Die Islamische Republik liefert sich Putin aus

Russland versucht mit allen Mitteln, die Islamische Republik zu einem Verbündeten im Krieg gegen die Ukraine zu machen. Die Machthaber in Teheran sind bereit, sich der Großmacht auszuliefern, um ihre eigene Macht zu stabilisieren. Von Ali Sadrzadeh

Von Ali Sadrzadeh

"Mit Ihrer Initiative in der Ukraine sind Sie der Nato zuvorgekommen. Hätten Sie nicht gehandelt, hätte die Nato wegen der Krim einen Krieg von Zaun gebrochen. Westliche Machenschaften haben zur Zerstörung der Sowjetunion geführt, doch Ihre entschlossene Führung brachte Russlands Stärke zurück.“ Das sagte Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei bei seiner Audienz für Wladimir Putin bei dessen Besuch in Teheran im Juli. Kein Spitzenpolitiker der Welt, nicht einmal die Diktatoren in Belarus oder Nordkorea, haben den Ukraine-Krieg öffentlich so beschrieben.

Gemeinsam gegen westliche Sanktionen arbeiten, auf dem Welt-Ölmarkt keine Rivalen sein und eine langfristige militärische Zusammenarbeit gestalten: So stellt sich Russland die gemeinsame Strategie vor, und genauso will es auch der mächtigste Mann Irans, Ayatollah Ali Chamenei.

Chameneis Feindschaft gegenüber allem Westlichen hat krankhafte Züge, seinen Hass auf die westliche Kultur bringt er während seiner mehr als dreißigjährigen Führerschaft fast täglich zum Ausdruck. Wie lange der 83-Jährige noch herrschen wird, wissen wir nicht: Zahlreich und gefährlich sind die innen- und außenpolitischen Krisen, die seine Macht bedrohen. Und wer ihm folgen soll, darüber wird im Verborgenen heftig gestritten. 

Unterworfen für immer

Eine dieser Krisen ist eben die Frage seiner Nachfolge, die Chamenei offenbar mit Putins Hilfe regeln will. Russische Iran-Experten schreiben in ihren Studien unumwunden, dass Russland die Stabilität der Islamischen Republik auch nach Chameneis Ableben garantieren werde.

Einkaufszentrum in Teheran; Foto:Morteza Nikoubazl/Nur Foto/picture-alliance
Einkaufszentrum in Teheran: Das Leben der Menschen im Iran wird auch von den Folgen der Sanktionen bestimmt. Lebensnotwendige Waren werden durch Umgehung der Sanktionen beschafft, wenn sie auf legalem Weg nicht zu haben sind. So ist in erster Linie die Bevölkerung von den Sanktionen betroffen, die seit der Gründung der Islamischen Republik in 1979 immer wieder in unterschiedlichen Variationen und Ausmaßen erlassen worden sind.



Ob diese Garantie auch für Chameneis Sohn Mojtaba gilt, wird die Zukunft erweisen. Mojtaba ist der Lieblingssohn, der derzeit das Alltagsgeschäft des Vaters regelt. Er sei genauso fanatisch antiwestlich wie dieser und zudem mit einer erbarmungslosen Brutalität ausgestattet, sagen Eingeweihte, die Mojtabas bisherigen Werdegang beobachtet haben. Chameneis Vorgehensweise folgt einer zerstörerischen Tradition fast aller Mächtigen in der iranischen Geschichte: Immer, wenn ihre Herrschaft zuhause in Gefahr war, lieferten sie sich einer Großmacht aus. Nun ist es Putins Russland, das die wankende Macht stützen soll.

Und die Mächtigen im Iran haben etwas zu bieten. Auf dem Ölmarkt haben die Russen Iran verdrängt, stillschweigend nimmt Teheran das hin. Dass der iranische Ölminister der ranghöchste Politiker war, der Putin auf dem Teheraner Flughafen empfing, ist mehr als ein Symbol.

Experten im Umgehen von Sanktionen

Seit ihrer Gründung lebt die Islamische Republik unter ausländischen Sanktionen. Sie waren die Geburtswehen dieser Republik, die 1979 mit der Besetzung der US-Botschaft die politische Weltbühne betrat. In den vergangenen vier Dekaden häuften sich die außenpolitischen Krisen und mit ihnen die Sanktionen. Terrorakte im Ausland, das Atomprogramm und regionale Konflikte haben in diesen Jahren für einen Berg von Sanktionen gesorgt, der in der Geschichte der Diplomatie beispiellos ist.

Aber die Herrscher in Teheran erwiesen sich als wahre Künstler der Macht. Sie schufen ein internationales Netz, um die Sanktionen zu umgehen und mit dessen Hilfe das Nötigste aus dem Ausland besorgt werden kann. Winkeladvokaten aus der arabischen Welt, vor allem den Vereinigten Arabischen Emiraten, skrupellose Geschäftsleute in Europa, Iraner mit ausländischen Pässen und unterschiedlichen Motiven rund um die Welt sind Mitglieder dieses Netzwerks.

