Der Tag an dem ich zur Frau wurde

Marzieh Meshkinis Debütfilm handelt von drei Frauen, drei Lebensabschnitten und drei Schicksalen. Und er handelt vom Recht der Frauen auf Selbstverwirklichung in einer patriarchalisch-religiösen Gesellschaft.

Marzieh Meshkinis Debütfilm handelt von drei Frauen, drei Lebensabschnitten und drei Schicksalen. Und er handelt von etwas, das für iranische Frauen keineswegs selbstverständlich ist: dem Recht auf Selbstverwirklichung in einer patriarchalisch-religiösen Gesellschaft.

The Makhmalbaf Filmhouse
Filmausschnitt: Der Tag an dem ich zur Frau wurde

​​Eine schwarz gewandete Frau radelt um ihr Leben. Das ist nicht buchstäblich zu verstehen, aber im Grunde geht es um nichts anderes. Sie heißt Ahoo und nimmt an einem Fahrradrennen teil, aber sie hat gegen mehr als nur ihre direkten Kontrahentinnen anzustrampeln.

Sie flieht vor einer Ehe mit einem Mann, den sie nicht liebt. Sie flieht vor den überkommenen Traditionen eines Landes, denen sie sich nicht mehr beugen will. Im Nacken hat sie ihren Mann, einen Mullah, ihren Vater, schließlich ihre Brüder. Jeder bekommt seinen kurzen Auftritt, hoch zu Ross und verzweifelt darum bemüht, mit dem Mädchen Schritt zu halten, das da so verbissen gegen die Hitze, die Erschöpfung und die Ohnmacht ankämpft.

Schmerz, der erzählt werden muss

Kein Name hat das iranische Kino so geprägt wie der Name Makhmalbaf. Die Produktivität der Familie Makhmalbaf durch alle Generationen ist im Weltkino einmalig. Mohsen Makhmalbaf (zuletzt "Reise nach Kandahar", 2001) ist eine der wichtigsten Figuren des iranischen Kinos, seine Tochter Samira ("Schwarze Tafeln", 2000) gilt als große Hoffnung und selbst die heute sechzehnjährige Hana hatte bereits vor zwei Jahren mit ihrem Debütfilm "Joy of Madness" international für Furore gesorgt.

Marzieh Meshkini, die Regisseurin von "Der Tag, an dem ich zur Frau wurde", ist Mohsens zweite Frau, und viel von seiner Bildsprache und dem Hang zu überdeutlichen Bildern ist auch in ihrem Film spürbar. Ihr Debüt lebt von einer ungekünstelten Erzählung.

Was sie in ihren Bildern zeigt, ist nicht symbolisch überladen - die Art von nahöstlicher Poesie, die westliche Filmkritiker im iranischen Kino stets suchen -, sondern bestimmt von einer geradezu prosaischen Eindeutigkeit.

"Der Tag, an dem ich zur Frau wurde" beschreibt Momentaufnahmen, klare Situationen und Positionen, deren Problematik wir uns im Westen kaum noch bewusst sind. Die absurd-komischen und zuweilen auch surrealen Momente ihres Films sind wie ein Ventil für einen Schmerz, der nur schwer in Worte zu fassen ist und doch immer wieder erzählt werden muss.

Drei Einzelschicksale hat Marzieh Meshkini sich für ihren Film "Der Tag, an dem ich zur Frau wurde" vorgenommen, um ein Porträt von den Lebensverhältnissen iranischer Frauen zu zeichnen. Drei Geschichten von gleichwertiger Bedeutung, die inhaltlich nicht ineinander verschachtelt sind, aber erzählerisch doch Berührungspunkte aufweisen.

Handlungsort ist die iranische Halbinsel Kish, wo zwei Welten aufeinander prallen. Anfang der 90er Jahre wurde Kish von der Regierung zur Freihandelszone erklärt, um den Tourismus in der Region anzukurbeln. Die Folgen sind in Meshkinis Film spürbar. Diese staubige, vegetationslose Wüstenlandschaft will nicht zusammenpassen mit der modernen Architektur, die das Tourismuszentrum dominiert.

