Kunst in der Befreiungsbewegung

Der Vormarsch der Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt des 20. Jahrhunderts wurde von Werken aus Kunst und Kultur flankiert. Sultan Sooud Al Qassemi untersucht das Phänomen.

Von Sultan Sooud Al Qassemi

Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts kamen junge arabische Männer und Frauen bei ihren anhaltenden Protesten gegen das Establishment nicht ohne die dazu passenden Lieder und Plakate aus. Unter den Demonstranten befanden sich oft Dichter und bildende Künstler, die ihre Werke gerne zur Verfügung stellten. Zentraler Bestandteil der Befreiungsbewegungen war die Arbeiterbewegung. Sie fand unter den Kunstschaffenden engagierte Partner und Unterstützer. Diese Massenbewegung fiel zeitlich mit der Stärkung und in vielen Fällen auch mit der Machtübernahme sozialistisch und kommunistisch gesinnter Gruppierungen zusammen, die für die Rechte der Arbeiter eintraten.

Das Bild „Abbas Bridge“ der ägyptischen Künstlerin Gazbia Sirri (geb. 1925) beruht auf historischen Ereignissen des Jahres 1947 in der ägyptischen Industriestadt al-Mahalla al-Kubra. Die Proteste galten damals als die größten ihrer Art in der Geschichte des Landes. Das damalige Königreich Ägypten reagierte mit Gewalt. 1952, also fünf Jahre später, wurde der König in einem Militärputsch gestürzt, bei dem, so die Wissenschaftlerin Heba F. El-Shazli, „ägyptische Arbeiter die Rolle eines politischen Katalysators einnahmen“. Und tatsächlich wandelte sich unter dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser das Bild der Arbeiter drastisch. In den Kunstwerken wurden sie nicht mehr versteckt oder im Hintergrund als passive Zuschauer dargestellt. Jetzt rückten sie in vielen Werken in die vorderste Reihe bzw. ins Zentrum.

Würdigung des Proletariats

Wohl kaum ein anderer Künstler zeigte Arbeiter häufiger oder emphatischer als der Ägypter Hamed Ewais (1919-2011). Als leidenschaftlicher Linker stellte er Fischer, Industriearbeiter, Bauern, Barbiere und Wäschereiarbeiter als große, zentrale Figuren dar, die die Komposition dominierten. Ewais‘ Bildtitel würdigen das Proletariat ganz offensichtlich und offenbaren seine Sympathien für die Arbeiterklasse.

Nach der Naksa – der arabischen Niederlage im Sechs-Tage-Krieg von 1967 – porträtierte er zum Beispiel einen Bauern mit einem Bandana und einem sowjetischen Maschinengewehr. Er nannte es „Der Hüter des Lebens“. Dies zeugt von dem großen Respekt, den eine ganze Generation von Künstlern in den 1950er und 1960er Jahren in Ägypten den Arbeitern entgegenbrachte.

Das Bild „Abbas Bridge“ der ägyptischen Künstlerin Gazbia Sirri; Foto: Sultan Sooud Al Qassemi
Kunst und Widerstand: Das Bild „Abbas Bridge“ der ägyptischen Künstlerin Gazbia Sirri (geb. 1925) beruht auf historischen Ereignissen des Jahres 1947 in der ägyptischen Industriestadt al-Mahalla al-Kubra. Die Proteste galten damals als die größten ihrer Art in der Geschichte des Landes. Das damalige Königreich Ägypten reagierte mit Gewalt.

Eine ebensolche Vorkämpferin für die Arbeiterklasse war die Künstlerin Inji Eflatoun (1924-1989). Sie entstammte einer Familie der oberen Mittelklasse aus Kairo und war mit dem Staatsanwalt Hamdi Aboul Ela verheiratet, der wie sie Kommunist war. Eflatouns Einsatz für Frauen und Arbeiterrechte brachte ihr eine vierjährige Gefängnisstrafe ein.

Ihr Kampfgeist blieb jedoch ungebrochen. Sie stellte auch weiterhin Arbeiter in unzähligen Gemälden dar, darunter „The Builders“ (1952) und White Gold (1963), das aus einer Serie mit Motiven von Baumwollpflückern stammt, die sie in den 1960er Jahren malte.

