Mit der Religion gegen den Terror

Britische Muslime haben auf Initiative des Islamgelehrten Dr. Muhammad Tahir-ul-Qadri ein "Curriculum gegen den Terror" vorgestellt, womit muslimischen Geistlichen Argumentationshilfen gegen die missbräuchliche Verwendung theologischer Argumente durch Terrororganisationen wie den IS gegeben werden soll. Von Stefan Weidner

Von Stefan Weidner

Man kann es im Prinzip nur begrüßen, dass die Reaktionen der Muslime auf den terroristischen Missbrauch der Religion mal um mal – gleichsam mit jedem Anschlag – ausgefeilter und expliziter werden.

Sie schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen wehren sie sich gegen die Gleichsetzung von Islam und Terror, die von notorischen Islamfeinden ebenso geschürt wird wie von den politischen Ereignissen, mit dem selbsternannten "Islamischen Staat in Syrien und Irak", an der Spitze. Zum anderen wehren sie sich gegen die Unterstellung, die Muslime würden sich nicht ausreichend vom Terror distanzieren – das ist wichtig, auch wenn diese Unterstellung fast immer auf Unkenntnis etwa der sich auf Arabisch abspielenden Debatten und teilweise schlicht auf Verzerrung beruht.

Theologische Argumente gegen den Terror

Mit der Initiative eines muslimischen Lehrplans gegen den Terror soll jedoch nicht einfach nur der islamkritische Beobachter beschwichtigt werden, sondern es wird versucht, die Vertreter eines aggressiven und engstirnigen Religionsverständnisses mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen: Die Argumente gegen den Terror werden dabei theologisch aus der Religion selbst abgeleitet, und nicht wie sonst oft aus dem gesunden Menschenverstand, der von denjenigen, die nach Argumenten für die Gewalt in der Religion suchen, eben leider nicht geteilt wird.

IS-Terroristen in Syrien, Foto: DW
Instrumentalisierung des islamischen Glaubens: Man sollte nicht vergessen, dass die Religion oft nur vorgeschoben wird, wenn junge Muslime den Weg nach Syrien antreten. Die wenigsten, die in den Krieg ziehen, sind theologisch wirklich versiert. Und eben weil ihnen die religiöse Erziehung fehlt, sind sie anfällig für radikale Argumente, die sich religiös verkleiden.

Freilich, einzelne Islamgelehrte haben dergleichen auch schon vorher versucht. Aber einen derart systematischen Plan zur theologischen Terrorbekämpfung ausgearbeitet und diesen mit so großem Aufwand in der Weltpresse verbreitet haben sie bisher noch nicht. Das lässt sich leicht aus der religiösen Vielfalt und lokalen Zersplitterung des Islams erklären, nicht damit, dass sich im Islam keine Argumente gegen die Gewalt fänden.

Eine solche Initiative zieht die Konsequenz aus der Tatsache, dass den Muslimen gar nichts anderes übrig bleibt, als das mit guten Argumenten zu tun, was die Prediger von Hass und Gewalt mit schlechten tun: die unterschiedlichsten Muslime in aller Welt zu erreichen. Eine Herkulesaufgabe, freilich, an deren Ende, wenn sie glückt, ein Islam stehen könnte wie ihn Gläubige in aller Welt ersehnen: eine Religion, deren globaler Anspruch auch von unumstrittenen, universellen und humanen Prinzipien getragen wäre.

Gefahr der Kulturalisierung

Man sollte angesichts dieser Initiative freilich nicht vergessen, dass die Religion oft nur vorgeschoben wird, wenn junge Muslime den Weg nach Syrien antreten. Die wenigsten, die in den Krieg ziehen, sind theologisch wirklich versiert. Und eben weil ihnen die religiöse Erziehung fehlt, sind sie anfällig für radikale Argumente, die sich religiös verkleiden. In dieser Hinsicht könnte die Curriculums-Initiative zwar Abhilfe schaffen. Aber sie verstärkt auch den irreführenden Eindruck, der "Terror-Tourismus" habe tatsächlich vorrangig religiöse und kulturelle Motive.