Sie gründen Firmen, Kanzleien und Agenturen mit Phantasienamen und haben in all diesen Jahren viel zustande gebracht: Sie haben Reedereien in den Dienst genommen, die iranisches Öl auf dem Schwarzmarkt verschiffen, Waffen für diverse Bürgerkriege organisiert, in die der Iran verwickelt ist, und lebensnotwendige Waren besorgt, die für die Mächtigen und Ohnmächtigen im Iran auf legalem Weg nicht zu haben sind.

So ist in den letzten vierzig Jahren ein Schatz an Erfahrungen entstanden, wie sich unterschiedliche Sanktionen umgehen lassen, den Putin dieser Tage sehr gut gebrauchen kann.

Iranische Erdölförderanlage; Foto: Reuters/R.Homavandi
Iranische Erdölförderung: Wegen der Sanktionen kann das Öl nur schwarz auf dem Weltmarkt verkauft werden. Das Regime hat Reedereien in den Dienst genommen, die iranisches Öl auf dem Schwarzmarkt verschiffen. Angesichts jahrzehntelanger Sanktionen haben sich die Herrscher in Teheran als wahre Künstler der Macht erwiesen. Sie schufen ein internationales Netz, um die Sanktionen zu umgehen und mit dessen Hilfe das Nötigste aus dem Ausland besorgt werden kann. Winkeladvokaten aus der arabischen Welt, vor allem den Vereinigten Arabischen Emiraten, skrupellose Geschäftsleute in Europa, Iraner mit ausländischen Pässen und unterschiedlichen Motiven rund um die Welt sind Mitglieder dieses Netzwerks. Jetzt kann Putin von diesem Erfahrungsschatz profitieren.

Russlands Haltung zum Atomabkommen ist widersprüchlich

Russland ist einer der fünf Unterzeichner des Atomabkommens mit dem Iran. Ob Putin dieses Abkommen retten will, wissen wir nicht, die Signale aus Russland sind widersprüchlich. Nach seinem Einmarsch in die Ukraine forderte der russische Staatschef, dass im Falle eines Abkommens mit dem Iran russische Interessen gewahrt und Russlands Iran-Geschäft von internationalen Sanktionen ausgenommen werden müssten. Seitdem wird gerätselt, ob das Atomabkommen bereits tot ist.



"Nie werden wir zulassen, dass der Iran eine Atombombe baut, und wir hinterlassen kein Vakuum im Nahen Osten, das Russland, Iran und China füllen würden“, sagte US-Präsident Joe Biden, der zwei Tage vor Putins Trip nach Teheran im Juli seine Nahost-Reise nach Israel und Saudi-Arabien beendet hatte.

Biden saß noch im Flugzeug, als Kamal Charrazi, Chameneis wichtigster außenpolitischer Berater, dem Fernsehsender Al Jazeera sagte, der Iran sei in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Eine Entscheidung darüber, ob man sie tatsächlich bauen würde, sei aber noch nicht gefallen. Einen Tag später wiederholte Mohammad Javad Larijani diese Aussage noch ausführlicher im iranischen TV: Auch ein Krieg gegen den Iran werde den Bau der Atombombe nicht verhindern können, so der ehemalige Vizeaußenminister. Warum diese spektakulären Äußerungen, warum zu diesem Zeitpunkt und von zwei wichtigen Personen aus der Oligarchie, die den Iran seit vierzig Jahren kontrolliert?

Die Herrschaft der Schwiegersöhne

"Die Herrschaft der Schwiegersöhne“: Diese Beschreibung ist kein Spott und weder eine Herabsetzung noch eine Beleidigung. Es ist eine treffende Beschreibung des iranischen Machtsystems, das sich "Republik“ nennt. Nachzulesen ist das in einer 853 Seiten umfassenden Studie der Universität Syracuse im US-Bundesstaat New York mit dem Titel: "Postrevolutionary Iran: A Political Handbook“. Vierzehn Jahre lang haben der Politikwissenschaftler Mehrzad Boroujerdi und seine Forschungsgruppe an diesem Handbuch gearbeitet. Sie wollten herausfinden, wer den Iran tatsächlich regiert, wie diese Familien seit der Revolution 1979 Macht und Reichtum unter sich aufteilen und wie stark die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen sind – allen Verwerfungen und Konflikten zum Trotz.

Die Autoren kommen zu dem erstaunlichen Schluss, dass weder Wahlen noch Säuberungen oder Clan-Konflikte die Herrschaft dieser Familien gefährden konnten. Exemplarisch belegen sie anhand mehrerer spektakulärer Verhaftungen, Entmachtungen und Verbannungen, dass die Familienbande so eng sind, dass sie dennoch weiterbestehen. Man tauschte zwar Posten und Positionen, doch eine wirkliche Machtverschiebung fand in all diesen Jahrzehnten nicht statt.

