Die Stadt als Labor in der Wüste

Ein Deutsch-Arabischer Mediendialog diskutiert vor dem Hintergrund der multikulturellen, postmodernen Megastadt Dubai die Wirkungen für die Region und die arabische Identität. Rüdiger Heimlich informiert.

Ein Deutsch-Arabischer Mediendialog diskutiert vor dem Hintergrund der multikulturellen, postmodernen Megastadt Dubai die Wirkungen für die Region und die arabische Identität. Ist das alle Grenzen sprengende Städtebauprojekt zukunftsweisend - oder wird es an seinen Widersprüchen scheitern? Von Rüdiger Heimlich

​​ Es heißt, dass der Regent demjenigen, der dem Ganzen die Spitze aufsetzt, ein Appartement im Burj Dubai schenke, lebenslanges Bleiberecht und die kostenlose Ausbildung seiner Kinder.

Noch aber soll sich kein Wagemutiger gefunden haben, der den Wunsch des Monarchen erfüllt. Vielleicht ist die weltweite Suche nach einem couragierten Kranführer auch nur ein PR-Märchen für den Tausend-und-eine-Nacht-Mythos der Wüstenmetropole Dubai.

Wenn der Held in diesem Jahr den schnellsten Aufzug der Welt besteigt, der ihn in die höchste Höhe katapultiert, auf der je ein Kran einem Gebäude die stählerne Spitze aufsetzte, wenn der Mann dann von dem über 800 Meter hohen Wohnturm weit über Wüste und Meer blickt, auf "The Palm" und "The World", auf die künstlichen Inseln für Superreiche, auf die teuersten Hotels und die größten Shoppingmalls der Welt, auf Entertainment-Center, Universitätsstädte und Museumslandschaften, dann wird er erwartungsgemäß in die Kameras sagen: Was für eine Stadt!

Dabei ist für westliche Stadtplaner, Anthropologen und Kulturkritiker noch gar nicht ausgemacht, ob es sich bei diesem "Wonderland", das ein "Dschinn" über Nacht in die glühende Wüste gezaubert zu haben scheint, überhaupt um eine Stadt handelt. "Es ist zweifellos eines des spannendsten Experimente der Gegenwart", meint Eckhard Ribbeck, doch wisse niemand, wie dieses Experiment ausgeht.

"Architektonisches Irrenhaus"

Der Professor am Institut für Städtebau der Universität Stuttgart ist hin- und hergerissen von diesem "architektonischen Irrenhaus". Dubai sei "ein Laboratorium", ein neuer Stadttypus, in dem die Projekte der utopischen Moderne der 50er und 60er Jahre verwirklicht werden: die namhaftesten Architekten und Ingenieuren der Welt erobern Wüste, Meer und Luftraum.

Büro- und Geschäftsgebäude in Dubai; Foto: AP
Schillerndes Las Vegas oder desolate Investitions-Ruine? Büro- und Geschäftsgebäude in Dubai

​​ Offen sei, ob diese Metropolis lebensfähig oder wie der Turmbau zu Babel an seinen Widersprüchen scheitere: am ökologisch rücksichtslosen Ressourcenverbrauch, an extremer sozialer Segregation und der Identitätslosigkeit der Bewohner. Noch sei beides möglich, sagt der deutsche Architektur-Professor, eine Zukunft als schillerndes Las Vegas oder als desolate Investitions-Ruine.

Durch klimatisierte Shoppingmalls flanieren verschleierte Damen von Gucci zu Boss, von Armani zu Rolex. Daneben werden die Plakate des Dubai Filmfestival abgenommen. Hollywood und Bollywood lief. Nicolas Cage und Goldie Hawn waren da. Oliver Stones Film über George W. Bush wurde gezeigt. Jetzt wird das Dubai Literatur Festival annonciert. Zugesagt haben "the world's finest writers".

Hin- und her gerissen waren auch die geladenen Journalisten und Schriftsteller aus Ägypten, Syrien, Libanon, Palästina, Saudi-Arabien und Deutschland. Auf Einladung des vom Auswärtigen Amt finanzierten Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) diskutierten sie zwei Tage lang, wie sich die westlichen Kulturimporte auf die Bewohner am Golf, ja auf die arabische Welt auswirken.

Museen, Opernhäuser, Universitäten, Satellitensender, westliche Konsumgüter, westlicher Lebensstil, der ununterbrochene Reigen importierter Kultur-Events - wie kommen die Menschen am Golf damit zu Recht? Erlangen die Golfstädte für die arabische Welt dadurch die Bedeutung, die Kairo und Beirut in den 50er und 60er Jahren hatten? Oder werden sie als Symbole postkolonialer, westlicher Kultur-Hegemonie abgelehnt?

"Minderheit im eigenen Land"

Doch nach einer Führung durch den historischen Stadtkern am Dubai Creek, durch Luxussiedlungen und Hochhausviertel sind die Intellektuellen verwirrt.

