Der Schriftsteller und Kritiker Elias Khoury
Die Wirklichkeit als Albtraum

Der libanesische Schriftsteller und Kritiker Elias Khoury macht sich auf die Suche nach dem Wesen des Schreibens in einer Welt, die wieder und wieder von Gewalt und Konflikten heimgesucht wird. Was er findet ist – Hoffnung.

Zu Anfang möchte ich eine Frage aufwerfen, bei der ich mir gar nicht sicher bin, ob ich sie beantworten kann. Aber diese Frage beschäftigt mich, seit ich das Gefühl habe, an einem rätselhaften Ort zu leben, der außerhalb der literarischen Erfahrungen liegt, mit denen ich mich üblicherweise identifizieren kann. Gleiches gilt für die dort agierenden Protagonisten. Erstmals beschlich mich dieses Gefühl zu Anfang des libanesischen Bürgerkriegs, als die überschaubare Gesellschaft des Libanons an Widersprüchen zerbarst, denen sie nichts entgegensetzen konnte. Die libanesische Gesellschaft zerfiel in Fragmente und mit dieser Fragmentierung kollabierten die von der literarischen und politischen Moderne erschaffenen Träume.

Die Schatten des libanesischen Bürgerkriegs verschwanden bei Kriegsende 1991 nicht. Eher wurden die Aussichten noch düsterer. Es war ein Fanal unseres Realitätsverlusts: Wir hatten nicht wahrhaben wollen, dass die arabischen Länder seit mindestens 1948 in einem ständigen Notstand leben, dass wir einen katastrophalen Kurs steuerten und immer noch steuern....und dass wir letztlich unsere Vorfahren zu Grabe tragen mussten. Wir hatten mit ihren Leichnamen gelebt, ohne dass wir die Verwesung hätten riechen können. So sehr war uns der Gestank des Todes zur Gewohnheit geworden.

Die eingangs formulierte Frage wurde noch komplizierter, als ich Franz Kafka wiederentdeckte. Kafka schrieb über die Albträume des Menschen in seiner Zeit. Seine Literatur gilt als Impulsgeber bei der Erforschung der Entfremdung des menschlichen Individuums. Während ich Kafka erneut las, stellte ich erstaunt fest, dass ich mich nicht mit den Protagonisten Kafkas identifizieren konnte. Dies gilt insbesondere für diejenigen in "Die Verwandlung" und "Der Prozess", also den literarischen Arbeiten, die zum Symbol für das Leiden des modernen Menschen geworden sind.

Die Härte der Allegorie Kafkas

Je größer meine Aversion gegen eine Identifikation mit Kafkas Protagonisten wurde, umso größer wurde meine Bewunderung für die Texte Kafkas und für die von seinen Allegorien und Metaphern beschworene Magie. Zunächst führte ich diese Aversion auf die Härte der Allegorie Kafkas zurück. Selbst sein Roman "Der Prozess", der Sonallah Ibrahim zu seinem Roman "The Committee" inspirierte, scheint keinen Dialog mit den zerfallenden Welten anzubieten, inmitten derer ich lebe, während ich die albtraumhafte Welt des Romans nicht in dem Beziehungsgeflecht zwischen den Nacht- und Tagträumen verorten konnte, die meine Vorstellungswelt besetzen.

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