Iranische Kampfdrohne Gaza; Foto: Sepahnews/AP/picture-alliance
Iranische Kampfdrohnen für Russlands Krieg gegen die Ukraine: Der Iran wolle hunderte Drohnen an Russland liefern, hatte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan kurz vor Bidens und Putins Reisen gesagt, und fast alle Medien der westlichen Welt wiederholten dies. Genau zu dem Zeitpunkt, als Joe Biden im Juli bei seiner Nahostreise in Saudi-Arabien landete, signalisierten die iranischen Revolutionsgarden, um was es für sie in Russland, der Ukraine, dem Iran und dem Rest der Welt geht und wo sie dabei stehen. Nicht sehr weit entfernt von dem saudischen Flughafen, auf dem Bidens Flugzeug landete, präsentierten die Garden einen Flugzeugträger mit zahlreichen Drohnen und schlachteten ihre Aktion propagandistisch aus.



Die Studie ist nicht nur eine umfassende Datensammlung zum politischen Leben im Iran, sondern sie wertet auch über 40 nationale Wahlen sowie das Wirken von über 400 unterschiedlichen Organisationen entlang dieser familiären Bindungen aus, die die Oligarchie dieser eigenartigen "Republik“ bilden. In biografischen Skizzen von mehr als 2.300 politischen Persönlichkeiten – von Kabinettsministern und Parlamentsabgeordneten bis zu geistlichen, juristischen und militärischen Führern – zeichnen die Autoren eine Kartographie der komplexen Machtstrukturen Irans und seiner gesamten Institutionen.

In Feindschaft verbunden

Egal ob sie sich Oppositionelle, Reformer oder Systemtreue nennen: Sie bleiben unter sich, einflussreich und mächtig, denn alle sind miteinander über eine oder mehrere Ecken verwandt, verschwägert oder sonst irgendwie verbunden. Was sich ändert, ist der Ort, an dem sie ihre Macht ausüben.

Die Namen der wichtigsten Familienclans, die seit der Revolution in unterschiedlichen Funktionen zentrale Positionen innehaben, kennt jeder Iraner und jede Iranerin: Chomeini, Chamenei, Chatami, Charrazi, Larijani, Rafsanjani oder Alam Al Hoda. Alle sind miteinander verwandt. Manche Paten der ersten Stunde sind inzwischen verstorben, andere vergreist, doch ihre Nachkommen sind weit und genug verzweigt, um weiterhin mächtig zu sein. Manche von ihnen sind sogar in den Kanzleien oder Beratungs- und Forschungszentren europäischer Hauptstädte fleißig als Lobbyisten am Werk. 

Kamal Charrazi war acht Jahre lang Außenminister, zuvor eine Dekade lang Chef der iranischen Nachrichtenagentur, nun nennt er sich Leiter des Rates für Außenpolitik. Vor allem ist er einer der wichtigsten außenpolitischen Berater Chameneis. Seine Schwester ist mit einem der vier Söhne Chameneis verheiratet, sein Bruder Mohsen sitzt in dem Expertenrat, der über Chameneis Nachfolge entscheidet. Seine Kinder, Neffen und Nichten bekleiden wichtige Positionen, vor allem im Außenministerium.

Der ehemalige Vizeaußenminister Mohammad Javad Larijani, der im iranischen Fernsehen von der bevorstehenden Atombombe sprach, gehört ebenfalls zu einer jener einflussreichen und weit verzweigten Familien, die seit Bestehen dieser hybriden Republik die Geschicke des Iran bestimmen.

 

 

Drohnen als Botschaft

Genau zu dem Zeitpunkt, als Joe Biden im Juli bei seiner Nahostreise in Saudi-Arabien landete, signalisierten die iranischen Revolutionsgarden, um was es für sie in Russland, der Ukraine, dem Iran und dem Rest der Welt geht und auf welcher Seite sie dabei stehen. Nicht sehr weit entfernt von dem saudischen Flughafen, auf dem Bidens Flugzeug landete, präsentierten die Garden einen Flugzeugträger mit zahlreichen Drohnen und schlachteten ihre Aktion propagandistisch aus. Der Iran wolle hunderte Drohnen an Russland liefern, hatte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan kurz vor Bidens und Putins Reisen gesagt, und fast alle Medien der westlichen Welt wiederholten dies.

Da der Iran kaum eine wirksame Luftwaffe besitzt, haben die Revolutionsgarden alles daran gesetzt, ein umfassenden Raketen- und Drohnenprogramm zu entwickeln. Ob und warum Russland iranische Drohnen braucht, darüber wird derzeit viel spekuliert. Afschar Soleimani, der Russland sehr gut kennt und mehrere Jahre Botschafter Irans in Aserbeidschan sowie Vizeaußenminister war, sagte der Webseite Iran Diplomacy, Russland setze alles daran, um den Iran in den Ukraine-Krieg hinein zu ziehen.

Einst warnte Mohammad Reza Pahlawi, der letzte Schah des Iran: Sollte die Monarchie im Iran gestürzt werden, werde aus dem Land ein "Iranstan“. Die persische Nachsilbe استان, -ostan, bedeutet Provinz. Die Namen aller ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken enden auf dieser Silbe: Turkmenistan, Tajikistan, Usbekistan, Kasachstan.

Nun ist die Islamische Republik wohl auf dem Weg, ebenfalls ein Teil des euro-asiatischen Imperiums unter russischer Führung zu werden – aus Schwäche und Unsicherheit.



Ali Sadrzadeh

© Iran Journal 2022