Ihre Zeitgenossin Menhat Helmy (1925-2004) malte eine Komposition mit dem Titel Prozession zur Arbeit (1957). Hier folgen Frauen und Männer mit ihren Arbeitswerkzeugen einem Mann mit weißer Taube – einem beliebten Friedenssymbol.

Die Bronzestatue mit dem Titel Nasser (1960) schuf Gamal Al Sagini (1917-1977) während seiner Zeit als Professor für Bildhauerei an der Schule für Bildende Künste in Kairo. Sie stellt den ägyptischen Präsidenten mit seinen Unterstützern aus der Arbeiter- und Bauernschicht dar.

Die Botschaft ist klar: Die Werktätigen stehen zu Nasser, der seinerseits seine Stärke als Präsident von ihnen ableitet.

Im Irak stehen die frühen Werke von Mahmoud Sabri (1927-2012) für das Interesse an der Notlage der Arbeiter, darunter A Peasants Family (undatiert) und Builders (1957).

Im weiteren Verlauf seines Schaffens blieb er seinen Motiven treu; beispielsweise mit The Parsnip Seller (1950) und später, nach seinem Studium in Russland Anfang der 1960er Jahre, in Werken wie A Family of Farmers.

So wie Hamed Ewais bezeugen auch die Titel der Werke von Mahmoud Sabri den großen Respekt, den er Arbeitern entgegenbrachte. Dies gilt auch für sein Werk mit dem Titel Der Held. Es zeigt die Hinrichtung von Salam Adel, dem Führer der irakischen kommunistischen Partei, im Jahr 1963.

Spiegel der Ereignisse

Manchmal sind die Bilder der Arbeiter ebenso ein Spiegel der vergangenen Ereignisse wie ein Vorbote der Zukunft. So ist es bei He told us how it happened (1957) des irakischen Künstlers Kadhim Haydar (1932-1985). Das Bild zeigt einen vermutlich arbeitslosen jungen Mann, der dem Titel nach erzählt, wie der damalige irakische Premierminister Nuri Pasha Al Said die Revolte blutig niederschlagen ließ, die nach Unterzeichnung des Bagdad-Pakts mit Großbritannien im Land ausbrach.

Ein weiteres Hauptwerk von Kadhim Haydar ist „The Hands“ (1956). Es zeigt ein Kind inmitten einer Gruppe muskelbepackter Arbeiter. Das Werk wurde 1957 in der historischen Ausstellung der Vereinigung Irakischer Künstler im Royal Olympic Club in Bagdad unter der Schirmherrschaft von König Faisal II. gezeigt.

Kunstwerk "The Hands" aus dem Jahr 1956 des irakischen Künstlers Kadhim Haydar; Foto: Waddah Faris, courtesy of: Dia Azzawi
Inspiriert vom Leiden der irakischen Arbeiterklasse: Das Bild „The Hands“ des irakischen Künstlers Kadhim Haydar zeigt ein Kind inmitten einer Gruppe muskelbepackter Arbeiter. Das Werk wurde 1957 in der historischen Ausstellung der Vereinigung Irakischer Künstler im Royal Olympic Club in Bagdad unter der Schirmherrschaft von König Faisal II. gezeigt.

Die Syrerin Leila Nseir (geb. 1941) stellt in ihren Werken Frauen in den Mittelpunkt, darunter eine im arabischen Raum untypische Darstellung einer Märtyrerin in The Nation (1978). Die tote Heldin mit ihrem weinenden Kind im Bildzentrum wird von einer Gruppe von Frauen und Männern getragen. Werktätige stellt Nseir als Bäuerinnen in der Morgendämmerung auf einem Feld dar. Frauen und Männer porträtiert sie mit Arbeitsgeräten aus nächster Nähe.

