Der nordafrikanische Terror zieht Europa in Mitleidenschaft

Die jüngsten Anschläge in Algier zeigen einmal mehr, dass im nördlichen Afrika eine islamistische Szene existiert, in der sich Terror und gewöhnliche Kriminalität vermischen. Die Mehrheit der in Europa festgenommenen Terrorverdächtigen stammt aus dem Maghreb.

Die jüngsten Anschläge in Algier zeigen einmal mehr, dass im nördlichen Afrika eine islamistische Szene existiert, in der sich Terror und gewöhnliche Kriminalität vermischen. Die Mehrheit der in Europa festgenommenen Terrorverdächtigen stammt aus dem Maghreb.

Anschlag von Algier; Foto: dpa
Am 11. April wurden durch einen Anschlag mit einer Autobombe in Algier mehrere Dutzend Menschen getötet

​​Als im Frühjahr 2003 in der Sahara 32 Touristen - unter ihnen 4 Schweizer - einer Geiselnahme zum Opfer fielen, nahm erstmals eine breite europäische Öffentlichkeit Notiz von einer Organisation, die aus den Wirren des algerischen Bürgerkriegs hervorgegangen war, dem Groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC).

Das Kidnapping, das mit der Zahlung eines Lösegelds zu Ende ging, machte einmal mehr deutlich, dass der islamistische Terrorismus viele Gesichter hat und sich nicht auf die weltweite "Marke" Kaida reduzieren lässt.

Die Gruppe rechnete sich zwar einerseits dem Netzwerk Usama bin Ladins zu, anderseits betätigen sich die in den einzelnen algerischen Regionen selbständig operierenden Kommandanten (Emire) des GSPC als gewöhnliche Kriminelle.

Fehlende Grenzkontrollen

Die Organisation war Ende der neunziger Jahre entstanden, als der blindwütige Terror des Groupe islamique armé (GIA) gegen Sicherheitskräfte und Zivilisten in Algerien mehr und mehr auf Ablehnung stiess.

Der GSPC spaltete sich daraufhin vom GIA ab und erklärte, er kämpfe nur gegen staatliche Institutionen. Nachdem sie sich zunächst auf Algerien beschränkt hatten, griffen die Islamisten sukzessive auf die Nachbarländer in Nordafrika und der Sahelzone über, wo sie Rückzugsräume besassen und Kämpfer rekrutierten.

In Mauretanien attackierte ein Ableger des GSPC im Jahr 2005 einen Militärposten und tötete 15 Soldaten. Während die algerischen Sicherheitskräfte vergleichsweise schlagkräftig sind, lässt sich dies für Mali, Mauretanien, Tschad und Niger kaum sagen. Die Grenzgebiete sind unwegsam und schlecht überwacht - ein ideales Terrain für Kriminelle und Terroristen.

Unklares Beziehungsnetz

Schon im Oktober 2003 leistete der damalige Führer der Organisation einen Treueid gegenüber der Kaida; der GSPC war damit die erste selbständige Terrorgruppe, die sich als regionale Unterorganisation der Kaida bezeichnete.

Zugleich war unklarer denn je, in welchem Umfang die Islamisten als einheitliche Organisation handelten. Die algerischen Sicherheitskräfte töteten oder verhafteten in jener Zeit zahlreiche Führungsleute.

Zugleich verfolgten die lokalen Emire eigene Interessen. Der Kommandant Amari Saifi, der vermutlich die 32 Touristen entführen liess, war zugleich Schmuggler, der hohe Profite im Waffenhandel erzielte. Für die Geiseln bedeutete dies Glück im Unglück, denn die Kaida hätte sich kaum auf eine Lösegeldzahlung eingelassen.

Internationalisierung der maghrebinischen Kaida

Der Verfolgungsdruck und interne Auseinandersetzungen hinterliessen Spuren. In einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik wiesen Guido Steinberg und Isabelle Werenfels darauf hin, dass algerische Medien im vergangenen Jahr die Frage diskutierten, ob der GSPC geschwächt sei.

Dei der sechs deutschen Geiseln landen am 14. Mai 2003 am Kölner Flughafen; Foto: AP
Von den 17 Touristen, die im Frühjahr 2003 Opfer einer Geiselnahme in Algerien wurden, kamen sechs aus Deutschland

​​Die Umbenennung der Gruppe in "al-Kaida im islamischen Maghreb" und die Anschläge in Algier erscheinen wie eine Antwort darauf. Ohnehin häufen sich seit einigen Monaten die Attentate wieder.

