsituation der Geflüchteten, über Kinder und Familienangehörige sei bei den Mitarbeitern in der Verwaltung ein besseres Verständnis für ihre Situation entstanden, meint Karl-Heinz Köster, Koordinator für kommunale Entwicklungspolitik im Landkreis Donau-Ries.

"Was interkulturelle Kommunikation bedeutet, wurde erst richtig greifbar." Für die Verwaltung war es eine große Bereicherung zu sehen, wie eine Frau mit Kopftuch und ein arabischer Mann sinnvoll zur täglichen Arbeit beitragen und eigene Ideen einbringen, meint Integrationsbeauftragte Verena Strub. "Das sind wichtige Lernerfahrungen für die Verwaltung."

Nicht in der Rolle des Hilfsempfängers

Geflüchtete konnten einmal nicht in der Rolle des Hilfsempfängers, sondern als Kollegin und Kollege mit Kompetenzen erlebt werden. Samie Morad hat während seiner Praktikumsphase im Amt für Soziales, Senioren und Wohnen in Krefeld gelernt, wie man Anträge auf Grundsicherung bearbeitet. Er weiß jetzt, welche Kriterien zu erfüllen sind, wer einen Anspruch auf staatliche Leistungen hat und wie die Höhe der Zuwendungen berechnet wird.

Für Morad, der als Geflüchteter Ämter zunächst selbst nur aus der Perspektive des Antragstellers kannte, war das eine wichtige Erfahrung. "Natürlich ist mein Deutsch nicht fehlerfrei", sagt er. "Es ist ja alles neu für mich. Aber ich konnte meine Sprachkenntnisse während des Praktikums nochmal deutlich verbessern."

Hilfe für den Wiederaufbau Syriens

Für das Selbstbewusstsein war es für die Geflüchteten wichtig, einmal die Rolle zu wechseln und selbst anderen weiterzuhelfen. Hane Moshmosh etwa hat seine Zeit beim Fremdenverkehrsamt in Nördlingen am besten gefallen. Dort konnte er, der Neuankömmling, den Touristen die Sehenswürdigkeiten der Stadt erklären.

Doch das vom Entwicklungsministerium finanzierte Projekt soll nicht nur die Integration syrischer Geflüchteter in Deutschland erleichtern. Es soll sie auch befähigen, beim Wiederaufbau in Syrien mitzuhelfen. Allerdings sitzt in Syrien Assad fester im Sattel denn je und in Idlib ist der Konflikt von Neuem eskaliert. Von Wiederaufbau geschweige denn einem demokratischen Neustart kann in absehbarer Zeit wohl kaum die Rede sein.

"Wir wissen nicht, wann und wie sich die politische Situation in Syrien ändern wird", sagt Projektleiterin Jennifer Ichikawa von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt. Aber deutsche Kommunen könnten syrischen Geflüchteten Einblick geben, wie Kommunalverwaltung und Demokratie auf lokaler Ebene funktionieren.  "Das Projekt ist eine Investition in die Zukunft."

Claudia Mende

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