"Das Hospital der Freiheit ist mein eigentlicher Held"

In Hamid Sulaimans Comic-Roman "Freedom Hospital" trotzen Menschen dem Elend des syrischen Bürgerkriegs. Im Interview mit Stefan Dege spricht der Autor über die verworrene Situation in Syrien, über Folter, Zerstörung und Tod - aber auch über Hoffnung.

Von Stefan Dege

Herr Sulaiman, warum erzählen Sie den syrischen Bürgerkrieg in einem Comic-Roman, einer Graphic Novel?

Hamid Sulaiman: Ich schwärme für Art Spiegelman oder Joe Sacco. Außerdem eignen sich Comic-Romane bestens, andere Kulturen zu zeigen. Filme oder Dokumentarfilme sind ungleich aufwendiger - und teurer. Eine Graphic Novel enthält Bild und Text und trägt dabei eine ganz eigene künstlerische Handschrift. Ich wollte in diesem Buch meine Erlebnisse im Arabischen Frühling verarbeiten, ohne zu wissen, wie das Publikum reagiert.

Für wen haben Sie das Buch gemacht?

Sulaiman: Es ist kein Buch für Kinder. Bei vielen Lesungen treffe ich ältere Leute oder solche in meinem Alter. Die meisten interessieren sich für den Nahen Osten, für Geopolitik und für arabische Kultur. Manche wollen einfach nur etwas über Syrien erfahren.

Buchcover "Freedom Hospital";Foto: Hanser Berlin
Ein Mikrokosmos des Miteinanders: Im „Freedom Hospital“ treffen Verwundete aus unterschiedlichen ideologischen und religiösen Kontexte aufeinander - und erleben die behutsamen Anfänge eines Miteinanders, aber auch die tiefe Verlorenheit des Krieges. Das Unzeigbare des Kriegsalltag findet sich auch in der Bildsprache wieder: Wenn Bomben durch den Himmel geschossen werden, wird das Bild schwarz oder Tinte verteilt sich über das Bild.

Wer von hier aus nach Syrien schaut, versteht den dortigen Konflikt kaum …

Sulaiman: Sogar ich habe damit Probleme. Da sind die vielen verschiedenen Gruppen, die ganz unterschiedlichen Verhältnisse und Einflusszonen in den Städten. Hier dominieren radikale Muslime, dort das Regime, dann wieder die syrische Befreiungsarmee oder irgendeine andere Miliz. Keine Situation gleicht der anderen. Wer steigt da schon durch? Mein Buch spiegelt das wider. Deshalb erzählt es auch nicht die Geschichte einer einzelnen Person. Es zeigt, was in Syrien los ist.

Sie haben Ihr Buch einem guten Freund gewidmet: Hassam Kuhayat. Warum?

Sulaiman: Hassam war mein bester Freund. Er hat wie ich Architektur studiert. Wir haben gemeinsam an der Revolution teilgenommen. Wir gingen zu den Demonstrationen. Dann musste ich Syrien verlassen, während er noch blieb. Als er ins Ausland wollte, um dort weiter zu studieren, wurde er verhaftet. Eine Woche später hatten sie ihn zu Tode gefoltert. Ich gehöre keiner Partei an. Der Arabische Frühling war eine Volksbewegung von Menschen wie du und ich. Die meisten Syrer, die Hoffnungen auf den Arabischen Frühling gesetzt haben, sitzen heute wie ich zwischen den Stühlen – hier ein terroristischer Diktator, dort die Islamisten.

In diesen Tagen berichten Menschenrechtler über massive Folter und Morde in syrischen Gefängnissen...

Sulaiman:... Jeder weiß, wozu das Regime imstande ist, selbst Leute, die auf Assad setzen. Jeder weiß auch, was in syrischen Gefängnissen passiert. Natürlich leugnet das Regime alles. Aber erinnern Sie sich an die Fotos von Folteropfern von "Caesar", die er in einem Militärkrankenhaus aufnahm und außer Landes schmuggelte? Als er sie 2013 veröffentlichte, haben viele Syrer sie auf der Suche nach verschwundenen Angehörigen und Freunden durchgesehen. Ich selbst entdeckte darauf einen guten Freund. Man hatte ihn anderthalb Jahre zuvor verhaftet und dann zu Tode gefoltert. Die Länder des Westens schauen auf den Bürgerkrieg in Syrien und sagen: "Wenn wir schon zwischen Pest und Cholera stecken, leben wir eben mit dieser Assad-Plage."

Hamid Sulaimans Comic-Novel wird zurzeit in Berlin ausgestellt; Foto:H. Sulaiman
Zeichnen gegen das Vergessen: Hamid Sulaiman flieht vor dem Bürgerkrieg in Syrien und nimmt viele schmerzliche Erinnerungen mit. In „Freedom Hospital“ verarbeitet er diese und erzählt die Geschichte der Friedensaktivisten Yasmin, die ein kleines illegales Krankenhaus in der syrischen Provinz betreibt.

Deutschland will künftig Flüchtlinge schneller in ihre Herkunftsländer zurückschicken - wobei syrische Bürgerkriegsflüchtlinge davon ausgenommen sind. Trotzdem: Was wäre, wenn Sie jetzt nach Syrien zurückkehren müssten?

Sulaiman: Dorthin kann keiner zurück. Mich erwartet bestenfalls der Militärdienst. Da stirbst Du an der Front. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass ich für lange Zeit im Gefängnis verschwinden würde. Zugleich bleiben mir weite Teile der arabischen Welt versperrt. Ich kann weder nach Jordanien noch in den Libanon, weder in die Türkei noch nach Ägypten. Sie geben mir kein Visum. Ich kann dort nicht leben und nicht arbeiten. Niemand will uns syrische Flüchtlinge. Aber wir sind doch Menschen! Ich behaupte nicht, dass wir besonders großartig sind. Es gibt gute und schlechte Menschen unter den Syrern – wie überall auf der Welt.

Sie haben Ihr Buch "Freedom Hospital" genannt - weshalb?

Sulaiman: Der eigentliche Held meiner Geschichte ist das Krankenhaus. Es heißt nicht Assad-Krankenhaus oder Baath-Krankenhaus, wie so viele offizielle Einrichtungen in Syrien. Es heißt Hospital der Freiheit. Hier treffen die verschiedensten Menschen aufeinander. Sie leben und arbeiten zusammen. Das gibt Hoffnung.

Hamid Sulaiman, Jahrgang 1986, wurde in Damaskus geboren, studierte Architektur und arbeitet als Maler und Illustrator. 2011 floh er aus Syrien und lebt seither in Paris.

Das Gespräch führte Stefan Dege.

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