"Wir Türken haben immer noch ein Gastarbeiter-Image"

Am 7. März 2014 moderierte Pinar Atalay zum ersten Mal die ARD-Tagesthemen. Neben Dunja Hayali gehört die Deutsch-Türkin zu den erfahrensten TV-Moderatorinnen mit Migrationshintergrund. Shohreh Karimian stellt sie vor.

Von Shohreh Karimian

Als Ingo Zamperonis Nachfolgerin meisterte die 35-jährige Pinar Atalay vor vier Wochen ihre erste Tagesthemen-Sendung. Neben Caren Miosga und Thomas Roth übernimmt sie die "Spätschicht" bei der ARD und informiert die Zuschauer über die aktuellen Nachrichten und Geschehnisse des Tages.

Pinar Atalay wurde als Tochter türkischer Zuwanderer im westfälischen Lemgo geboren. Nach ihrem Abitur studierte sie Modedesign und arbeitete im Modegeschäft ihrer Mutter bis sie ein Jahr später beschloss, sich beruflich umzuorientieren. Über ein Praktikum kam sie zum Radio und etwas später begann ihre journalistische Karriere mit einem Volontariat bei Antenne Münster. 2006 wechselte sie zum Fernsehen und übernahm als Moderation und Autorin unterschiedliche Sendungen. Ab 2009 wurde sie ein bekanntes Gesicht beim NDR und moderierte 2010 dienstags und donnerstags um kurz vor Mitternacht die "Phoenix-Runde", einen Polittalk. Dass sie in dieser Rolle die zumeist trockenen Themen interessant aufbereitete, mag mit zu ihrem Karrieresprung beigetragen haben.

"Moderatorin mit Migrationsgeschichte"

Als Tochter türkischer Einwanderer wird Atalay als "Moderatorin mit Migrationsgeschichte" gesehen. Bereits vor einigen Jahren gelangten deutsche Medienwissenschaftler und Experten zu der Auffassung, dass die Vielfalt unserer Einwanderungsgesellschaft nicht wirklich umfassend von Journalisten und Moderatoren wiedergespiegelt werde. Seitdem nahm die Beschäftigung von Medienschaffenden mit Migrationshintergrund deutlich zu.

Pinar Atalay; Foto: Getty Images/Alex Grimm
Atalay ist nicht die neue “Quoten-Migrantin“ der ARD, sondern eine qualifizierte Moderatorin, die durch ihre journalistisches Können und ihre beruflichen Leistungen einen der prominentesten Medienposten der Bundesrepublik eingenommen hat.

Dass es immer wieder heißt, Atalay habe eine "Migrationsgeschichte", verärgert bisweilen jedoch die 35-Jährige. "Eigentlich habe ich ja auch gar keine Migrationsgeschichte, ich stamme aus Lemgo […]. Meine Eltern sind in den siebziger Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Aber das Gewese zeigt mir doch, dass so eine Biografie anscheinend in den Köpfen der Leute noch keine Normalität ist", so Atalay in einem Spiegel-Online-Interview.

Dieses klischeehafte Denken in Teilen der deutschen Gesellschaft scheint in der Tat immer noch existent zu sein. Nicht selten hören Moderatoren wie Atalay Kommentare, dass sie doch sehr gut Deutsch sprechen könnten. Hinzu kommen noch die unterschiedlichen Bilder von verschiedenen Einwanderungsnationen – manche positiv, andere eher negativ besetzt: "Mit Italien verbinden die Menschen Urlaub und Kaffee trinken, wir Türken haben immer noch ein Gastarbeiter-Image", erklärt Atalay.

Rundfunk in der Rolle des Integrationsbeauftragten

Dass die ARD den kulturellen Hintergrund und die familiären Wurzeln der neuen Mitarbeiterin in ihrem Lebenslauf nicht explizit erwähnt, macht deutlich, dass ihr Migrationshintergrund eine redaktionelle Selbstverständlichkeit reflektiert.

Und es zeigt auch, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein geeigneter Wegbereiter unserer multikulturellen Gesellschaft geworden ist. Denn als eine für die breite Masse verfügbare Quelle erreicht er auch die sogenannten „bildungsfernen“ Schichten in Deutschland. Moderatorinnen wie Atalay und Hayali zeigen, dass die kulturelle Diversität in Deutschland längst Realität ist.

Dennoch sollte es nicht darum gehen, irgendwelche Zielvorgaben und Quoten zu erfüllen: Atalay ist nicht die neue “Quoten-Migrantin“ der ARD, sondern eine qualifizierte Moderatorin, die durch ihr journalistisches Können und ihre beruflichen Leistungen einen der prominentesten Medienposten der Bundesrepublik eingenommen hat. Zusätzlich repräsentiert sie als deutsch-türkische Nachrichten-Moderatorin die multikulturelle Wirklichkeit Deutschlands.

Shohreh Karimian

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de