Musikalische Diplomatie

Der Dirigent Daniel Barenboim setzt sich mit seiner Musik über alle politischen und religiösen Barrieren im Nahen Osten hinweg. Der Taktstock als passendes Instrument für den Neubeginn eines kulturellen Dialogs in der Krisenregion? Von Petra Tabeling

Der Dirigent Daniel Barenboim setzt sich mit seiner Musik über alle politischen und religiösen Barrieren im Nahen Osten hinweg. Der Taktstock als passendes Instrument für den Neubeginn eines kulturellen Dialogs in der Krisenregion? Petra Tabeling über Barenboims vielfältige und viel versprechende Projekte zur Musikförderung.

Foto: AP
Barenboim dirigiert ein Orchester, das aus israelischen, palästinensischen und andalusischen Musikern besteht.

​​Kein Zweifel, Daniel Barenboim ist ein sehr umtriebiger Künstler. Der 62jährige Komponistenstar, der in Argentinien geboren wurde und in Israel aufwuchs, leitet gleich zwei Orchester: er ist Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und Direktor des Chicago Symphony Orchestra.

Der Familienvater hat mehrere Bücher geschrieben, verfasst Artikel, ist ständig auf Tournee. Er brilliert nicht nur als Pianist, sondern spricht auch sieben Sprachen - darunter Hebräisch. Und Barenboim engagiert sich vor allem unermüdlich für den kulturellen Dialog zwischen Palästinensern und Israelis im Nahen Osten.

Mehr als Musik - der "west-östliche Diwan"

Zusammen mit seinem verstorbenen Freund, dem palästinensischen Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Edward Said, gründete Barenboim Ende der 90er Jahre den israelisch-palästinensischen Musikworkshop "West-östlicher Diwan".

Das Projekt, das nach der berühmten Verssammlung Goethes benannt ist, versteht sich nicht nur als Musikinitiative, sondern es soll vor allem zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben von Arabern und Israelis möglich ist.

Die Initiative fördert junge Talente mit Stipendien und veranstaltet jedes Jahr in Andalusien einen mehrwöchigen Workshop, bei dem es nicht nur um musikalischen Unterricht geht. Es sollen auch Diskussionsmöglichkeiten eröffnet werden, um sich über die verschiedenen Standpunkte im arabisch-israelischen Konflikt auszutauschen.

Im Anschluss daran gehen die Musiker auf Tournee und präsentieren mit ihrem Orchester, wie ein Miteinander verschiedener Kulturen funktionieren kann. Sie treten nicht nur in den Weltmetropolen auf. Auch in den besetzten Palästinensergebieten haben die andalusischen, israelischen und arabischen Musiker bereits gespielt. Mit einem Konzert in der marokkanischen Hauptstadt Rabat im August 2003 trat das Orchester erstmals auch in einem arabischen Land auf.

Engagement für den Nahen Osten

Für dieses ungewöhnliche Friedensengagement wurden Barenboim und Said 2002 bereits mit dem angesehenen Prinz-von-Asturien-Preis für Völkerverständigung ausgezeichnet. Edward Said verstarb vergangenes Jahr. Barenboim führt sein Engagement in seinem Namen weiter fort.

Für seine musikalische Dialogarbeit hat er inzwischen eine noch größere Plattform geschaffen: Im Sommer 2004 gründete der Dirigent gemeinsam mit der andalusischen Regierung die "Barenboim-Said Foundation", eine Stiftung, die neben dem bereits bestehenden und etablierten "West-östlichen Diwan" auch andere Projekte fördern will, in dem junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern unterstützt werden.

Die Entscheidung, die Stiftung im spanischen Sevilla anzusiedeln, war kein Zufall. Finanziert wird das Vorhaben vor allem von der andalusischen Regionalregierung, die damit für ein friedliches Miteinander der Kulturen werben will. In Andalusien leben Christen, Juden und Moslems bereits seit langem friedlich zusammen.

