"Integrieren statt spalten"

Ist das Tragen des Kopftuchs für Musliminnen ein Gebot des Islam? Hierüber diskutierten die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, die Theologieprofessorin Beyza Bilgin und Uwe Becker vom evangelischen Studentenverband. Lale Konuk fasst die Diskussion zusammen.

Ist das Tragen des Kopftuchs für Musliminnen ein Gebot des Islam? Hierüber diskutierten in Köln die SPD Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, die Theologieprofessorin Beyza Bilgin und Uwe Becker vom evangelischen Studentenverband. Lale Konuk fasst die Diskussion zusammen.

Türkinnen mit Kopftuch, Foto: AP

​​Der Koran kennt drei Arten von Kleidung: sich zu bedecken, sich zu schmücken und Frömmigkeit zu zeigen. Soviel ist klar, aber Eindeutigeres ist im Buch nicht ohne weiteres zu finden. Zu dem schwierigen Themenkomplex diskutierten in Köln die Kölner Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün, der Leiter des Evangelischen Studentenverbandes Köln und Beyza Bilgin, Theologieprofessorin an der Universität Ankara, die in deutscher Sprache den Inputvortrag hielt über "Kopftuch: Ein theologisches Gebot des Islam? Religiöse Freiheit, Frauenrechte und Laizismus im Spannungsfeld."

Für und Wider des Kopftuchs

Bilgin führte in ihrem Vortrag verschiedene, die Sexualität betreffende Koranverse an. So etwa: "Sprecht zu den gläubigen Männern, dass sie ihre Augen von Unkeuschen abwenden, so ist es am schicklichsten für sie." Und: "Sagt den gläubigen Frauen, dass sie ihre Zierde nicht entblößen und dass sie ihren Busen mit dem Schleier verhüllen sollen." Die umstrittenen Wörter sind "Zierde" und "Schleier", denn sie sind im Koran nicht näher erläutert, erklärt die Professorin und fügt hinzu: "Es sind Aussagen mancher islamischer Rechtswissenschaftler belegt, wonach es im Koran keine Bestimmung gebe, die explizit auf das Haar Bezug nimmt"

Die Theologin machte aber deutlich, dass sie keine strikte Gegnerin des Kopftuchs sei, sondern nur gegen das Tragen des Kopftuchs als ein absolutes Gebot Gottes im Sinne der zehn Gebote. Andererseits sieht die Professorin, dass Mädchen und Frauen viele Rechte - zum Beispiel das auf Bildung - aus der islamischen Religion ableiten können und wollen. Der Einsatz des Kopftuchs als Symbol und als politisches Mittel solle deshalb erlaubt sein. "Mädchen und Frauen verhüllen ihre Köpfe, aber den darin wohnenden Verstand machen sie weit auf." Doch in der Toleranz gegenüber dem Kopftuch dürfe man nicht naiv sein, warnt Bilgin. Das Tragen kann sehr wohl einen restriktiven Appellcharakter haben, und durch Gruppenzwang könne Druck auch auf Frauen ausgeübt werden, die sonst kein Kopftuch tragen.

Gleichberechtigung versus Grundrechte?

Die zweite Referentin, Lale Akgün, bezog sich dagegen in ihrem Statement direkt auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie betonte, dass das Urteil nicht das Kopftuch auf der Straße betreffe, sondern nur die Lehrerin im Unterricht, die dem Mäßigungsgebot unterliege.

In dem Urteil wurde verlautbart, dass der Staat zum einen eine Gleichbehandlung aller Religionen vornehmen müsse, andererseits um die Abwägung mehrerer Grundrechte bemüht sei: das Grundrecht auf freie Religionsausübung stehe neben dem Recht auf negative Religionsfreiheit von Eltern und Kindern. Dem gegenüber stehen weiterhin das Gebot der staatlichen Neutralität, der Bildungsauftrag des Staates und der Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau. Dabei könnten nicht alle gleichermaßen bedient werden: "Wer muss für 45 Minuten auf sein Grundrecht ein wenig verzichten?" Ihre provokative Frage überführte die Bundestagsabgeordnete in eine klare Position: Den Verzicht auf jegliche politische und religiöse Symbole im Klassenzimmer.

Laizismus erschwert Integration

Uwe Becker, der letzte Redner, hält dagegen den französischen Laizismus für gefährlich. Diese Politik verschärfe die Situation und erschwere die Integration. Becker hofft, dass die Bundesrepublik davor bewahrt wird. "Wir müssen integrieren und nicht spalten", warnte der Pfarrer.

Zwar sehe auch er die Gefahr der Indoktrination, aber er sei vehement gegen die Haltung, Religion sei Privatsache. Das Grundgesetz garantiere eindeutig, dass man seine Religion zum Ausdruck bringen dürfe. Generell plädierte Becker dafür, im Einzelfall abzuwägen: "Weniger Gesetz und mehr Kompetenz der Konfliktbewältigung wäre hilfreicher als alles andere."

Am Ende der lebhaften Diskussion resümierte Prof. Ute Kötter, die Moderatorin der Veranstaltung, dass weder Theologie noch Justiz eine klare Antwort auf die Frage des Kopftuchs geben können. "Deshalb müssen wir die Debatte weiterführen. Wir müssen uns hier entscheiden, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen", mit diesen Worten schloss die Pro-Dekanin der Fachhochschule Köln die Veranstaltung ab, zu der sie gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung eingeladen hatte.

Nicht nur Beifall aus dem Publikum

Die Mehrheit des Publikums unterstützte die Standpunkte der Theologin aus Ankara und der Kölner Bundesabgeordneten mit großem Beifall, bis auf einige lautstarke Proteste von fundamentalistisch angehauchten Männern und fanatisierten Kopftuchgegnerinnen.

Enttäuscht zeigten sich jedoch einige Studentinnen mit Kopftuch, für die die Diskussion zu undifferenziert verlaufen war. Die Positionen seien nur verfestigt worden, meinte Fatma Sagir, für die das Kopftuchtragen kein Glaubensdogma ist. Deshalb solle die Diskussion nicht auf der theologischen Ebene geführt werden, sondern auf der Grundlage des Grundgesetzes. Die Frage sei: "Was kann diese Gesellschaft an Andersartigkeit vertragen, und wie können wir den Pluralismus in der Demokratie realisieren. Da nehme ich auch die Muslime nicht von aus."

Lale Konuk

© Qantara.de 2004