Aus diesem – allein schon rein ästhetischen - Widerspruch entspringt eine Kritik, die Meshkini mit unterschwelliger Lakonie andeutet. Im "modernen" Teil Kishs ist der Kapitalismus eingekehrt, und dass dies noch eine neue, zunächst einmal ganz wertfreie Erfahrung für die iranische Bevölkerung, vor allem die vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossene weibliche, ist, zeigt die dritte Episode von "Der Tag, an dem ich zur Frau wurde".

Vom Leben ausgeschlossen

Eine Gruppe von Kindern sitzt am Ausgang des Flughafens und wartet auf Passagiere, denen sie zu Hilfe eilen können. Die Prozedur ist jedes Mal dieselbe: Sobald ein Flugzeug landet, stürmt die Gruppe mit ihren Gepäckwagen geschlossen in das Hauptgebäude. Wer hier ankommt, hat Geld übrig, auch für sie.

Und diesmal hat einer dieser Jungen das große Los gezogen, auch wenn er nicht der schnellste war. Die alte Frau im Rollstuhl, die übrig geblieben ist, hat geerbt, und es ist ihr sehnlichster Wunsch, die Freuden des Konsums noch einmal auszukosten, bevor es mit ihr zu Ende geht. Also geht es auf direktem Weg ins Einkaufszentrum.

Das Kapital ist maßlos, das wird bald klar. Schnell hat die alte Frau einen Tross von Kindern im Schlepptau, eine Karawane von Güterwaren: die Kulisse eines ganzen Lebens, die folgerichtig am Strand errichtet wird. Die gutbürgerliche Couch mitsamt Fernseher und Spiegelschränkchen wirkt befremdlich vor dem klaren Blau des Meeres.

Der Titel von Meshkinis Film bezieht sich auf die erste Episode, der Geschichte des Mädchens Hava. Wie jeden Tag wird Hava von ihrem Freund Hassan zum Spielen abgeholt, aber an diesem Morgen, ihrem neunten Geburtstag, soll nichts mehr so sein, wie es einmal war.

Ihre Mutter und Großmutter verbieten Hava den Umgang mit dem Jungen. Sie sei nun kraft ihrer Religion eine Frau und müsse sich den gesellschaftlichen Regeln fügen. Kein Umgang mehr mit Jungs. Als Geburtstagsgeschenk hat Havas Großmutter ihr einen Tschador, den Schleier muslimischer Frauen, mitgebracht. Ihre Initiation zur Frau kann beginnen.

Den Einbruch gesellschaftlicher Konventionen in das Leben eines Kindes beschreibt Meshkini mit den Augen des Mädchens. Hava will nicht einsehen, was sich über Nacht in ihrem Leben geändert haben soll, und mit kindlicher, unwiderstehlicher Logik holt sie eine Gnadenfrist bis zur Mittagszeit heraus, um ein letztes Mal mit Hassan spielen zu können.

Wenn der Schatten des Stocks, den sie zur Markierung in den Boden gesteckt hat, verschwunden ist, beginnt für Hava ein neues Leben. Doch die letzten Stunden der beiden Kinder finden plötzlich unter veränderten Vorzeichen statt.

Hassans Mutter hat ihrem Sohn nun umgekehrt den Umgang mit Hava verboten, und dem Jungen bleibt nichts anderes übrig, als vom vergitterten Fenster aus mit seiner kleinen Freundin zu reden. Am Strand bauen ein paar ältere Jungs ein Floß. Es ist das Floß, wie wir später erfahren, mit dem die alte Frau ihre Habseligkeiten nach Hause schiffen will.

Zwei Mädchen, die am Radrennen teilgenommen haben, erzählen der alten Frau von Ahoo und ihrem Kampf gegen die eigene Sippschaft. Der Kreis schließt sich. Hava blickt aufs Meer, den Flößen hinterher. Der Tag, an dem sie zur Frau wurde, hat nicht nur ihr Leben verändert.

Andreas Busche, &copy Fluter.de 2004

"Der Tag an dem ich zur Frau wurde" (Roozi khe zan shodam) Iran 2000, Regie: Marzieh Meshkini, Buch: Mohsen Makhmalbaf, Marzieh Meshkini, mit Fatemeh Cherag Akhar, Shabnam Toloui, Azizeh Sedighi, Hassan Nebhan, Shahr Banou Sisizadeh, Ameneh Passand.

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