Durch diese Form der Kulturalisierung, wie man es nennen könnte, werden andere, wahrscheinlichere Gründe für den selbstmörderischen Abmarsch ins Kriegsgebiet ausgeblendet – nämlich die soziale, politische und wirtschaftliche Marginalisierung vieler Einwanderer. Und es könnte daher sein, dass diese Initiative mehr den Erwartungen der westlichen Politik und der argwöhnischen nicht-muslimischen Beobachter gerecht zu werden sucht als den Bedürfnissen der Muslime, um die es geht.

So gesehen könnte diese Initiative sogar das Gegenteil dessen bewirken, was sie zu wollen vorgibt. Indem sie in den Chor derjenigen einstimmt, die das Phänomen des von Muslimen ausgeübten Terrors als Problem der Religion deutet, entlastet sie die neoliberale Politik von der Verantwortung für die Verarmung und Verwahrlosung weiter Bevölkerungsteile, darunter gerade auch von Konvertiten, die die Erfüllung ihres im Westen perspektivlosen Lebens im Kampf für den Islamischen Staat suchen, wo sie sich anders als bei uns noch Anerkennung erwerben können, und sei es um den Preis ihres Lebens.

Großbritanniens Premier David Cameron; Foto: Reuters/O. Scarff
Zweifelhafte Willkommenskultur: "Dass der Multikulturalismus gescheitert ist, wie konservative Politiker à la Merkel und Cameron heute gern behaupten, darf nicht nur so verstanden werden, dass manche Muslime in einer offenen Gesellschaft vielleicht nicht mitspielen wollen, sondern deutet auch darauf hin, dass diese Gesellschaft vielleicht gar nicht so offen ist, wie wir uns gern einbilden", schreibt Stefan Weidner.

Schließlich müssen sich auch die westlichen Gesellschaften einige kritische Fragen gefallen lassen. Was nützt es, wenn sich die Muslime vom IS distanzieren und gute Argumente gegen die Radikalisierung finden, solange der Westen immer noch die besten Geschäfte mit Ländern macht, die genau diese Radikalisierung jahrzehntelang gefördert haben und bis heute in vieler Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von IS als mit denen westlicher Staaten haben – gemeint sind Saudi-Arabien und andere in wirtschaftlicher Hinsicht zwar neoliberale, in politischer Hinsicht hingegen dezidiert anti-demokratische staatliche Gebilde am Persischen Golf.

Vorzeigemuslime und Ausgegrenzte

Eine zweite, für uns vielleicht noch wichtigere Frage lautet, inwieweit die westlichen Demokratien wirklich bereit sind, außer ein paar bestens integrierten Vorzeigemuslimen (und selbst diese finden wir vor allem in den rein symbolischen Welten von Kultur und Medien, nicht aber in den entscheidenden von Wirtschaft und Politik) Menschen anderer Herkunft und Kultur eine gleichberechtigte Chance zu eröffnen und ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen.

Dass der Multikulturalismus gescheitert ist, wie konservative Politiker à la Merkel und Cameron heute gern behaupten, darf nicht nur so verstanden werden, dass manche Muslime in einer offenen Gesellschaft vielleicht nicht mitspielen wollen, sondern deutet auch darauf hin, dass diese Gesellschaft vielleicht gar nicht so offen ist, wie wir uns gern einbilden.

Und es könnte sich zum Entsetzen gerade der konservativen Politiker bald herausstellen, dass der Multikulturalismus trotz der damit einher gehenden Gefahr der gruppenspezifischen Abschottung eine vergleichsweise preisgünstige Lösung der Integrationsproblematik war – im Vergleich jedenfalls zum Anspruch, Zugewanderten gleich welcher Herkunft entsprechend ihren Fähigkeiten und Wünschen eine echte Chance zu gewähren und die dafür notwendigen, staatlich zu fördernden Strukturen bereitzustellen.

Stefan Weidner

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