Fotografie im lokalen Kontext

Seit 2002 wird jeden Herbst in Tel Aviv zusammen mit dem World Press Photo Award eine Auswahl der besten Pressefotografien aus Israel und den palästinensischen Gebieten präsentiert. Felix Koltermann hat sich die Ausstellung angesehen.

Von Felix Koltermann

Seit vergangenem Spätsommer ist Israel aufgrund einer Welle von Messerattacken palästinensischer Jugendlicher und militärischen Gegenreaktionen der israelischen Armee immer wieder Thema in den internationalen Nachrichtenmedien. Viele andere politische und soziale Geschehnisse in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten schaffen es dagegen nur selten, die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen.

Einen Überblick dieser Ereignisse und deren fotojournalistische Darstellung bietet die Ausstellung des israelischen Pressefotografiepreises, die vor Kurzem im Tel Aviver Eretz Israel Museum präsentiert wurde. Die Ausstellung zeigte nicht nur die Vielfalt politischer und sozialer Fragestellungen sowie Konflikte, mit denen Israel konfrontiert wird, sondern auch das Potenzial, über diese mit Hilfe der Fotografie zu erzählen.

Professionelle Augenzeugenschaft

Exemplarisch sichtbar wird dies an der israelischen Pressefotografie des Jahres 2015. Sie stammt von einem Veteranen des israelischen Fotojournalismus, Menahem Kahane, der für die französische Nachrichtenagentur AFP arbeitet. Zu sehen ist eine kleine Gruppe von Frauen in einem ausgebrannten, rußgeschwärzten Zimmer. Die drei Frauen halten sich Taschentücher vor die entsetzten Gesichter. Entstanden ist das Bild Anfang August 2015 im Haus der Familie Dawabsheh in einem kleinen Dorf in der Nähe der palästinensischen Stadt Nablus in der Westbank. Das Haus der Familie wurde durch einen von jüdischen Extremisten geworfenen Molotowcocktail in Brand gesetzt. Ein Baby und die Eltern starben.

Ein anderes klassisches Nachrichtenbild, welches den ersten Preis in der Kategorie "News" gewann, zeigt das Gesicht des orthodoxen Juden Yishai Schlissel, der von Polizisten auf den Boden gedrückt wird, kurz nachdem er im Juli 2015 eine Messerattacke auf Teilnehmer des Jerusalemer Gay Pride Parade verübt hat. Eine 16-jährige Schülerin erlag später ihren Verletzungen. Erschreckend am Bild von Emil Salman ist vor allem der wirre Blick des Attentäters. Hier zeigt sich das Potential des besonderen Augenblicks und die Bedeutung professioneller Augenzeugenberichte, die sich in der Anwesenheit des Haaretz-Fotografen zur richtigen Zeit am richtigen Ort manifestiert.

Beeindruckend ist auch eine Serie von Oren Ziv vom Kollektiv "Activestills" über Unruhen in der Beduinenstadt Rahat in der Negev-Wüste, die nach dem Tod zweier Beduinen in Folge einer Drogenrazzia ausbrachen. Eindrucksvoll zeigen Zivs Bilder, wie aus einem kleinen Ereignis Unruhen mit großer sozialer und politischer Sprengkraft entstehen können. Die Serie legt damit die fragile politische Situation in der Region offen.

The Israeli Press Photograph 2015 (Menahem Kahana/AP)
Pressefotografie des Jahres 2015: Sie stammt von einem Veteranen des israelischen Fotojournalismus, Menahem Kahane. Entstanden ist das Bild Anfang August 2015 im Haus der Familie Dawabsheh in einem kleinen Dorf in der Nähe der palästinensischen Stadt Nablus in der Westbank. Das Haus der Familie wurde durch einen von jüdischen Extremisten geworfenen Molotowcocktail in Brand gesetzt.

Das Schlaglicht auf eine andere Community in Israel wirft die Arbeit des Freelancers Dan Haimovich. Sie thematisiert Demonstrationen aus Äthiopien eingewanderter Juden im Zentrum von Tel Aviv im Frühsommer 2015. Auslöser waren rassistische Übergriffe auf Mitglieder der äthiopischen Community.

Breites Themenspektrum

Neben den Kategorien Nachrichtenbild und Serie des Jahres wurden weitere Preise in den Rubriken Nachrichten, Religion und Glaube, Umwelt und Natur, Urbanität und Kultur sowie Sport verliehen. Eine Besonderheit des Preises ist, dass die Kuratoren der Ausstellung neben den prämierten Bildern eine eigene Auswahl vorstellen.

