Wütende Worte eines Orientalen?

Klischees verhindern die Sicht auf die Realität - und die beiderseitigen Klischeebilder von "Orient" und "dem Westen" führen häufig zu einer verzerrten Wahrnehmung vom Anderen. Der Übersetzer und Doktorand Sherif Abdel Samad ist um Aufklärung bemüht.

Klischees verhindern die Sicht auf die Realität - und die beiderseitigen Klischeebilder von "Orient" und "dem Westen" führen häufig zu einer verzerrten Wahrnehmung vom Anderen. Der Übersetzer und Doktorand Sherif Abdel Samad ist um Aufklärung bemüht.

Muslimische Frauen vor dem Computer; Foto: AP
"Verschleierte Frauen, die vor einem Computer sitzen, und siehe da, sie können ihn sogar bedienen", schreibt Sherif Abdel Samad.

​​Der alte Orient: fliegender Teppich, Marktplatz, Harem und Sultane.

Der neue Orient: Schleier, Wasserpfeife und Bauchtanzmusik vielleicht?

Dies sind die Bilder, die der "Westen" immer mit dem "Orient" verbunden hat und noch verbindet. So will es der Westen nun einmal vom Orient wissen.

Aber ohne, dass für Sie jetzt eine Welt zusammenbricht: Wussten Sie, dass es das Wort Orient im Arabischen gar nicht gibt? Es ist ein "westliches "Wort, wenn man so sagen kann. Und genauso wenig, wie das Wort existiert, existiert auch der "Orient", wie Sie ihn kennen. Auch dieser ist nur eine "westliche" Vorstellung.

Ebenso für "westliche" Journalisten setzt sich der "Orient" aus diesen Klischees zusammen. Häufig begnügen sie sich damit und fühlen sich in ihrer Vorstellung bestätigt.

Aber wäre es nicht viel interessanter, einmal etwas anderes zu suchen, als diese Klischees? Aber warum? East is East and West is West?

Oder wäre es langweilig, wenn man feststellte, dass Menschen im Orient genauso leben wie im Westen?

Wenn Sie das nächste Mal eine Reportage über Ägypten, Tunesien, Jordanien oder ein anderes Land im Orient im deutschen Fernsehen sehen, werden Sie um bestimmte stereotype Bilder nicht herumkommen.

Vor allem die Musik, die während einer Reportage gespielt wird, fällt mir immer wieder auf; alte, inzwischen nicht mehr in diesen Ländern gehörte Bauchtanzmusik weist darauf hin, dass es der Orient ist. Es ist die Musik, die der Westen mit uns verbindet.

Dann suchen diese Stereotype erwartenden Reporter nach Bildern, die ihnen widersprüchlich erscheinen. Zum Beispiel junge verschleierte Damen, die mit dem Handy telefonieren.

Siehe da, Schleier und modernste "westliche" Technik. Das passt doch gar nicht zusammen in den Augen des ausländischen Journalisten.

Da haben wir es wieder: Der Orient kann nicht auf den Westen verzichten, auch wenn er seine Werte verachtet.

Dies ist nur ein Beispiel. Verschleierte Frauen, die vor einem Computer sitzen, und siehe da, sie können ihn sogar bedienen. Oder noch besser, Frauen, die Auto fahren oder Fußball spielen. Und schon spricht man im "Westen" von einer wahren Revolution. Das ist die Freiheit, auf die wir so lange gewartet haben und die wir den muslimischen Frauen schon immer gewünscht haben.

Mal ehrlich: Ich weiß, dass Sie aufgeklärt sind, und Sie werden mir versichern, dass Sie nicht auf Stereotype hereinfallen. Aber wenn Sie eine verschleierte Frau sehen, denken Sie nicht im Unterbewusstsein: 'das arme Ding?'

"Du bist doch so schön. Warum trägst du dieses Kopftuch?" wurde meine Schwester einmal in einem kläglichen Ton von einer Frau mit sorgenvollen Augen in der Berliner U-Bahn gefragt. Und ehrlich gesagt, dass Gott den Frauen befohlen hat, ihr Haar zu bedecken, weil es ein Reiz ist, das halten Sie doch für hundertprozentigen Unsinn, den sich nur die Männer ausgedacht haben können, oder?

Deshalb suchen Sie immer wieder nach diesen Widersprüchen und verstehen die Welt nicht mehr. Diese jungen Damen mögen tanzen, singen, Auto fahren und Fußball spielen. Das ist doch ein Zeichen dafür, dass sie auf dem Weg zur Emanzipation und Aufklärung sind.

