Politik der kleinen Schritte

Nachdem Mitte Januar 2016 die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden, streben Deutschland wie auch die iranische Jugend den Dialog und Austausch auf kultureller Ebene an. Über die Potenziale eines möglichen Kulturabkommens beider Länder sprach Dorothea Grassmann mit Ali Fathollah-Nejad.

Von Dorothea Grassmann

Der Abschluss des Atomdeals wird vom "Westen" als historischer Schritt der Öffnung des Landes gewertet. Wie ist die Wahrnehmung in Iran bei den Kulturakteuren?

Ali Fathollah-Nejad: Viele iranische Kulturschaffende haben bereits vor Abschluss des Atomdeals die Hoffnung geäußert, dass im Anschluss daran eine kulturpolitische Öffnung gegenüber dem Westen stattfinden soll. Gleichzeitig herrscht Ernüchterung, da Präsident Hassan Rohani sein Versprechen hinsichtlich mehr kultureller Freiheiten nicht eingelöst hat. Nach wie vor herrscht eine massive Beeinträchtigung künstlerischer und journalistischer Freiheiten durch Justiz und Behörden. Die Hoffnungen seitens vieler Kulturschaffender auf eine kulturelle Öffnung stehen derzeit im Widerspruch zu den von offizieller Seite geäußerten Warnungen vor einem "Kultur-Imperialismus" des "Westens", der die Grundpfeiler der Islamischen Republik unterhöhlen würde. So warnte am Implementierungstag des Atomdeals Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei vor wirtschaftlicher sowie kultureller "Infiltration" durch den Westen mithilfe inländischer Akteure. Die gute Nachricht ist aber, dass der Wegfall vieler Sanktionen den Weg dafür bereitet, Kultur- und Wissenschaftsaustausche zu organisieren und zu finanzieren.

Wie lässt sich die iranische Gesellschaft beschreiben?

Fathollah-Nejad: Sie ist von einem hohen Maße an Vielfalt geprägt: ethnisch-kulturell, sprachlich, religiös und politisch-ideologisch. So besteht die moderne politische Kultur grob aus drei Formationen, nämlich Nationalismus, Islamismus und Sozialismus, die sich prinzipiell unterscheiden aber auch gegenseitig befruchten. Die Islamische Republik hat jedoch die politisch pluralistische iranische Gesellschaft de facto in zwei Gruppen aufgeteilt: In khodi ("die Unsrigen" oder Systemtreue) und gheyr-e khodi ("die Nicht-Unsrigen" oder Systemgegner). Das erste Lager umfasst all jene, die loyal gegenüber dem Regime eingestellt sind und von dem hohen Maß an wirtschaftlicher und politischer Machtmonopolisierung profitieren. Dazu gehören auch alle Fraktionen der ausschließlich islamistischen politischen Elite des Landes, von Reformisten über Konservative bis hin zu Fundamentalisten.

Anhängerin der "grünen Bewegung" in Teheran; Foto:
"Unsrige" und "Nicht-Unsrige": Der Iran ist politisch insbesondere nach den Unruhen vom Sommer 2009 und dem Aufkommen der reformorientierten "grünen Bewegung" politisch tief gespalten in Anhänger des regimetreuen Systems unter Revolutionsführer Khamenei und Anhängern eines liberalen Politikwechsels, die zumeist der urbanen Mittelschicht des Landes angehören.

Das zweite Lager besteht aus all jenen, die dem Regime prinzipiell kritisch gegenüberstehen und wirtschaftlich und politisch einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt sind. Ein Teil davon musste aus diesen Gründen das Land verlassen und bildet die Mehrheit der über fünf Millionen starken iranischen Diaspora ab. Dass die politisch pluralistische iranische Gesellschaft einem Prozess der Islamisierung von Staat und Gesellschaft unterzogen wurde, hat weitreichende Folgen für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes. Alles in allem ist der mittlerweile über zwei Jahrhunderte alte Demokratiekampf der Iranerinnen und Iraner gegen autoritäre Herrschaft nicht abgeschlossen.

Was bedeutet diese Zweiteilung für die Arbeit iranischer und deutscher Kulturakteure? Welche politischen Rahmenbedingungen müssen derzeit bei kulturellenAktivitäten beachtet werden?

