Fès als Spiegel Afrikas

Das jüngste Festival "Musiques Sacrées du Monde" thematisierte auf eindrucksvolle Weise die Beziehungen zwischen Marokko und dem Kulturraum jenseits der Sahara. Stefan Franzen hat das Festival in Fès besucht.

Von Stefan Franzen

Es ist eines der traditionsreichsten Musikfestivals der arabischen Welt: Als die "Musiques Sacrées du Monde" vor über 20 Jahren im marokkanischen Fès ins Leben gerufen wurden, hatten die Konzerte Signalwirkung über die Landesgrenzen hinweg.

"Bis tief in den Nahen Osten hinein, der damals nicht viele Veranstaltungen dieser Art kannte, hat man verstanden, dass man das Heilige auch auf der Bühne präsentieren kann", erinnert sich Festivaldirektor Alain Weber rückblickend. "So lässt sich Spiritualität in einem anderen Licht darstellen. Am Anfang hatten wir die Rolle, den spirituellen Dialog zu öffnen. Ich will mir aber nicht anmaßen, dass ein Festival wie dieses spürbare Auswirkungen auf die ganze muslimische Welt haben kann. Dazu ist sie viel zu groß und unüberschaubar."

Dennoch, innerhalb zweier Jahrzehnte haben die "Musiques Sacrées" heilige Klangwelten vom Islam ausgehend global geweitet. Aus dem arabischen Kulturraum mit seinen verschiedensten Ausprägungen von Sufi-Musik ging der Brückenschlag über alle Erdteile bis zum Jazz und westlichen Popstars wie Björk oder Patti Smith.

Es dürfte wohl - wie sich bei der aktuellen Ausgabe zeigte - wenige Festivals geben, deren Besucher in so viele Hörertypen zerfallen. Die mächtige Arena zwischen den Türmen der Bab Makina-Festung wird von eher betuchtem Publikum bevölkert, auf dem Platz Boujloud vor dem berühmten blauen Tor von Fès feiert die Jugend der Stadt die neuen Stars der marokkanischen Popmusik, des Chaâbi.

In die Gärten und prächtigen Innenhöfe inmitten der Medina hingegen, wo sich Weltmusikstars von China bis Mali treffen, zieht es französische und amerikanische Akademiker gesetzteren Alters, während man bei den Sufi-Nächten, den Zeremonien der lokalen Tajaniyya-Bruderschaften, unter lokalen Zuhörern auf Teppichen sitzt. Hier lässt sich Spiritualität am unmittelbarsten erfahren: Es herrscht eine fast volkstümliche Stimmung, die Frauen lachen und klatschen beseelt, junge Männer hüpfen fast wie in Trance zu den Lobgesängen auf und ab.

Begegnung spiritueller Traditionen

Das übergreifende Thema dieser 21. Ausgabe stellte sich - aus westlicher Sicht - als ein ungewöhnliches dar. Während alle Welt von den Beziehungen zwischen Westen und arabischen Ländern spricht, stand das Programm unter dem Motto "Fès au miroir de l'Afrique", Fès im Spiegel Afrikas."Eine Thematik, die Marokko und Afrika in Beziehung setzt, sollte nicht erstaunen.

Es ist ja schon bizarr, dass Marokko zuweilen gar nicht als Teil Afrikas gesehen wird", erläutert Alain Weber sein Konzept. "Das Land versucht seit einiger Zeit, innerhalb des Kontinents einen stärkeren Einfluss auszuüben, die ökonomischen Beziehungen zum Westen sieht es als limitiert an. Dabei knüpft Marokko an die Rolle an, die es schon in früheren Jahrhunderten spielte, als Marrakesch und Fès ihre historische Blütezeit hatten. Schon damals gab es andere geopolitische Pole als Orient versus Okzident. Und über die Handelswege verbreiteten und begegneten sich auch stets die spirituellen Traditionen."

Um das Netzwerk zwischen Maghreb und Subsahara auf der Bühne sicht- und hörbar zu machen, wählte Weber eine historische Figur des - nach christlicher Rechnung - 16. Jahrhunderts, in der sich diese Beziehungen beispielhaft fokussieren: Al-Hassan al-Wazzan al-Fasi, im Westen als Leo Africanus bekannt.

Als Kind aus Granada zur Flucht vor den kastilischen Eroberern gezwungen, wurde er ein Sohn von Fès, brach mit Karawanen nach Timbuktu auf, ging später in die Verbannung nach Kairo und wurde schließlich nach Rom verschleppt, wo er unter verschiedenen Päpsten als Diplomat wirkte. Seine "Beschreibung Afrikas" wirkte noch Jahrhunderte nach. Die Reisewege dieser schillernden Figur aus einer faszinierenden Epoche arabischer Hochkultur brachte Weber mit einer imposanten Eröffnungsrevue auf die Bühne des Bab Makina.

Tief nach Schwarzafrika

Vom marokkanischen Oud-Spieler Driss El Maloumi über ein Malhoun-Ensemble um seine Landsfrau Nouhaila al-Kalaa entspann sich die musikalische Route hin zu einem Aufeinandertreffen von Berbern und Mauretaniern. Schließlich landete man mit dem Koraspieler Ballaké Cissoko im Mali-Reich des legendären Königs Sundiata Keita. Von dort aus konnte man mit Maskentänzern aus Burkina Faso und dem Löwentanz der senegalesischen Gruppe Ker Simb tief nach Schwarzafrika eintauchen.

"Im Fokus sollte die kulturelle Begegnung des islamischen Afrika mit den animistischen Traditionen stehen, die oft verleugnet werden", so Weber. "Die Herausforderung, all diese Facetten innerhalb von 90 Minuten zu zeigen, dramaturgisch in einem fließenden Rhythmus zu verbinden, war enorm. Nicht zuletzt auch für die traditionellen Musiker, da sie es nicht gewohnt sind, sich auf einen so eng gesteckten zeitlichen Rahmen einzulassen."

Dank einer fantasievollen digitalen Projektionstechnik auf die natürliche Kulisse des Spielortes gelang eine atemberaubende Revue, die auch von der anwesenden Prinzessin Lalla Salma beklatscht wurde. Ihr Gatte, König Mohammed VI. befand sich am Konzertabend, wie um die Thematik des Abends zu untermauern, in Dakar und festigte dort Marokkos Beziehungen zum Senegal.

Im weiteren Verlauf musste das Festival unter einigen Konzertabsagen aufgrund heftiger Regengüsse leiden, die man nicht miteinkalkuliert hatte. Die Leitfigur Leo Africanus als Botschafter von Fès leuchtete nur noch phasenweise auf: Im eindrücklichen Nachtkonzert der zehn Koraharfen etwa, dem feurigen Auftritt der Malierin Fatoumata Diawara mit dem kubansichen Kollegen Roberto Fonseca, oder auch in der epischen Rezitation der Hilal-Beduinen aus dem ägyptischen Luxor, auf die Leo schon damals im Exil getroffen war.

Allgegenwärtig jedoch war die Spiritualität: Man konnte sie in der Rezitation zeitgenössischer Sufipoesie der Tunesierin Sonia M'Barek finden, in einem seelenvollen Brückenschlag von indischen Ragas zur Griot-Tradition zwischen Debashish Bhattacharya und Ballaké Cissoko oder in der Darbietung des kurdischen Payiz Ensembles. Die alten Handelsrouten auch als Transportweg für seelenvolle Klänge zu zeigen - dieses Konzept immerhin ging auf.

Stefan Franzen

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