In diesem Jahr wurden 700 Bilder von 300 Fotografen eingereicht, aus denen die Jury die prämierten Bilder auswählte. Die große Mehrzahl der beteiligten Fotografen sind jüdische Israelis. Aufgrund der palästinensischen Boykottbewegung reichen kaum noch Fotografen aus der Westbank oder dem Gazastreifen Bilder ein. Unter den in diesem Jahr prämierten Fotografen ist nur ein Palästinenser, der Reuters-Fotograf Ammar Awad aus Ost-Jerusalem.

Eine Besonderheit der Ausstellung ist, dass sie gemeinsam mit den Bildern des World Press Photo Award gezeigt wird. Mit dem Eretz Israel Museum wurde als Ausstellungsort eines der wichtigsten Museen Israels gewählt. Vor allem für die junge Fotografengeneration ist dies eine einzigartige Möglichkeit, die eigenen Bilder einem breiten Publikum zu präsentieren. Darüber hinaus werden auf diese Weise politische Themen, wie die israelische Besatzung oder die Situation der Beduinen in der Negev, die in den israelischen Mainstreammedien oft marginalisiert sind, in den öffentlichen Diskurs eingebracht.

Knife-wielding assailant is wrestled to the ground at Jerusalem's Gay Pride Parade (photo: Emil Salman/ Haaretz)
Emil Salmans Bild gewann den ersten Preis in der Kategorie "News": Der 39-jährige Jischai Schlissel lehnt, wie ein Teil der Ultraorthodoxen, den Staat Israel, seine Gesetze und Rechtsprechung ab und akzeptiert deshalb keine Strafverteidiger. Schon 2005 hatte er bei der Gay Pride Parade in Jerusalem mit einem Messer drei Menschen verletzt. Kurz vor dem erneuten Anschlag am 30. Juli 2015 war er nach einer zehnjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden.

Förderung des lokalen Fotojournalismus

Initiatorin des Wettbewerbs ist Dana Wohlfeiler-Leikin. Sie ist seit Langem um eine Förderung des lokalen Fotojournalismus bemüht. Auch Kooperationsprojekte mit palästinensischen Kollegen gehörten dazu. So organisierte sie zwischen 2008 und 2012 insgesamt vier Mal eine Workshop-Serie für israelische und palästinensische Fotojournalisten.

Die Workshops liefen über mehrere Monate und hatten ein großes Renommee. Als Abschluss gab es jeweils eine Ausstellung und eine Publikation mit zum Teil beeindruckenden Resultaten in Form von tiefgehenden dokumentarischen Langzeitprojekten. Leider ist momentan keine Neuauflage des Projekts in Sicht. Dies liegt unter anderem an der verfahrenen politischen Situation im Nahostkonflikt. Aufgrund der palästinensischen Boykottbewegung wurde es immer schwieriger, palästinensische Teilnehmer zu finden. Auch der Wettbewerb "Local Testimony" ist mit diesem Problem konfrontiert.

Viele der prämierten Fotografen arbeiten zwar fast ausschließlich im lokalen Kontext, ihre Bilder werden jedoch vor allem international verbreitet. Damit stehen die Fotografen exemplarisch für das, was die Hamburger Kommunikationswissenschaftlerin Elke Grittmann als "glokalen" Fotojournalismus bezeichnet: lokale Fotografen, die über lokale Themen für den globalen Bildermarkt produzieren und damit die Funktion der klassischen Auslandsberichterstattung übernehmen und vor allem das Publikum in Europa und den USA mit Bildern versorgen.

Auf eindrucksvolle Art und Weise zeigt die Ausstellung, was für ein großartiger Pool an Bildnachrichten und Geschichten dabei entsteht. Zu wünschen wäre, dass mehr dieser Bilder und Geschichten, die das Geschehen in der Region abseits des Nachrichtenmainstreams zeigen, den Weg in deutsche Medien finden würden.

Felix Koltermann

© Qantara.de 2015

Die Ausstellung ist noch bis zum 16. Januar 2016 im Eretz Israel Museum in Tel Aviv zu sehen. Eine Auswahl der Gewinnerbilder der letzten Jahre wird auf der Webseite von "Local Testimony" präsentiert.