"Diese Gesellschaft ist so voller Widersprüche", hört man immer wieder von Ausländern, die im "Orient" leben. Ist Ihnen aber schon einmal der Gedanke gekommen, dass auch Muslime Menschen sind, die, wie jeder andere Mensch auch, manchmal paradox sind?

Erlauben Sie mir bitte, die Behauptung aufzustellen, dass der Westen noch mehr Vorurteile über den arabischen Raum hat als der arabische Raum über den Westen!

Erlauben sie mir noch hinzuzufügen, dass Sie von uns denken, wir wünschten, in einer westlichen Haut zu stecken!

Also gut! Ich werde es Ihnen beweisen: Ein junger ägyptischer Junge in Jeans, T-Shirt und Baseballkappe ist für mich ein gewohntes Bild. Für Sie ist er "westlich" angezogen. In einer TV5-Reportage über Saudi-Arabien wurden saudische Männer im Fitnessklub gefilmt. "Sie führen einen 'westlichen' Lebensstil", sagte der Moderator.

Ein anderes Beispiel ist ein Artikel aus einer renommierten deutschen Zeitung anlässlich des Auftritts des ägyptischen Popsängers Muhammed Mounir im Juni 2006 in München. Mounir wird als "westlich orientierter T-Shirt-Träger" bezeichnet, der "zum Idol der liberal eingestellten ägyptischen und arabischen Jugend" geworden sei.

Ferner wird gesagt, Mounir vertrete einen "toleranten Islam". Wieso muss ein ägyptischer Popsänger mit Religion in Verbindung gebracht werden? Zumal 90 Prozent seiner Texte nichts mit Religion am Hut haben. Wie wäre es Ihrer Meinung nach, wenn man Ronan Keating als Vertreter des Christentums bezeichnete?

Der Höhepunk aber ist es, wenn Muslime bei McDonalds essen und Coca Cola trinken. Das ist der eindeutige Beweis dafür, dass den Muslimen ihre Identität nicht gefällt und sie gerne in den Westen gehen würden.

In einem Film über den arabischen Satellitenfernsehsender Al-Jazeera staunte der Moderator, als ein arabischer Jazeeramitarbeiter, der die Bushregierung kritisierte, offenbarte, dass seine Kinder in Amerika studierten. Warum ist das so verwunderlich? Denken Sie nicht, wir sind intelligent genug, um zwischen Regierung, Kultur und Bildung zu unterscheiden?

Genauso stereotyp ist es, wenn man darauf verweist, dass Muslime "westliche" Werte ablehnen, sich aber "westlicher" Technik bedienen, oder wenn man von "westlicher Demokratie" und "westlichen Werten", wie den Menschenrechte und der Freiheit spricht. Wie kann man sich Werte aneignen, frage ich nur?

Neulich durfte ich mir von einer deutschen Politikwissenschaftlerin anhören, dass die demokratischen Werte des Westens auf das judo-christlich Erbe zurückgingen. Dass Menschen in aller Welt frei leben und ihre politischen Vertreter selbst wählen wollen, ist weder westlich noch christlich, sondern menschlich, und dass diese Revolution in einem Erdteil verankert wurde, bedeutet nicht, dass es diesem Erdteil gehört.

Was meinen Sie überhaupt mit "der Westen"? Ist der Westen nicht zu einem Symbol geworden, das gegen Unterdrückung, Verfall und Islam steht? Wieso identifiziert man sich mit etwas, indem man die Welt in zwei Teile spaltet.

Es ist immer wieder derselbe Gedanke. Identifiziere dich auf Grund der Identifikation des Anderen. Und je klischeehafter der Andere abgestempelt wird, desto mehr wirst du herausgeputzt.

Wütende Worte eines Orientalen, meinen Sie? Vielleicht! Aber denken Sie bitte über diese Worte nach, wenn Sie das nächste Mal auf einen Artikel oder eine Reportage über den "Orient" stoßen. Und, ach ja, habe ich schon gesagt, dass ich stolz bin, "ein Orientale" zu sein?

Sherif Abdel Samad

© Sherif Abdel Samad

Sherif Abdel Samad hat an der Humboldt-Universität Übersetzen studiert und schreibt seine Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin über Gewaltfreiheit im Bereich Amerikanistik

Qantara.de

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