Die palästinensische Künstlerin Vera Tamari (geb. 1945) zeigt ebenfalls Frauen bei der Arbeit. Ihr Keramikrelief Palestinian Women at Work (1979) ist Teil einer Werkreihe über Frauen aus der Arbeiterklasse. Die Tunesierin Safia Farhat (1924-2004) nimmt dagegen in zahlreichen Werken Fischer und Arbeiter ins Visier. Ihr wird die radikale Umwälzung der Kunsterziehung im Institut für Schöne Künste in Tunis zugeschrieben.

Künstler und Pädagogen

Safia Farhats Tätigkeit als Künstlerin und als Dozentin ist eng verknüpft mit den Aktivitäten ihres Ehemanns Abdallah Farhat (1914-1985), einem sozialistischen Politiker und Minister der damaligen tunesischen Regierung. Diese Verbindung aus Kunst und Politik wiederholt sich in Palästina. Auch dort sind die Künste oft untrennbar mit der Befreiungsbewegung verbunden. Die Darstellung von Arbeitern ist zentrales Thema, wie auf dem Plakat Arms of the Workers Protect the Revolution (unbekannter Künstler), das 1986 von der Palestine Martyrs Works Society veröffentlicht wurde.

Auch zahlreiche Künstler aus der Golf-Region, die in Ägypten studierten, porträtierten Arbeiter. Darunter Abdullah Al Qassar aus Kuwait (1941-2003), der Bootsbauer im Hafen von Luxor (1964) malte. Die Entdeckung der Ölquellen im Golf inspirierte eine Reihe von Künstlern zu Arbeiterporträts. So in Extraction of Oil (1965) von Abdul Halim Al Radwis (1939-2006), das die Erdölfördergesellschaft Saudi Aramco als Postkartenmotiv übernahm, oder in Oil Exploration (1953) von Abdullah Al Muharraqi (geb. 1939) aus Bahrain.

"Women Farmers" der syrischen Künstlerin Leila Nseir; Foto: Ahmed Kasha
Frauen im Fokus: Die Syrerin Leila Nseir (geb. 1941) stellt in ihren Werken Frauen in den Mittelpunkt. Werktätige stellt Nseir als Bäuerinnen in der Morgendämmerung auf einem Feld dar. Frauen und Männer porträtiert sie mit Arbeitsgeräten aus nächster Nähe.

Darüber hinaus stellten einige Golfkünstler auch asiatische Arbeiter dar – jene Menschen, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Wohlstand dieser Staaten beitragen. So beispielsweise der Katarer Faraj Daham (geb. 1956) mit Truck and Workers (2011) und in jüngerer Zeit die Emiraterin Asma Khoory (geb. 1994) mit ihrer Installation Look Beyond Them (2018) – einem audiovisuellen Tagebuch über südasiatische Arbeiter, die nur selten, wenn überhaupt, in der elitären Kunstszene am Golf präsent sind oder Beachtung finden.

Das Betonrelief des marokkanischen Künstlers Mustapha Akrim (geb. 1981) aus dem Jahr 2017 scheint aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zu stammen und erinnert an das, was ein Journalist die „Ikonographie der 1940er Jahre“ nannte. Das Relief mit einem Durchmesser von zwei Metern trägt den Titel Outils (Werkzeuge). Die Darstellung verschiedener Geräte, wie Schaufel, Säge, Hammer, Zange, Schraubendreher oder Spitzhacke, erinnert an die vielen Arbeiter, die insbesondere in wohlhabenden Gesellschaftsschichten ungesehen bleiben.

Bereits seit den 1950er Jahren stellen arabische Künstler Werktätige in Gemälden, Skulpturen, Plakaten und in jüngerer Zeit auch in neuen Medien und Installationen dar. Meist stehen dabei Frauen und Männer Seite an Seite. Sie übernehmen die gleichen Aufgaben und protestieren für die gleichen Ziele und Anliegen. Arbeiter aus verschiedenen Branchen werden nicht nur als zentrale Figuren gemalt, sie werden auch in Würde dargestellt.

Seit etwa einem Dreivierteljahrhundert treiben Arbeiterinnen und Arbeiter den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel in der gesamten arabischen Welt voran. In jüngster Zeit aber ziehen sie oft den Kürzeren.

Sultan Sooud Al Qassemi

© raseef22 2020

Aus dem Englischen von Peter Lammers