Die Stiftung hat sich viele Ziele gesetzt, um den Nachwuchs zu fördern. Unter anderem soll eine Akademie für Orchesterstudien aufgebaut werden, die das Studium andalusischer Musikstudenten ergänzt.

Außerdem soll eine audiovisuelle Bibliothek entstehen, in der nicht nur Werke von Daniel Barenboim and Edward Said zugänglich gemacht werden, sondern auch Schriften und Kompositionen anderer Autoren und Komponisten, die sich dem Frieden und der humanitärer Erziehung widmen.

Mit klassischer Musik gegen die Gewalt

Foto: Peter Dammann
Barenboim in Ramallah

​​Vor allem im Nahen Osten, in den palästinensischen Autonomiegebieten, richtet die Stiftung nun diverse Musikprojekte ein. Immer mit dem Ziel vor Augen, den Dialog, Verständnis und Respekt zu vermitteln. In einem 5-Jahres Plan soll so eine Infrastruktur für Musikunterricht entstehen.

In Organisationen wie der "Edward Said National Conservatory of Music", mit denen die Stiftung in den Autonomiegebieten kooperiert, unterrichten professionelle Musiker Kinder und Jugendliche aus den Flüchtlingslagern.

Das Programm soll erweitert werden, so dass auch in den Städten Jenin, Nablus, Khalil (Hebron) und Gaza Kindern Zugang zu musikalischer Erziehung ermöglicht werden kann.

Fünf Musiker aus Berlin unterrichten bereits im Rahmen der Projekte, die Stiftung sucht derzeit noch weitere qualifizierte Musikerlehrer und Erzieher mit Arabischkenntnissen aus Deutschland.

Neben einem Jugendorchester gründete die Barenboim-Said Stiftung auch den ersten Musikkindergarten in Ramallah, der nach Edward Said benannt wurde.

Dort spiele Musikerziehung eine wichtigere Rolle als anderswo auf der Welt, so Barenboim, denn jede Musikstunde sei für das Kind oder den Jugendlichen eine Stunde der Gewalt weniger.

Die meisten Kinder stammen aus den Flüchtlingscamps AmAri und Qadura. Neben dem regulären Unterricht sollen die fünfjährigen in Musik, Kunst und Theater gefördert werden. Barenboim ermöglicht somit jungen Musikern aber auch eine Perspektive, die ihnen ansonsten verwehrt geblieben wäre.

Der Musiker hatte das Glück, das sein Talent schon früh von dem berühmten Dirigenten und Komponisten Wilhelm Furtwängler entdeckt wurde.

Prämierter Preisträger der Kunst und des Wortes

Jeder müsse sich auf dem Gebiet engagieren, das ihm am ehesten liege, so lautet häufig Barenboims Antwort auf die Frage, warum er sich ausgerechnet mit Musikprojekten engagiere. "Mein Weg ist die Musik und als Musiker kämpfe ich gegen zwei Dinge: gegen lärmende Musik und gegen das Schweigen!"

Für sein vorbildliches Engagement wird Barenboim immer wieder mit Preisen ausgezeichnet. Erst kürzlich wurde ihm der Paul-Hindemith-Preis für Kunst und Menschlichkeit verliehen.

Barenboim hebt nicht nur den Taktstock um das Orchester zu dirigieren, sondern er nutzt diese Ehrungen gelegentlich auch, um Politikern auf die Finger zu klopfen. Im Mai 2004 kam es im Jerusalemer Parlament zum Eklat, als Barenboim eine Feier zur Verleihung des Wolf-Preises nutzte, um an der israelischen Besatzungspolitik in den Autonomiegebieten Kritik zu üben.

Nach dem Tod Arafats forderte der israelische Dirigent, Europa solle sich stärker im Nahost-Konflikt engagieren. "Wenn Europa jetzt keinen Frieden nach Nahost bringt, wird der Nahe Osten die Gewalt nach Europa bringen", so schrieb er in einem Kommentar der Tageszeitung Die Welt.

Petra Tabeling

© Qantara.de 2004

Qantara
Dossier: Musikwelten
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