Freundlich zu den Taliban

Das Regime in Teheran hat mit den Taliban gemein, dass sie beide die USA nicht mögen. Ansonsten aber hat Teheran eine Menge Probleme mit dem Nachbarn, schreibt Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Köln.

Von Katajun Amirpur

Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Mit diesem Satz wurde in den vergangenen Tagen auf der semioppositionellen iranischen Nachrichtenseite gooya.com erklärt, warum die Iraner mit den Taliban reden – aus diesem Grund hätte das Regime den Taliban auch Waffen geliefert. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Ähnlich wie im Westen und unter Exilafghanen ist man im Iran geteilter Ansicht, ob man den Beteuerungen und Zusagen der Taliban glauben kann. Die Zeitung Keyhan, Sprachrohr des religiösen Führers Ali Chamenei, schrieb, die Taliban hätten sich geändert, es seien nicht mehr die Taliban von vor zwanzig Jahren. Dafür wurde die Zeitung allerdings von ranghohen Ajatollahs kritisiert, die ähnlich wie viele im Iran lebende afghanische Oppositionelle und Afghanistan-Experten vom Gegenteil überzeugt sind.

Doch trotz dieser Skepsis trifft sich der Iran schon seit Längerem mit Taliban-Vertretern. Bereits 2019 wurden sie vom damaligen Außenminister Dschawad Sarif empfangen. Dass man ihnen sogar Waffen geliefert hat, wie von der iranischen Opposition behauptet, scheint aber unlogisch. Die Taliban haben die Unterstützung der Iraner nicht nötig, denn sie wurden von den Pakistanern hochgerüstet, wie der pakistanische Waffenlieferant Ziaullah Khan unumwunden erklärte. 

Teheran wünscht eine Einheitsregierung

Ein Grund für die Treffen sind in der Tat die Amerikaner: Als es 2001 um den Sturz der Taliban ging, hat Teheran die USA unterstützt, und Kontakte zur Nordallianz hergestellt. Mit der Nordallianz um den Tadschiken Ahmed Schah Massud war der Iran traditionell verbündet, da die Tadschiken Persisch sprechen und die Hazara Schiiten sind. Teheran überredete die Nordallianz sogar zuzustimmen, dass der Paschtune Hamid Karsai zum Übergangspräsidenten ernannt wird. Der Iran führte zudem direkte Gespräche mit den Amerikanern und erklärte bereitwillig, diese in vielen Dingen unterstützen zu wollen. So froh war man seinerzeit über den Fall der Taliban.

Afghanistan ist ein Staat vieler Völker mit noch mehr Nachbarn. (Foto: DW)
Die Taliban als antiamerikanischer Bruder im Geiste? "Der Iran will die Vereinigten Staaten in der Region scheitern sehen. Die Führung in Teheran möchte, dass sich die USA aus der Region zurückziehen, weil sie die US-Präsenz in Afghanistan als Bedrohung ansieht. Aber was sie nicht wollen, ist das Potenzial für einen totalen Zusammenbruch oder für eine humanitäre Katastrophe", analysiert Afghanistan-Experte der Crisis-Group Andrew Watkins im Interview mit der Deutschen Welle.

Doch anstatt Teherans Vermittlerposition und Avancen zu belohnen, wurde der Iran vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush zur sogenannten Achse des Bösen gezählt. Noch dazu riefen Teile der US-Administration recht unverhohlen zum regime change in Teheran auf. Damit ließen die USA den moderaten Präsidenten Mohammed Chatami und seinen Versuch, das Land gegenüber dem Westen zu öffnen, auflaufen. Seine Gegner in Iran konnten nun mit Fug und Recht wieder einmal behaupten: Den Amerikanern ist nicht zu trauen.

Einmal gemachte Fehler will man nicht wiederholen. Mehr noch: Heute sieht man in den Taliban einen antiamerikanischen Bruder im Geiste. Vor allem aber will man die Taliban überzeugen, tatsächlich eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden – unter Einbindung aller in Afghanistan vorhandenen Ethnien, also auch der Hazara, der Usbeken und der Tadschiken. Iran hat angeboten, zwischen den Taliban und den ethnischen und religiösen Minderheiten des Landes zu vermitteln.

Teheran will so verhindern, dass erneut Millionen von Menschen aus Afghanistan nach Iran flüchten. Bereits heute leben hier mehr als drei Millionen Afghanen. Und mit dem Bau der Mauer zwischen der Türkei und dem Iran hat man heute nicht mal mehr die Hoffnung, dass die Geflüchteten weiter nach Europa ziehen. Um sie abzuhalten, will man deshalb Pufferzonen an der Grenze einrichten. Die Revolutionsgarden wurden bereits in großer Zahl an die 960 Kilometer lange Grenze beordert.Die Afghanen im IS sind für Teheran gefährlich

Denn man fürchtet noch etwas anderes: Wenn die Taliban unter Druck geraten, Sanktionen gegen sie verhängt werden und sie nicht mehr an Geld herankommen, weiten sie erfahrungsgemäß den Drogenanbau aus. Und das wird dann auch für den Iran zum Problem: Das Land liegt auf der Vertriebslinie afghanischer Drogen nach Europa, was dazu geführt hat, dass der Iran weltweit zu den Ländern mit den meisten Drogenabhängigen zählt.

Ein instabiler Nachbar, der wieder einmal Hunderttausende in die Flucht treibt, ist also in keiner Weise im Interesse des Irans. Deshalb versucht man, die Taliban auf eine Regierung der nationalen Einheit einzuschwören. Man will sie dazu bewegen, sich auch als Regierung derer zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten, die von den Iranern traditionell geschützt werden, nämlich vor allem der schiitischen Hazara. Das ist nicht ganz einfach. Ähnlich wie der sogenannte Islamische Staat (IS) haben auch die Taliban eine antischiitische Grundhaltung. Ob sich diese wie im Falle des IS auch gegen den Iran selbst richten könnte, ist eine offene Frage. 1998 wäre es fast zum Krieg zwischen Teheran und dem Afghanistan der Taliban gekommen, als diese in Masar-i-Scharif elf iranische Journalisten und Diplomaten entführten und töteten.

Afghanische Flüchtlinge in einem Lager im Iran. (Foto: Getty Images/AFP/B. Mehri)
„Der Iran will Stabilität in Afghanistan, man fürchtet, dass vermehrt Flüchtlinge und Drogen ins Land kommen. Doch die Taliban haben eine antischiitische Grundhaltung“, warnt Katajun Amirpur, Iran-Expertin und Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Köln.

Hinzu kommt, dass schon jetzt aus den Reihen der afghanischen Kämpfer des "Islamischen Staates" bedrohliche Parolen zu vernehmen sind. Der IS, eigentlich ISIS oder arabisch Da'esh, hat sich zwar ursprünglich auf die Länder Irak und Syrien für sein Staatsgebilde festgelegt. Aber die Afghanen unter den IS-Kämpfern, allesamt Paschtunen, wollen auch die Region Chorassan einbeziehen. Dies würde nicht nur die afghanischen Gebiete um Herat, Kabul und Balch umfassen, sondern auch iranische Gebiete im Nordosten des Landes um Maschhad und Nischapur. Für Iran geht deshalb eine Gefahr von den Afghanen im IS aus und man braucht die Taliban zu deren Eindämmung und Einhegung.

Und es wäre möglich, dass die Taliban sich darauf einlassen: Denn die Taliban haben den IS nie akzeptiert. Anders als er sind sie nicht internationalistisch ausgerichtet und beschränken sich in ihren Ambitionen auf das afghanische Staatsgebiet. Die Taliban fürchten jedoch, dass ihnen der IS gefährlich werden könnte, wenn er um Verbündete in Afghanistan wirbt. Der IS ist eine große Konkurrenz für die Taliban, weil man sich ideologisch so sehr ähnelt: Beide sind streng sunnitisch, antidemokratisch, frauenfeindlich und antiamerikanisch.

Ein Leitsatz, der iranische Politik seit Jahrhunderten geprägt hat, lautet: Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, umarme ihn. So hat man es mit den Arabern gemacht, den Türken und den Mongolen. Man hat sie auf diese Weise iranisiert. Am Ende haben diese drei Völker iranische Interessen und iranische Kultur weiter und stärker verbreitet als die Perser selbst. Diesem Leitsatz scheint die iranische Politik auch jetzt gegenüber den Taliban zu folgen.

Katajun Amirpur

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