Fathollah-Nejad: Eine Konsequenz ist, die pluralistische Natur der iranischen Gesellschaft zu erkennen und anzuerkennen, zumal der iranische Staat jene kaum wiederspiegelt. Das bedeutet, dass kultureller Austausch sich nicht damit begnügen darf, nur jene Wege zu beschreiten, die der Staat vorgibt – hier wie dort. So sollten bei kulturellen Aktivitäten Projekte bevorzugt werden, bei denen die gesamte Bandbreite der iranischen Gesellschaft berücksichtigt wird.

Die Politisierung der Kultur, die auch im Zuge des Atomdeals nicht aufgehoben ist, diktiert einen besonnenen Umgang mit Kulturprojekten, sonst droht die Repression der darin Involvierten. Deswegen ist es unabdingbar, dass jeder einzelne Fall einer Prüfung unterzogen wird, was natürlich mit größerem Aufwand verbunden ist. Im Gegensatz zu den USA und anderen EU-Staaten, wird Deutschland in der Islamischen Republik mit weniger Argwohn betrachtet. Der Aufbau gegenseitigen Vertrauens und Respekts ist dennoch unabdingbar, was aber nicht bedeuten darf, sich mit Projekten auf zwischenstaatlicher Ebene zu begnügen. Vielmehr muss es das Ziel sein, die beiden Gesellschaften in all ihrer Vielfalt zusammenzubringen.

Wie kann dieser Aufbau gegenseitigen Respekts und Vertrauens erfolgen?

Fathollah-Nejad: Obwohl Deutschland im Gegensatz zu anderen westlichen Akteuren aufgrund des Nichtvorhandenseins einer kolonialen Involvierung in Westasien mit weniger Misstrauen betrachtet wird, hat das Mittragen der US-Zwangsdiplomatie mitsamt ihrer Sanktionen während des Atomkonflikts jahrzehntelanges iranisches Vertrauen gegenüber Deutschland geschmälert. Zuletzt aber wurde dieses Vertrauensdefizit durch die konstruktive Rolle Berlins bei den Atomverhandlungen wieder zu einem guten Teil wettgemacht. Somit ist die Ausgangslage für den Aufbau von gegenseitigem Respekt und Vertrauen relativ gut. Obgleich bei den meisten deutschen Akteuren die Anerkennung Irans als große Kulturnation durchaus vorhanden ist, ist die Gefahr in orientalistische Klischees zu verfallen nicht gebannt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte bei seinem Besuch in Iran im Oktober 2015 an, zeitnah ein Kulturabkommen zwischen beiden Ländern anzustreben. Welche Chancen birgt ein solcher Abschluss für die Stärkung der deutsch-iranischen Kulturbeziehungen?

Fathollah-Nejad: Von einem Kulturabkommen wird weithin die Erwartung geknüpft, dass dieser eine rechtliche Absicherung für deutsche Mittlerorganisationen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und ihrer Mitarbeiter in Iran, aber auch für eine eventuelle Arbeit politischer Stiftungen, schafft. So soll das Goethe-Institut wieder unter seinem Namen in Iran arbeiten dürfen. 

Wer sind die zentralen Kulturakteure in Iran? Mit welchen Akteuren und Gruppen sollte der Kulturdialog intensiviert werden?

Kohestani's production of Chekhov's "Ivanov"
Vorbildcharakter für den Kulturdialog, an den man anknüpfen sollte, so Fathollah-Nejad: "Darunter fällt das Morgenland-Festival in Osnabrück, dem es unter widrigen Umständen gelungen ist, eine erstaunliche Bandbreite iranischer Kultur eine Bühne zu bieten; das Theaterprojekt zwischen iranischen Ensembles und dem Theater an der Ruhr; und natürlich Städtepartnerschaften, wie jene zwischen Freiburg und Isfahan. In Iran selbst herrscht ein großes Interesse an Kultur- und Kunstformen, die aus dem Westen stammen."

Fathollah-Nejad: In der Islamischen Republik findet Kultur im Spannungsfeld statt zwischen einerseits staatlichen Zensur- und Kontrollbehörden und staatlicher Kulturindustrie (welche die Staatsideologie sowie den islamistischen Moralkodex konsolidieren soll) und andererseits jene sich stets in Bewegung befindlichen gesellschaftlichen Räume, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen bzw. diese immer aufs Neue herausfordern. Somit sollte zuvorderst der Kulturdialog mit Akteuren und Gruppen, die aus der pluralistischen Gesellschaft entsprungen sind, intensiviert werden. Mit anderen Worten ist eine zivilgesellschaftliche "Kultur von unten" einer staatlich reglementierten "Kultur von oben" zu bevorzugen.

