Metapher für die dunkle Seite der Zivilisation

War der sagenumwobene Stadtstaat in Mesopotamien tatsächlich ein Sündenpfuhl oder doch die erste Metropole der Gelehrsamkeit? Die Staatlichen Museen zu Berlin zeigen eine umfassende Ausstellung über den Mythos Babel – und die Wahrheit um das antike Babylon. Ariana Mirza berichtet.

Ischtar Tor; Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Die Ausstellung zeigt über 800 Exponate aus den Staatlichen Museen zu Berlin, dem Louvre und der Réunion des musées nationaux sowie dem British Museum.

​​Ein bisschen erinnert es an den Marsch in "Babylonische Gefangenschaft". Dicht gedrängt schreiten die Museumsbesucher die beiderseits von blau gekachelten Mauern begrenzte Prozessionsstraße entlang. Sie bewegen sich auf das monumentale Stadtportal zu, das vor rund 2600 Jahren zu Ehren von Ishtar, der "Großen Mutter" Babylons erbaut wurde. Deutsche Archäologen brachten die Überreste des Bauwerks Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin. Seit 1930 ist das rekonstruierte Ishtar-Tor das Prunkstück des Vorderasiatischen Museums im Berliner Pergamonmuseum.

Knapp 100 Kilometer südlich von Bagdad, dort wo die Fragmente des Ishtar-Tores einst aus dem Wüstensand gebuddelt wurden, feierte 1980 die Baath-Partei ein Festival unter dem Motto: "Gestern Nebukadnezar, heute Saddam Hussein." Der irakische Diktator wollte an eine altorientalische Vergangenheit anknüpfen, die im Westen verpönt und im Orient längst vergessen schien. In der arabischen Welt war bis dato das Interesse an vorislamischen Gesellschaften recht gering gewesen. Und auch Saddam Hussein ging es kaum um historische Erkenntnisse, er wollte durch die willkürliche Anbindung an vorislamische Herrscherdynastien lediglich seine säkulare Macht legitimieren.

Ein universelles Erbe

Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Die Ausstellung zeigt über 800 Objekte, darunter Statuen, Reliefs, Weihgaben, Architekturfragmente und Radierungen - hier "Der Einsturz des Turmes zu Babel" von Cornelisz Anthonisz, 1547

​​Doch wie war dieses Babylon, auf das sich der irakische Diktator berief und das im Westen so einen schlechten Ruf besitzt, nun wirklich? In Kooperation mit dem Pariser Louvre und dem British Museum in London wurden für die Berliner Ausstellung rund 900 Objekte zusammengetragen, die Auskunft über den Alltag in einer hoch entwickelten Zivilisation geben. Keilschriften, Schmuck, Grabbeilagen, Dokumente und architektonische Modelle vermitteln das Bild einer Gesellschaft, die philosophisch, technisch und ästhetisch viele Errungenschaften vorweisen konnte. Die Kultur des Zwei-Strom-Landes, so werden die Besucher erinnert, ist eng verknüpft mit dem Entstehen von Wissenschaften wie der Astronomie oder der Rechtslehre.

Die altorientalische Wissenstradition Babylons – auch dies verdeutlicht die Ausstellung – beeinflusste sowohl die griechische, als auch die jüdische und islamische Kulturgeschichte nachhaltig. Ein universelles Erbe, das bis heute kaum wahrgenommen wird.

Skepsis des Menschen gegen sich selbst

Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Babylon in der Vorstellung des mittelalterlichen Europas: "Die Zerstörung Jerusalems im Jahre 586 v. Chr." aus der Heisterbacher Bibel, Köln, um 1240. Die heilige Stadt stand im 6. Jahrhundert unter Babylonischer Herrschaft.

​​Nach einer teilweisen Präsentation dieser Fundstücke in Paris und London ist die Ausstellung in Berlin um einen wesentlichen Aspekt erweitert worden. Ein umfangreicher Bereich beschäftigt sich mit dem Entstehen und der Weitergabe des Mythos von der "Hure Babylon". Hier verdeutlichen Werke von Gegenwartskünstlern und Popkulturerzeugnisse wie präsent Babylon als negatives Symbol ist.

Warum das Zerrbild "Babel" so viel dominanter ist als die Erinnerung an eine frühe Wissensgesellschaft erklärt der Kurator Moritz Wullen: "Es ist die Skepsis der menschlichen Zivilisation gegen sich selbst. Alle diese Angstbilder sind im Grunde über Jahrtausende gleich geblieben."

Maßgeblich wurde das vorherrschende Bild einer lasterhaften, dem Untergang geweihten Gesellschaft von der Bibel geprägt. Babylonische Errungenschaften in der Baukunst und das zumeist friedliche

© Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Jenseits der Mythen? Rekonstruktion der Ziqqurat von Babylon - der "wahre" Turm zu Babel; Modell nach Hansjörg Schmid; 50 x 56 cm

​​Zusammenleben einer multi-ethnischen Bevölkerung wurden aus dem christlichen Blickwinkel als menschliche Überheblichkeit gewertet und für gescheitert erklärt. Dies stimmt nachdenklich, denn vieles was den Babyloniern über Jahrhunderte gelang, wird von heutigen säkularen Gesellschaften als Ideal angestrebt.

Ein archäologisches und ideelles Erbe, auf das man im heutigen Irak unbedingt stolz sein kann, betonen auch die Ausstellungsmacher in Berlin: "Irak ist ein Land mit großer Kulturtradition." Dass es diese Tradition weiterhin vor Missachtung zu schützen gilt, wurde zuletzt 2003 klar. Damals errichteten die Amerikaner inmitten der Ausgrabungsstätten in Babylon ein temporäres Militärcamp. Schwere Beschädigungen waren die Folge. Ironie der Geschichte: Ursprünglich hatte man die Truppen dort stationiert, um die Ausgrabungen vor fremden Übergriffen und Plünderern zu schützen.

Ariana Mirza

© Qantara.de 2008

Die Ausstellung "Babylon. Wahrheit und Mythos" ist bis zum 5. Oktober 2008 im Pergamonmuseum Berlin zu sehen. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.

Qantara.de

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