Das "Experiment" Dubai stellt nicht nur arabische, auch westliche ästhetische wie identitätspolitische Konzepte in Frage. Ist das überhaupt eine Stadt, wird gefragt, wo Ortsansässige eine öffentlich kaum wahrnehmbare Minorität sind; wo nicht die Landes-, sondern eine Geschäftssprache, nicht die Staatsreligion, sondern ein multireligiöses Gemisch dominiert; eine City, die nicht durch Steuern, sondern Renditen finanziert, nicht von Bürgern, sondern Zeitarbeitern mit vagen Aufenthaltsrechten bevölkert wird; wo ein Millionenheer von Dienstleistern eine müßiggängerische Elite unterhält? "Während der ganzen Tour habe ich an Aldous Huxleys 'Schöne Neue Welt' gedacht", erklärt der palästinensische Schriftsteller Hassan Khaled.

Ja, man habe zunächst einseitig in die Infrastruktur investiert, räumt Salem Humaid vom Dubaier Kultus-Ministerium ein. Nun habe man ein mentales Problem. "Die Mehrheit der Emiratis sind nicht glücklich über die meisten der laufenden Projekte", sagt er. "Wir leiden schon jetzt unter der großen Zahl von Fremden und fühlen uns als Minderheit in unserem eigenen Land."

Zwischen Beduinen- und Popkultur

Schifssverkehr auf dem Dubai Creek
Das "Experiment" Dubai stellt nicht nur arabische, auch westliche ästhetische wie identitätspolitische Konzepte in Frage - Schifssverkehr auf dem Dubai Creek

​​ Und doch seien die Emirate das einzig erfolgreiche Modell der arabischen Welt, sagt Humaid. Hareb Dhaheri vom Autoren-Verband und schränkt zugleich ein, dass man nicht einfach aus der Vormoderne in die Postmoderne springen könne, ohne je in der Moderne gewesen zu sein. "Wir können nicht unsere Frauen diskriminieren und erwarten, dass uns der Westen achtet."

In Dubai fürchtet die konservative, beduinische Gesellschaft um Tradition und sozialen Zusammenhalt - und konsumiert doch Nintendo-Spiele und Hollywood-Filme. Da ist westlicher Life-Style, Kommerz und Kunst derart geballt, dass es selbst dem Abendländler um den Orient bange wird.

Für Abdul Majjed Suwailem, Politikwissenschaftler der Al-Quds Universität Ramallah, gibt es nur ein Entweder-Oder: Entweder sei Dubai eine arabische Stadt oder ein Business-Modell. "Wenn Dubai nur ein Geschäftsmodell ist, dann ist es ganz einfach: Dann werden eben westliche Museen, Theater, Universitäten und internationale Architekten als Markenartikel geholt. Sie sollen als Prestige-Objekte und globale Icons den Massentourismus magnetisch anziehen."

Nein, sagt Abdul Suwaillem aus Ramallah, weder Dubai noch Dohar hätten eine arabische Identität. Wollten sie arabische Städte sein, so müsse erst ein Gleichgewicht zwischen arabischer und westlicher Kultur herbeigeführt werden.

Ali bin Mohammed Zabanout vom Informations-Ministerium des Emirats Oman erklärt, dass die arabische Identität und Kultur im Islam, im arabischen Nationalismus und in der Verehrung der Vergangenheit wurzelt. Aber "die Spielräume" würden größer. Die arabische Film-, Zeitungs- und Buchproduktion wachse, der Analphabetismus werde beseitigt.

Eine Metropole zum Staunen - aber auch zum Leben?

Planungen einer künstlichen Inseltwelt in Dubai; Foto: AP
Furcht vor "disneyfiziertem" Stadtbild und kulturellem Identitätsverlust? Planungen einer künstlichen Inseltwelt in Dubai

​​ Sayed Mahmud von der ägyptischen Zeitung "Al Ahram" ist überzeugt, dass die westlichen Kulturimporte einen gravierenden Einfluss auf die Menschen der arabischen Welt haben. Nachhaltig sei der jedoch nur, wenn auch die Freiheit der Kunst im Orient größer werde.

Hareb Al Dhaheri, der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der Emirate, wünscht sich ein Gleichgewicht zwischen dem, "was wir übernehmen und selbst einbringen. Der Import darf nicht auf Kosten der eigenen kulturellen Identität gehen."

Für die deutsche Ethnologin Joana Breidenbach ist Dubai schon jetzt ein Gewinn an Vielfalt. Der kulturkritische deutsche Blick auf die "disneyfizierte" City sei zu negativ. Dubai demonstriere, dass die Trennung von Hochkultur, Unterhaltung und Tradition veraltet sei.

Während die abendländische Kulturkritik sich mit den Städten im Zeitalter von Migration und Globalisierung noch schwer tut, reagiert der Golf-Tourist tatsächlich euphorisch: Dieses Konglomerat von Superlativen inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung ist so abstrus, dass man es gesehen haben muss. Aber länger bleiben? Wohl kaum.

Rüdiger Heimlich

© Kölner Stadt Anzeiger 2009

Qantara.de

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