Welche Themen und Formate wären geeignet? Sollten auch geographische Schwerpunkte gelegt werden?

Fathollah-Nejad: Als überwiegend zentralistischer Staat spielt sich das kulturelle Leben hauptsächlich in Teheran ab, in der ca. ein Siebtel der Bevölkerung lebt. Hier gibt es ein enormes soziales Gefälle zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden der Metropole, das mitbedacht werden sollte.

Zudem wäre es wünschenswert auch in anderen Städten Projekte zu initiieren, um dabei die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt Irans auszuschöpfen. Isfahan mit seiner religiösen Diversität bietet sich z.B. für interreligiöse Dialoge an.

Es böte sich an, Themen aufzugreifen, die für die Gegenwart und Zukunft beider Gesellschaften von Belang sind. So kann man aufgrund der gegenwärtigen Lage an Projekte denken, die den Begriff der Identität (im Singular) kritisch hinterfragen – sowohl eine angeblich "deutsche" als auch "iranische" – und stattdessen das Konzept der Identität als ein inhärent vielfältiges Phänomen begreifen. Auch kann man an die Kriegserfahrungen beider Länder – obgleich seitens unterschiedlicher Generationen – anknüpfen und dies z.B. mithilfe des Tehran Peace Museum thematisieren.

Ali Fathollah-Nejad; Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung
Ali Fathollah-Nejad ist seit Juni 2015 Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Der an Universitäten in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden ausgebildete deutsch-iranische Politologe promovierte in Internationalen Beziehungen an der School of Oriental and African Studies (SOAS, University of London). Er ist zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut (DOI) und am Centre of International Cooperation and Development Research (CECID) der Université libre de Bruxelles.

Des Weiteren könnten Dialoge mit Intellektuellen und wissenschaftlichen Einrichtungen auf beiden Seiten zu philosophischen, geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen institutionalisiert werden, die versuchen gemeinsam Antworten auf landesspezifische sowie globale Herausforderungen zu liefern.

Gibt es Best-Practice-Projekte, an die man anknüpfen könnte?

Fathollah-Nejad: In den Jahren während des Atomkonflikts gab es durchaus Projekte, die Vorbildcharakter haben und an die man anknüpfen sollte: Darunter fällt das Morgenland-Festival in Osnabrück, dem es unter widrigen Umständen gelungen ist, eine erstaunliche Bandbreite iranischer Kultur eine Bühne zu bieten; das Theaterprojekt zwischen iranischen Ensembles und dem Theater an der Ruhr; und natürlich Städtepartnerschaften, wie jene zwischen Freiburg und Isfahan. In Iran selbst herrscht ein großes Interesse an Kultur- und Kunstformen, die aus dem Westen stammen. Jedoch sind einige vielversprechende Ideen an ein Veto staatlicher oder staatsnaher Stellen gescheitert.

Welche Rolle spielen die Medien für eine kulturelle Annäherung? Wo gibt es hier noch Handlungsbedarf?

Fathollah-Nejad: In einer durch Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend vernetzten Welt spielen Medien auf vielerlei Ebenen eine besondere Rolle. Bei den bisherigen Projekten zwischen deutschen und iranischen Journalisten und Medienmachern wurde ein Forum für gegenseitigen Gedankenaustausch geboten. Dennoch gibt es Handlungsbedarf dahingehend, dass unabhängige iranische Journalisten und Medienmacher im In- und Ausland nicht wie bislang ausgeschlossen werden.

Ihr Fazit?

Fathollah-Nejad: Insgesamt muss bei Kulturprojekten die Devise gelten, sich nicht ausschließlich auf staatliche Sphären zu beschränken, sondern stets den öffentlichen Raum im Hinterkopf zu behalten. Denn die Art und Weise des Annäherungsprozesses zwischen Iran und dem Westen wird sowohl von der iranischen Zivilgesellschaft als auch von der Diaspora kritisch begleitet. Eine nachhaltige, qualitative Verbesserung bilateraler Beziehungen ist ohne die Akzeptanz und Involvierung der Vielfalt der iranischen Gesellschaft nicht zu bewerkstelligen – dies war auch das Plädoyer, das von der Ende November 2015 veranstalteten ifa-Podiumsdiskussion mit prominenten iranischen Intellektuellen aus Teheran, New York und London ausging.

Das Interview führte Dorothea Grassmann.

© Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) 2016

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Deutsch-Iranische Kulturbeziehungen" werden noch in diesem Frühjahr in der ifa-Edition Kultur und Außenpolitik publiziert.