Ein Leben im schönsten Exil

Marwan Abado musste seine Geburtstadt Beirut wegen des Bürgerkriegs verlassen. Doch sein Lebensweg zeigt, dass Exil nicht zwangsläufig bedeuten muss, ein Leben in der Fremde zu führen. Suleman Taufiq traf den Oud-Virtuosen in seiner Heimatstadt Wien.

Marwan Abado; Foto: &copy www.marwan-abado.net
Abado wurde für seine interkulturelle Arbeit mit dem Bundesehrenzeichen für Interkulturellen Dialog vom österreichischen Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur geehrt.

​​ Bereits in Beirut hatte Marwan Abado angefangen, sich für Musik zu interessieren. Dort wurde er 1967 als Flüchtling geboren. Seine Familie war 1948 aus Palästina vertrieben worden.

In dieser Stadt der Gegensätze trafen zahlreiche Einflüsse aus Ost und West zusammen und befruchteten sich gegenseitig. Eine Generation von jungen Musikern war in Beirut herangewachsen, die begierig alle neuen Strömungen der Musik in sich aufsog und verarbeitete.

In dieser anregenden Atmosphäre begann auch die Karriere von Marwan Abado. Und auf die Frage, von wem er die Liebe zum Singen in die Wiege gelegt bekommen habe, sagte er: "Die hatte ich von meinem Großvater. Er hat immer gesungen."

Der neue unbekannte Kosmos der Künste

1975 brach der Bürgerkrieg im Libanon aus. Der achtjährige Abado musste das Flüchtlingslager Dbaya im Norden von Beirut verlassen. Die Familie bezog jetzt im Westen der Stadt eine Wohnung. Sie wohnten in einem elfstöckigen Haus, in dem auch eine Kunstakademie angesiedelt war. Dort erhielt er Musikunterricht und kam so mit neuen musikalischen Formen, mit Theater und Sprechgesang in Berührung.

das Quintet Neuwirth-Correa-Dobrek-Biz-Abado; Foto: &copy www.marwan-abado.net
Slawo-judäo-arabo-brasilianisch-wienerische Melange: das Quintet Neuwirth-Correa-Dobrek-Biz-Abado...

​​ Der junge Abado gebannt von dieser neuen, faszinierenden Welt. Eine ihm vorher vollkommen unbekannte Kosmos der bildenden und darstellenden Künste öffnete sich vor ihm und begeisterte ihn nachhaltig. Von seinen Ersparnissen kaufte er sich seine erste arabische Laute, eine Oud, 1983 wurde er Mitglied in einer Band, mit der er zwei Jahre lang gemeinsam auftrat.

Doch in Beirut konnte er nicht länger bleiben. Im Libanon tobte der Bürgerkrieg und wurde vor allem für die Palästinenser immer gefährlicher. Abado beschloss, nach Europa zu gehen. Ohne Ziel. Nur, um irgendwo einen Ort finden, wo man bleiben konnte. Wien war der reine Zufall. Dort nahm er sein Studium der orientalischen und europäischen Musik wieder auf.

Tiefe musikalische und soziale Auseinandersetzung

"In Wien habe ich sehr viele Menschen und Musiker aus unterschiedlichen Kulturen und musikalische Identitäten getroffen, und ich glaube, so was wäre für mich im Libanon nicht möglich. Und dieses Treffen bedeutet nicht nur, dass man einem die Hand schüttelt und 'schön' und 'super' sagt, sondern dass sich tiefe Auseinandersetzung musikalischer und sozialer Art daraus erben."

Wien war für ihn das "Tor zur Welt", der ideale Ort, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Sein erstes Album "Kreise", zeigt deutlich, dass er von der westlichen Musik inspiriert wurde. "Kreise" ist hauptsächlich Instrumentalmusik für Oud, Kontrabass, Sopransaxophon und Schlagzeug.

Eine Fülle von Bildern

Neben solchen instrumentalen Alben kehrt Marwan Abado immer wieder zu seiner großen Liebe, der Lyrik zurück. Texte moderner arabischer Autoren sowie eigene Gedichte stehen zum Beispiel in seinem Programm "Kabila" im Zentrum.

​​ Hier arbeitete er mit arabischen Lyrikern der jüngeren Generation zusammen. "Es geht bei mir immer darum, die Rhetorik in der Sprache zu brechen. Deshalb habe ich eine Liebe zur modernen arabischen Poesie, die eigentlich aus einer Fülle von Bildern besteht."

"Meine Musik ist ein Teil von meinem Leben, besteht aus einem Ursprung, aus einer bestimmten Biographie, und es besteht auch aus einem Leben im schönsten Exil, in Wien. Für mich ist Exil ein Ort der Begegnung, der Entwicklung. Diese Begegnungen sind auch Teil dieser Kompositionen."

Lob der Langeweile

​​ Zu einem wichtigen Einfluss in seiner Musik wurde auch der Jazz. Improvisation heißt das Zauberwort, das beide Musikstile, den Jazz und die orientalische Musik, gemeinsam verbindet. Denn auch für die orientalische Musik gilt ihr Reichtum an Improvisationen als typisches Charakteristikum.

Bemerkenswert ist aber, dass dieser Jazz nicht benutzt wird, um die arabische Musik zu würzen. Dem heute in Zeiten der "World Music" oft gängigen Trend zur musikalischen Vermischung, zu einem bunten Klangbrei, setzt Abado eine Musik entgegen, in der die einzelnen Klangwelten hörbar bleiben und noch zu unterscheiden sind.

Abados Musik ist nicht losgelöst von der Situation in Palästina zu betrachten. Und so sprechen seine Lieder manchmal auch von der palästinensischen Wirklichkeit. Wie in diesem Lied:

"Jeden Tag gibt es Nachrichten
Jeden Tag gibt es Bilder
über ein Land Namens Palästina.
Jeden Tag gibt es Kämpfe
Jeden Tag gibt es Abschied
in einem Land Namens Palästina.
Ich wünsche uns einen Tag
ohne Heldentaten
ohne Märtyrer
ohne Verletzte
einen ganz langweiligen, banalen Tag
und dieser gewöhnliche Tag
wird zum Festtag
für ein Land Namens Palästina."

In diesen Zeilen drückt sich die Sehnsucht nach einer Normalität aus, für die sich Abado auch im Alltag in seiner neuen europäischen Heimat einsetzt.

Im vergangenen Jahr wurde Abado für seine interkulturelle Arbeit mit dem Bundesehrenzeichen für Interkulturellen Dialog vom österreichischen Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur geehrt.

Suleman Taufiq

© Qantara.de 2009

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