Das Recht auf persönliche Beleidigung

Wer beim Kabarettisten Serdar Somuncu in der ersten Reihe sitzt, sollte auf unflätige Beleidigungen vorbereitet sein. Etwas sicherer kann man sein radikales Programm in zwei Büchern samt CD und DVD kennenlernen. Von Lewis Gropp

Serdar Somuncu ist ein Hardcore-Comedy-Kabarettist, ein radikaler Beleidiger, der seinen Zuschauern Unerhörtes zumutet. Somuncu feiert das Vulgäre, das Geile, das Ungezügelte. Das Publikum wird zu Beginn seiner Show in der Regel mit einer unflätigen Beleidigung begrüßt: "Du Penner! Nimm die Jacke weg! Die Bühne ist ein heiliger Ort, da legt man nicht seine Jacke hin – ich kack ja auch nicht in deinen Rotwein!" Wer bei Serdar Somuncu in der ersten Reihe sitzt, muss auf Verbalinjurien und Entblößungen vorbereitet sein.

Dabei geht es Serdar Somuncu nicht in erster Linie um Tabubrüche und Showeffekte. Mit dem Leitspruch "Jede Minderheit hat ein Recht auf persönliche Beleidigung" verfolgt er das Ziel, verlogenen Konsens und unaufrichtige Harmonie zu entlarven: "Nein, es geht nicht um Radikalität. Es geht darum, eine neue Tonart anzuschlagen. Was ich feststelle, ist, dass je mehr 'political correctness' gefordert wird, sich die 'political incorrectness' ins Innere verlagert. Viele Menschen denken radikal, reden aber liberal. Deswegen habe ich auch eine andere Tonart angeschlagen, weil ich das als absolut zeitgemäß ansehe", sagt der Künstler.

Auf seiner neuen DVD und CD "Der Hassprediger" lässt sich beobachten, wie dreist Somuncu vorgeht, um seine These der allgemeinen Verlogenheit zu bestätigen. Mit seinem radikalen Sprachgebrauch entlockt er seinem Publikum ein Lachen, um ihm anschließend eine Lektion zu erteilen. Und dann sagt er zum Publikum: "Auch das ist ein Teil des Deals: Ich kann mich nicht für Ihre schmutzigen Gedanken schämen."

"Man lacht über die Täter"

Somuncu hat sich schon früh auf Tabubrüche festgelegt. Bereits 1996 betrat er die Bühne mit kommentierten Lesungen aus Hitlers "Mein Kampf". Es ging ihm dabei nicht um den Skandal. Somuncu wollte die Deutschen vielmehr von dem ängstlichen, tabuisierenden Umgang mit dem Werk befreien und zu mehr Vertrauen in die Kraft der demokratischen Ideen ermutigen. "Wer über 'Mein Kampf' lacht", erklärt er, "hat begriffen, was da für ein Unfug drinsteht. Wer das gefährlich findet und glaubt, man würde über die Opfer lachen, hat nichts kapiert. Man lacht über die Täter."

​​Nach über 1500 "Mein Kampf"-Auftritten vor mehr als 250.000 Zuschauern machte sich der in Istanbul geborene Kabarettist aus Neuss an ein neues Projekt. Er nahm Josef Goebbels' Tagebücher zur Hand, aus denen er ein Programm konzipierte, das eine Mischung aus Tabubruch, politischer Aufklärungsarbeit und Theater war. Im Anschluss daran tourte er längere Zeit mit einem Programm mit dem lustigen Namen "Hitler Kebab" durch die Lande.

Neben der jüngst erschienenen DVD "Der Hassprediger", die Serdar Somuncu in seiner ganzen ungezügelten Radikalität zeigt, hat der gelernte Bühnenschauspieler auch ein Buch mit dem griffigen Titel "Der Antitürke" verfasst. In der Ankündigung des Verlags heißt es: "Serdar Somuncu wirft einen provokanten Blick auf die gemeinsame Geschichte der Türken und Deutschen und schlägt dabei einen Bogen von der Gastarbeiterzeit bis in die Gegenwart der Integrations- und Leitkulturdebatten." In der Vorbemerkung verspricht Somuncu, "schonungslos ehrlich zu sein, sowohl meinen deutschen Gastgebern als auch meinen türkischen Landsleuten gegenüber, und dabei das auszusprechen, was andere sich nicht zu denken trauen." Eine fulminante Ankündigung, die in diesem Buch allerdings nur zum Teil eingelöst wird. Das geschriebene Wort hat Somuncu offensichtlich zur Mäßigung bewogen.

'Quotenkanaken' und Klischeerollen

Zum Einstieg wärmt Somuncu das "Best of" aus seinem Bühnenprogramm auf. Er fantasiert über seine deutsch-türkische Zerrissenheit und darüber, wie er für seine Integrationsbemühungen das "Goldene Edmund-Stoiber-Siegel für angepasste Kanaken" verliehen bekommt. Mittlerweile sei er so deutsch, schreibt er, dass er "nachts mit dem Lineal auf die Autobahn renne und messe, ob der Abstand zwischen den weißen Streifen gleich groß ist."

In "Der Antitürke" finden sich mitunter Passagen ernster Reflexionen - allerdings mit einer Lust an der komödiantischen Überzeichnung formuliert.