Über die Stärke der Organisation gehen die Schätzungen westlicher Nachrichtendienste auseinander. Meist werden einige hundert Kämpfer und Unterstützer genannt, insgesamt aber weniger als 1000 Mann. Offenkundig forciert die maghrebinische Kaida die Internationalisierung.

Nachdem ihre kriminellen wie terroristischen Aktivitäten generell grenzüberschreitend angelegt waren, wird nun offiziell der Sturz der Regime in den Nachbarländern als Ziel bezeichnet. Neben Algerien geraten damit ebenso Marokko, Tunesien und Libyen in den Fokus.

Im Kosmos islamistischer Terrorzellen lässt sich nur schwer feststellen, wer mit wem kooperiert, wie Finanzströme und Befehlswege verlaufen. Geheimdienste halten es für unwahrscheinlich, dass der in Pakistan und Afghanistan verbliebene Kern der Kaida der GSPC-Nachfolgeorganisation Geld oder operative Anweisungen zukommen lässt.

Kämpfer im Irak

Umgekehrt dient die grösste Terrorgruppe Algeriens als Rekrutierungsbasis für den globalen Jihad: Ein Grossteil der ausländischen Kämpfer im Irak soll derzeit algerischer Herkunft sein; vor 2001 durchliefen viele Algerier die Trainingslager der Kaida. Zu den Gesinnungsgenossen in anderen Maghrebstaaten bestehen ebenfalls Beziehungen.

Allerdings ist etwa in Marokko die islamistische Szene ohnehin zahlenmässig stark und gewaltbereit, wie sich in Casablanca zeigte, wo sich Islamisten in die Luft sprengten, nachdem sie von der Polizei umstellt worden waren.

Wie sich lokale und internationale Kräfte im Islamismus zueinander verhalten, bleibt umstritten. Betonten westliche Geheimdienste früher den Charakter eines globalen Netzwerks, sieht man heute eher lokale Zellen als die Triebfedern an.

Die griffige Bezeichnung "Kaida im islamischen Maghreb" bedeutet nicht zwangsläufig eine koordinierte transnationale Einheit.

Der nordafrikanische Terror zieht Europa in Mitleidenschaft, seit algerische Extremisten Anschläge in Frankreich verübten. Insofern ist das Auftauchen von islamistischen Kadern jenseits des Mittelmeeres kein neues Phänomen seit der globalen Präsenz von al-Kaida.

Auch der GSPC und sein Nachfolger unterhalten Ableger in Europa. In den letzten Jahren wurden in Frankreich und Marokko regelmässig Anhänger der Organisation verhaftet. Diese hatten Kontakte nach Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Dänemark und Grossbritannien.

Verhaftungen in der EU

In ihrem jüngsten Terrorismus-Report schreibt die Europol, dass die Mehrzahl der 260 im letzten Jahr in der EU festgenommenen Terrorverdächtigen aus Algerien, Tunesien und Marokko stammt. Den meisten wird nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last gelegt, sie benützen Europa als Rückzugsraum.

In einigen Fällen geht es aber um logistische Hilfe wie Personentransit und Geldbeschaffung durch Drogenschmuggel oder Kreditkartenbetrug, ferner um den Kauf von Sprengstoff.

Dass sich aus dem maghrebinisch-islamistischen Milieu in Europa heraus auch Attentate entwickeln können, zeigten die von marokkanischen Einwanderern ausgeführten Anschläge in Madrid im Jahr 2004.

Während sich die EU noch mit einer koordinierten Antwort auf die terroristische Gefahr aus Nordafrika schwertut, haben die USA bereits gehandelt. Washington baute die Militärkooperation mit den Maghrebstaaten aus.

In Algerien können die amerikanischen Streitkräfte ein Flugfeld und Abhöreinrichtungen benützen. In der sogenannten Trans-Sahara Counterterrorism Initiative dehnten die Vereinigten Staaten die Zusammenarbeit auf Mauretanien, Mali, Niger und Tschad aus.

Im Vordergrund stehen dabei die Ausbildung von Polizei und Militär sowie die bessere Überwachung der Grenzen und des Luftraums.

Eric Gujer

© Neue Zürcher Zeitung 2007

Qantara.de

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