Dialog über Frauenemanzipation

Bei den deutsch-saudi-arabischen-Kulturtagen in Berlin - veranstaltet vom deutschen Außen- und dem saudischen Hochschulministerium - stand als ein zentrales Thema auch die Situation von Frauen in beiden Ländern auf der Tagesordnung. Ein Bericht von Martina Sabra.

Saudi-arabische Frau vor Auto; Foto: AP
Noch immer dürfen Frauen in Saudi-Arabien in den Städten kein Auto steuern

​​Das wegen seiner Verbindungen zum islamistischen Terror in die Kritik geratene und lange Zeit sehr abgeschottete Königreich Saudi-Arabien möchte sich nach außen als modern und reformwillig präsentieren.

Die innersaudische Reformbewegung und die Lage politischer Gefangener wie Ali-Al Dumaini, ein regimekritischer Intellektueller, waren bei den deutsch-saudi-arabischen Kulturtagen in Berlin jedoch kein Thema. Dafür widmeten die Veranstalter der Situation und dem künstlerischen Schaffen saudischer Frauen einen ganzen Tag.

Über die Lebenssituation und die alltäglichen Probleme von Frauen in Saudi-Arabien und Deutschland diskutierten je drei Vertreterinnen aus beiden Ländern. Damit das verbreitete Missverständnis, Geschlechterdemokratie sei eine alleinige Erfindung des Westens, gar nicht erst aufkam, gab die Gender-Expertin Marion Böker vom Deutschen Frauenrat einen aufschlussreichen Überblick über die Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland.

Dabei machte sie deutlich, dass viele Rechte, die junge Frauen in Deutschland heute selbstverständlich finden, erst seit relativ kurzer Zeit gelten. Das Recht auf ein eigenes Bankkonto erhielten verheiratete Frauen in Deutschland in den sechziger Jahren, und das Recht, ohne Erlaubnis des Ehemannes berufstätig zu sein wurde ihnen in den siebziger Jahren gewährt.

Schulbildung für saudische Mädchen selbstverständlich

Dass die junge weibliche Generation die Errungenschaften der Mütter als selbstverständlich begreift, erlebt auch die saudische Sozialwissenschaftlerin Nura al-Musaad, die in der Frauenabteilung der King Abdul Aziz University in Jiddah Gender Studies lehrt.

"Die saudischen Studentinnen sind heute unglaublich selbstbewusst, viel mehr als meine Generation", sagte al-Musaad. In ihrem Vortrag über die gegenwärtige Lebenssituation und die Einstellungen saudischer Frauen hob al-Musaad hervor, dass dank der Einführung von Schulbildung für Mädchen in den sechziger Jahren mittlerweile schon die zweite Generation saudischer Frauen herangewachsen ist, für die Bildung eine Selbstverständlichkeit sei.

Der hohe Bildungsgrad der Frauen und die Urbanisierung – über 80 Prozent der saudischen Bevölkerung lebt heute in Städten - haben mit dazu beigetragen, dass sich die Zahl der geborenen Kinder binnen 25 Jahren auf heute 4 Kinder pro verheiratete Frau halbiert hat.

Zwar nicht die Mehrheit, aber immer mehr Frauen, so al-Musaad, wollten studieren, berufstätig sein und eigenes Geld verdienen. Zwar ist die Zahl der Berufe, die Frauen in Saudi-Arabien ausüben dürfen, immer noch sehr begrenzt, aber dort, wo sie zugelassen sind, drängen saudische Frauen auf den Arbeitsmarkt – unter anderem als Lehrerinnen, Ärztinnen, Journalistinnen sowie als selbständige Geschäftsfrauen.

"Was den Wunsch nach Bildung und Beruf angeht, sind Frauen in Saudi-Arabien nicht anders als im Westen", unterstrich al-Musaad. "Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: für saudische Frauen steht nicht die Selbstverwirklichung im Mittelpunkt, sondern die Familie. Das Festhalten an der Familie bestimmt ihre Identität."

Wahlrecht für saudische Frauen?

Dieser Meinung waren auch al-Musaads saudische Kolleginnen, die in Bezug auf Frauenrechte wie auch auf sonstige Reformen extrem konservative Positionen vertraten. Die Literaturdozentin Afaf Khogeer von der Umm Al-Qura University in Mekka meinte, der Islam gebe saudischen Frauen alle Rechte. "Sie müssen sie sich nur endlich nehmen."

Fälle von Gewalt gegen Frauen und Menschenrechtsverletzungen seien "individuelle Ausrutscher." Solche Probleme würden sich von selbst lösen, wenn die saudische Gesellschaft wieder zum rechten Islam zurückfände. Außerdem bräuchten saudische Frauen eigentlich kein Wahlrecht.

"Nachdem der Westen soviel Lärm darum gemacht hat, sollen sie es meinetwegen einführen", meinte Khogeer. "Aber eigentlich haben wir andere Prioritäten. Den saudischen Frauen sind Bildung, die Kinder und die Familie am wichtigsten."

