Ins große Unbekannte

Die Idee, eine Gruppe von US-Bürgern aus Trumps USA zu einer kostenlosen Kulturaustausch-Reise nach Kairo zu bewegen, klingt nach einem ziemlich ausgefallenen Plan. Der Film „Free Trip to Egypt“ dokumentiert, wie Regisseur Tarek Mounib auf diesen Gedanken kam und ihn in die Tat umsetzte. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Tarek Mounib hatte eine verrückte Idee: Er wollte US-Amerikanern als Kulturaustausch eine kostenlose Reise nach Ägypten anbieten und sehen, was passiert. Der Film Free Trip to Egypt (Koproduzent ist Mounib selbst, ein arabisch-kanadischer Filmemacher, der heute in der Schweiz lebt und arbeitet, Regie führte die rumänische-amerikanische Filmemacherin Ingrid Serban) zeigt, was Mounib unternahm, um Menschen zu finden, die bereit waren, ihre vorgefassten Meinungen und ihren geistigen Ballast über Bord zu werfen und sich ins Unbekannte zu stürzen.

Doch nicht nur das - darüber hinaus würden sie jahrzehntelang gehegte irrige Vorstellungen von der arabischen Welt ablegen müssen, die ihnen von Medien und Politikern eingetrichtert worden waren.

Vielleicht sollte es deshalb auch nicht verwundern, wenn das Angebot einer Gratis-Reise nach Ägypten nicht allzu viele Menschen reizte. Mounib, ein unbeirrbarer Optimist, blieb dennoch am Ball. Er gab Interviews im Radio, schickte den Rapper Adam Saleh in New York mit einem Schild auf die Straße, auf dem „Free Trip to Egypt“ stand und wagte sich in die Höhle des Löwen, nach Louisville in Kentucky, wo er an einer Wahlveranstaltung für Donald Trump teilnahm, um dort Menschen zu finden, die zu einem solchen Wagnis bereit waren.

Filmplakat "Free Trip To Egypt"
Richard Marcus describes "Free Trip To Egypt" as a wonderful film about a brave experiment in overcoming people's pre-conceptions and prejudices to help find common ground

Sieben auf Abenteuerfahrt

Auf der Trump-Rally findet er schließlich vier der sieben Personen, die ihn auf seinem Abenteuer begleiten sollten. Einer von ihnen ist Ex-Marine Corporal Brian Kopilec, der ihm seine Freunde Jason Reynolds und Jenna Day vorstellt. Die beiden sind „wiedergeborene Christen“, Jenny Day dazu noch eine ehemalige Miss Kentucky.

Auf derselben Trump-Veranstaltung lernt Mounib den afroamerikanischen Polizisten Marc Spalding kennen. Auch dem gefällt die Idee. Die letzten drei Mitglieder der Gruppe sind das Ehepaar Ellen und Terry Decker und die alleinerziehende Katie Appledorn, ebenfalls früher bei der US-Marine angestellt.

Ellen Decker beschreibt sich selbst als ehemalige Radikale, die in den 1960ern gegen den Vietnamkrieg protestierte, nach dem 11. September aber auf einmal Angst bekam. Sie ist selbst erstaunt, wie rassistisch sie geworden ist, und hofft, einen Ausweg aus ihrem inneren Zwiespalt zu finden.

Appledorn stammt ursprünglich aus Nebraska, dem „Bibel Belt“, wie sie ihn nennt, und erzählt von den Befürchtungen ihrer Familie, dass sie enthauptet oder als Sexsklavin verkauft wird, wenn sie diese Reise antritt.

Um ein vollständiges Eintauchen in die ägyptische Kultur zu ermöglichen, wird jedem US-amerikanischen Teilnehmer in Kairo ein einheimischer Gastgeber an die Seite gestellt. Darunter sind moderne junge Leute ebenso wie streng religiöse Personen. Die Amerikaner sind tagsüber mit den Gastgebern und deren Familien unterwegs, lernen ihr Zuhause kennen, besuchen Museen und entdecken die ägyptische Hauptstadt.

Der Zuschauer sieht ihnen bei ihren ersten Begegnungen zu und kann beobachten, wie sich die anfängliche Nervosität bald auf beiden Seiten legt. Kopilec, der mit der Tänzerin und Choreographin Salma Salem zusammengespannt wird, muss lachen, als er feststellt, dass sie beide schon einmal unter Beschuss waren: Auf Salem wurde geschossen, als sie an den Protesten während des Arabischen Frühlings teilnahm. Nicht alle teilen eine so einzigartige Erfahrung, aber alle Besucher finden Berührungspunkte mit ihren Gastgebern.