"Auch ich habe seinerzeit lieber den 'Quotenkanaken' gegeben, um einen Job zu bekommen, statt abzulehnen und darum zu kämpfen, dass man mir die Chance gibt, das Klischeebild der Türken zu bekämpfen. So spielte ich lange Zeit immer wieder die gleichen Rollen - in der Regel Zuhälter, Drogendealer und Autoverchecker - und habe damit meine eigene Kultur verraten und zugleich mein Ansehen diskreditiert. Schlimmer noch: Ich habe aus Angst davor, einen Job zu verlieren, mich selbst verleugnet und sogar klein gemacht, wenn ich zum Beispiel im Casting auf Hochdeutsch vorgesprochen habe, um dann die Rolle selbst in radebrechendem Deutsch zu spielen, so als könnten die hier lebenden Türken grundsätzlich kein akzentfreies Deutsch. So habe ich beispielsweise für einen kurzen Gastauftritt in der Serie 'Lindenstraße' für jedes gesprochene Wort ein sattes Honorar kassiert, wobei der Satz, den ich sagen durfte, mit 'Kollega, nix verstehn', recht kurz ausfiel."

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind ein reichhaltiges Fass ohne Boden, und Somuncu kramt so ziemlich alles daraus hervor, was er darin findet. So diskutiert er auch die Problematik von Parallelgesellschaften, nicht allerdings, ohne das Thema mit einer gut sitzenden Pointe zu beschließen: "Wenn es wirklich Parallelgesellschaften auf dieser Welt gibt, dann schon eher auf Mallorca."

Deutsch-türkisches Panoptikum

In "Der Antitürke" strengt Somuncu auch Reflexionen über die Integrationsdebatte an. So schreibt er, dass man die Vorteile der türkischen Migration nach Deutschland aus dem Blick verloren und die Nachteile zu scheinbar unüberwindlichen Problemen aufgebauscht habe. Türken in Deutschland hätten wesentlich mehr zur Steigerung des Bruttosozialproduktes beitragen, als sie von den Sozialsystemen profitieren würden. Es hätten sich längst nicht alle Deutsch-Türken kollektiv in einer gefährlich gärenden Parallelgesellschaft abgeschottet, schreibt Somuncu, viele hätten eben doch erfolgreich ihren Platz in diesem Land gefunden.

Somuncu auf der Bühne; Foto: www.somuncu.de
"Was ich feststelle, ist, dass je mehr 'political correctness' gefordert wird, sich die 'political incorrectness' ins Innere verlagert. Viele Menschen denken radikal, reden aber liberal. Deswegen habe ich auch eine andere Tonart angeschlagen, weil ich das als absolut zeitgemäß ansehe", sagt der Künstler.

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Appeasement-Politik kann man diesem Autor jedoch nicht vorwerfen: An anderer Stelle vertritt er den Standpunkt, dass ein Türke, der sich in Deutschland überfremdet fühlt und seiner Tochter den Umgang mit Deutschen verbiete, in Deutschland "nichts verloren" habe.

Somuncus Buch ist voll von spannenden Themen: Es gibt einen historischen Abriss der deutsch-türkischen Beziehungen, der bis in die Kaiserzeit zurückreicht, das Thema Fußball als nationale Massenpsychose spielt eine Rolle, die Problematik von Islam und Frauenrechten wird verhandelt, es wird über den EU-Beitritt der Türkei spekuliert und so weiter und so fort. In seinem Text mischen sich persönliche Beobachtungen, Comedy-Prosa, politischer Kommentar und geschichtliche Aufklärungsarbeit. Nach der Devise "Mehr ist mehr" eröffnet Somuncu hier ein veritables deutsch-türkisches Panoptikum.

In diesem Sinne ist das Buch ein wertvoller Beitrag, der die deutsch-türkischen Beziehungen bereichert, weil er einen schonungslosen und vorurteilsfreien Blick darauf wirft. Somuncus Buch zeigt uns, was Deutschland heute für ein Land ist und was die wichtigen Fragen sind, mit denen unsere Gesellschaft heute ringt. In diesem Sinne ist "Der Antitürke" ein hochaktuelles Buch. Doch der Text ist auch aus vielen disparaten Elementen zusammengestellt, die sich nicht so recht zu einem großen Ganzen zusammenfügen mögen.

Darüber hinaus reicht die Lektüre nicht an die Filmaufnahmen vom "Hassprediger" heran, weil sie keinen Begriff davon vermittelt, wie radikal Somuncu wirklich ist. Zwar hat auch die DVD ihre Schwachstellen in der zweiten Programmhälfte, besonders dort, wo Somuncu die "Bild"-Zeitung liest und improvisierend kommentiert. Aber "Das Hassprediger" zeigt uns eine völlig neue Art von Kabarett, ein Kabarett, das uns aufrüttelt und denkwürdige Momente der Authentizität schenkt. Man muss Serdar Somuncu nicht mögen, aber es ist ein Versäumnis, ihn nicht zu kennen.

Lewis Gropp

© Qantara.de 2011

Serdar Somuncu: Der Antitürke, Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 192 Seiten.
Serdar Somuncu: Der Hassprediger liest BILD. Wortart, Köln 2009, 1 DVD, 1 CD.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de