Die Psychologieprofessorin Zainab al-Ayish von der Universität Riad meinte, wichtiger als Rechte sei für saudische Frauen ihre kulturelle und religiöse Identität. "Die Männer – das sind doch unsere Väter, Söhne, Brüder, Ehemänner. Wovon soll ich mich emanzipieren? Von meinen nächsten Verwandten?"

Nura al-Musaad kritisierte, dass man saudischen Frauen das Wahlrecht verweigert. "Ich hätte bei den jüngsten Kommunalwahlen gern meine Stimme abgegeben", meinte al-Musaad. "Als menschliches Wesen möchte ich einfach mit entscheiden können. Ich hoffe, dass sich in den nächsten Jahren etwas ändert, und dass das Wahlrecht für saudische Frauen Normalität wird."

al-Musaad sprach sich auch dafür aus, dass saudische Frauen endlich das Recht bekommen, selbst Auto zu fahren. Im Westen mag diese Forderung banal erscheinen, doch für viele saudische Frauen ist sie es nicht. Angesichts sinkender Einkommen können sich immer mehr Frauen keinen Chauffeur leisten, und das öffentliche Transportsystem ist in Saudi-Arabien nicht sehr entwickelt.

"Den Reformerinnen fehlen Führungspersönlichkeiten"

Gegen die vielfältige Diskriminierung protestiert eine kleine, aber wachsende Zahl saudischer Frauen – viele von ihnen überzeugte Musliminnen, die den Islam als Verfassung des saudischen Staates nicht grundsätzlich in Frage stellen. Von einer Bewegung könne man allerdings noch nicht sprechen, meinte Nura al-Musaad.

"Der öffentliche Raum, in dem einzelne Frauen oder Frauengruppen kommunizieren und agieren können, ist sehr fragmentiert. Viele engagierte Frauen oder Initiativen wissen nichts voneinander. Den Reformerinnen fehlen Führungspersönlichkeiten", analysierte die Soziologin.

Deshalb falle es saudischen Frauen schwer, gemeinsam politische Änderungen zu erstreiten. Dennoch seien Reformen unausweichlich: "Es geht alles sehr langsam, und in kleinen Schritten. Für die saudische Normalbürgerin ist der Wandel der letzten fünf Jahre wahrscheinlich gar nicht so spürbar. Aber wer die Zeichen der Zeit analysiert, sieht die Veränderungen kommen."

Angesichts der fragmentierten Öffentlichkeit und der mannigfaltigen räumlichen und sozialen Beschränkungen wählen immer mehr saudische Frauen die Künste und vor allem die schöne Literatur, um sich zumindest geistig Freiräume zu schaffen. Sie bleiben dabei nicht im stillen Kämmerlein, sondern suchen Austausch und Feedback. "Die literarischen Salons sprießen bei uns aus dem Boden", berichtete Afaf Khogeer.

Offene Gesprächsatmosphäre, aber nicht viel Neues

Unterm Strich war von den Gästen in Berlin nicht viel Neues über den Alltag saudischer Frauen oder gar über die - auch von Frauen geführten - Reformdebatten im Königreich zu erfahren. Saudische Dichterinnen und Romanautorinnen, die man bei einer Veranstaltung über Frauenliteratur erwartet hätte, waren zwar von deutscher Seite vorgesehen, doch die saudischen Mitorganisatoren schickten keine einzige.

Ulrike Freitag, Leiterin des Zentrums Moderner Orient in Berlin, versuchte dennoch, eine positive Bilanz zu ziehen. Die Historikerin und Arabistin, die über die Geschichte der Stadt Jiddah arbeitet, gab zu bedenken, dass die saudischen Gäste sich viele bohrende Fragen gefallen lassen mussten, was immer eine gewisse Verteidigungshaltung provoziere.

Angesichts der schwierigen Situation sei die Gesprächsatmosphäre in Berlin relativ offen gewesen, und das Meinungsspektrum habe die derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Saudi-Arabien abgebildet. Liberale Reformer seien nun einmal in der Minderheit.

Die ersten deutsch-saudi-arabischen Kulturtage dienten in erster Linie diplomatischen Zwecken: Saudi-Arabien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner im Nahen Osten und ein Wachstumsmarkt für deutsche Exportunternehmen. Darüber hinaus wollte man offenbar zeigen, dass man Reformen im Nahen Osten nicht mit militärischer Gewalt, sondern lieber durch Handel und kulturellen Dialog unterstützen will.

Der soll über die Kulturtage hinaus konkret Gestalt annehmen: Im Herbst 2005 werden im Rahmen eines deutsch-saudischen Kulturabkommens fünfzig junge Saudis, Männer und Frauen, zum Studium nach Deutschland kommen. Außerdem sei Jugendaustausch geplant, und man diskutiert über eine deutsche Universität in Saudi-Arabien, ähnlich denen, die bereits in Ägypten und ab Herbst 2005 in Jordanien existieren.

Martina Sabra

© Qantara.de 2005

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