Es überrascht daher nicht besonders, dass das konservative christliche Duo Day und Reynolds sich gut mit ihren konservativen muslimischen Gastgebern, den Madkors, versteht. Auch wenn sie nicht dasselbe Glaubenssystem teilen, ist ihnen gemeinsam, dass sie eine sehr spezielle Form ihres Glaubens leben.

Eine ganz andere Sicht auf Ägypten

Zum Teil wirkt der Film wie ein Reisebericht, etwa wenn die „Touristen“ und ihre Gastgeber zu den Sehenswürdigkeiten von Kairo, den Pyramiden und Museen chauffiert werden. Doch sie lernen auch Gegenden der Stadt kennen, die Touristen normalerweise nicht zu sehen bekommen. Beim Besuch der Wohnhäuser und Wohnviertel ihrer Gastgeber geraten die Amerikaner in enge Straßen und Gässchen, die vermutlich älter sind als ihr Herkunftsland.

Natürlich konzentriert sich der Film auf die Bereiche, in denen die Amerikaner und ihre Gastgeber Gemeinsamkeiten entdecken. Das heißt aber nicht, dass Konfliktpunkte ausgespart bleiben.

So besucht Kopilec eine Party von Salems Freunden und ein hitziger Streit über die amerikanische Politik im Nahen Osten wird erst entschärft, als eine der Frauen sagt, sie sei froh, dass Trump gewählt wurde, denn bei ihm wisse man wenigstens, woran man sei, im Gegensatz zu Clinton, dieser falschen Schlange. Kopilec lacht und stimmt zu.

Amerikanische Zuschauer werden auch damit konfrontiert, wie vielfältig das Erscheinungsbild der Bevölkerung ist, die von den einheimischen Gastgebern repräsentiert wird. Während Nevine Madkor sich in eine Burka kleidet und ihre beiden Töchter Hidschabs tragen, erkennt man in der Harley Davidson fahrenden Salem und ihren Freunden mühelos eine neue Generation. Die meisten von uns hätten Mühe, den Unterschied zwischen ihnen und einer beliebigen Gruppe moderner Amerikaner zu erkennen.

Ein Signal der Hoffnung

Wie hat sich die Reise auf die westlichen Teilnehmer ausgewirkt? Wie es den ägyptischen Teilnehmern damit erging, wird im Film allerdings nicht weiterverfolgt. Die Amerikaner jedoch scheinen allesamt die Erkenntnis gewonnen zu haben, dass die Welt nicht so schwarzweiß ist, wie man es ihnen beigebracht hat. Die sogenannten Feinde - Muslime und Araber - haben mit ihnen genauso viel gemeinsam wie alle anderen Menschen.

Als Terry Decker kurz nach der Rückkehr in die USA unerwartet stirbt, bittet seine Frau Mounib sogar, für sie und ihren Sohn eine Reise nach Ägypten zu organisieren, damit sie die Asche ihres Mannes in der Wüste verstreuen konnte. Dass ein Mann, den sein eigener Sohn als tendenziell fremdenfeindlich beschrieb, die Fähigkeit, andere Menschen zu akzeptieren, so weit entwickelt hat, dass seine Ehefrau seine Asche in einem fremden Land verstreuen will, ist ein eindrucksvolles Signal der Hoffnung.

Nicht für alle Teilnehmer hatte die Reise so dramatische Folgen, aber sie hat ihnen die Augen geöffnet und ihnen gezeigt, dass es andere Lebenswirklichkeiten gibt und die Welt nicht so schablonenhaft ist, wie ihre Politiker es ihnen weismachen wollen. Free Trip to Egypt wird sicher nicht über Nacht die Welt verändern, aber das beabsichtigt der Film auch gar nicht. Er will nur, dass die Menschen anfangen, miteinander zu reden und sich aufmerksam gegenseitig zuhören.

Free Trip to Egypt ist ein wunderbarer Film über ein mutiges Experiment, das Menschen helfen will, ihre vorgefassten Meinungen und Vorurteile zu überwinden und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Sieben couragierte Personen und ihre Gastgeber öffneten sich einander, in dem Bemühen, die Kluft zu überwinden, die in den letzten Jahren immer tiefer und breiter geworden ist. Vielleicht ist das der richtige Weg in die Zukunft – jeweils ein Mensch, der mit einem anderen spricht. Eine gute Möglichkeit, Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Richard Marcus

© Qantara.de 2019

Übersetzt aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff