Das Überwinden der Schwerkraft

Die beiden deutschen Performance-Künstler Johann Lorbeer und Maren Strack bildeten den Abschluss des Straßenfestivals in Beirut. Der syrische Journalist Hussain Ben Hamza war genauso fasziniert wie das Publikum.

Die beiden deutschen Performance Künstler Johan Lorbeer und Maren Strack bildeten den Abschluss des Straßenfestivals in Beirut. Der syrische Journalist Hussain Ben Hamza war genauso fasziniert wie das Publikum.

Maren Strack
Maren Strack

​​Vielleicht waren die beiden Vorstellungen von Johann Lorbeer und Maren Strack, die den Abschluss des Straßenfestivals in Beirut bildeten, die imponierendsten Darbietungen dieses Festivals.

Die beiden Aufführungen basierten auf dem Gedanken, sich dem Gesetz der Schwerkraft zu widersetzen, oder, genauer gesagt, die Anziehungskraft zu überwinden, die uns an die Erde bindet. Umgesetzt wurde die Idee, indem die beiden Darsteller über dem Boden schwebten, auf dem die Zuschauer standen. Vielleicht war der Kontrast zwischen dem Standort der Zuschauer und dem der Künstler eines der Ziele dieser Art der Darbietung, und vielleicht lag ein großer Teil des Reizes und der Spannung in der Täuschung der Zuschauer, die den Naturgesetzen unterworfen sind.

Tarzan und der Barfüßige

"Tarzan" – so hieß die Darbietung von Johann Lorbeer aus Berlin in der Beiruter Bliss-Straße, und "Der Barfüßige" war der Titel der Vorstellung von Maren Strack aus Frankfurt in der Al-Maarad-Straße. Obwohl beide Vorstellungen völlig unabhängig voneinander waren, machte ihre Vorführung am selben Tag durchaus einen Sinn, da sie einander ähnelten und auf einer gemeinsamen Idee basierten. So mussten sich die Zuschauer des "Barfüßigen" danach den Zuschauern von "Tarzan" anschließen, und beide Darbietungen verschmolzen auf diese Weise zu zwei Akten eines einzigen Stücks.

Die Zuschauer und die Besucher der umliegenden Cafés und die Passanten in der al-Maarad Straße wirkten erschrocken, als sie Maren Strack mit den Haaren an einem dicken Eisenhaken eines Hebekrans hängen sahen. Die Frau schien fröhlich und vergnügt zu sein, wie sie so über der Menge schwebte. Sie tanzte und strampelte mit ihren für die Zuschauer unsichtbaren Füßen im Wasser eines Plastikteichs. Der Trick bestand darin, dass die Frau nicht an ihren Haaren befestigt war, sondern mit ihrem ganzen Körper, der in ein riesiges und unten weites Gewand gehüllt war, um das einfache Prinzip zu verbergen, nach dem die Vorstellung funktionierte.

Das Haar war der Trick, um die Blicke der Zuschauer davon abzulenken, dass es für die Frau keine große Anstrengung bedeutete, sich zu bewegen. Die Frau spielte, und die Zuschauer glaubten, vor ihren Augen geschehe ein Wunder. Einer der Zuschauer wollte sogar wissen, ob dies eine Hinrichtung sei, ein anderer glaubte, es handele sich um eine Shampoowerbung. Die Frau sah aus wie eine riesige Barbiepuppe, und viele fotografierten dieses ungewöhnliche Ereignis mit ihren Handys, um das Bild an ihre Freunde zu verschicken. Es war, als hätte sich die Vorstellung plötzlich in ein Erinnerungsbild verwandelt, obwohl sie doch ein lebendiges Andenken war, das nach einer halben Stunde beendet sein würde. Doch es wird in der Erinnerung der Zuschauer weiter leben, denn diese Darbietung war in ihren gewohnten Raum – die Straße - eingebrochen, der nicht für Theaterdarbietungen vorbereitet ist.

Eine Plastikhand

Johan Loorber
Johan Loorber

​​Wenn der Hebekran einen Teil des Spiels der ersten Darbietung enthüllte, so machte die Tatsache, dass Johan Lorbeer sich keiner sichtbaren Geräte bediente, aus seiner Vorstellung in der Bliss-Straße ein außergewöhnliches Ereignis der vollendeten Täuschung. Der Mann stützte gemütlich seine linke Hand gegen eine Hauswand, so wie das jeder kann, doch Lorbeers Füße befanden sich zwei Meter über dem Boden. Seine nachdenkliche und bequeme Haltung, sowie seine Interaktion mit dem Publikum verstärkten noch die Verblüffung und Verwunderung. Der Mann begann zu rauchen und mit einer Hand Tee zu trinken. Die Zuschauer forderten ihn auf, seine andere Hand von der Wand zu nehmen, doch diese, so erwiderte er, würde dann einstürzen. Auf bei dieser Darbietung ging es um die Überwindung der Anziehungskraft. Wer den Trick nicht durchschaute, erfuhr nach Ende der Vorstellung, dass die gegen die Wand gestützte Hand nicht die Hand Johan Lorbeers war, sondern eine künstliche, mit Schrauben befestigte Plastikhand, durch die von der Wand zwei Stäbe und zwei Metallwinkel in die Ärmel der Jacke des Mannes gingen, die hinter seinem Rücken entlang bis zu den Füßen reichten. Die beiden Stäbe trugen ihn in der Luft, und das Gewand verbarg die Funktion dieser beiden Stäbe.

Die Tricks in beiden Darbietungen ließen das Publikum staunen. Es war wie im Zirkus oder bei einer Zaubervorführung, aber man befand sich auf der Straße, am Ende eines einmonatigen Festivals.

Hussain Ben Hamza

Aus dem Arabischen von Martina Häusler

© 2003, Qantara.de