"Ich will mein Leben zurück"

Wie leben Menschen in Nahost und Nordafrika mit der Corona-Pandemie? Was sind ihre Sorgen und Wünsche? Sieben Frauen aus verschiedenen Ländern - auch aus Kriegsgebieten erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen. Diana Hodali hat mit ihnen gesprochen.

Von Diana Hodali

Amal Yarisi, Sanaa/Jemen, 28 Jahre, Journalistin

"Ich lebe in einem kriegsgebeutelten Land mit einem Gesundheitssystem, das am Boden liegt, und mit vielen Menschen mit schwachen Immunsystemen. Natürlich macht mir das alles Angst. Hier sind so viele Menschen krank - Cholera, Diphterie und auch viele andere Krankheiten können hier nicht behandelt werden. Wir haben noch nicht mal ausreichende Möglichkeiten, Menschen auf das Coronavirus zu testen. Auch in den Laboren sind die Mitarbeiter nicht ausreichend ausgebildet, um das Virus überhaupt zu identifizieren.

Amal Yarisi, Journalistin aus Sanaa; Foto: privat
Amal Yarisi, Journalistin aus Sanaa: "Ich lebe in einem kriegsgebeutelten Land mit einem Gesundheitssystem, das am Boden liegt, und mit vielen Menschen mit schwachen Immunsystemen."

Wir wissen daher nicht, wie viele Infizierte es überhaupt gibt. In einem Land, in dem Krieg herrscht, sind die Möglichkeiten, so ein Virus einzudämmen, sehr gering. Wir haben auch keine Ausgangssperre, die meisten Menschen sind Tagelöhner und müssen arbeiten. Sollte die Pandemie sich hier ausbreiten, dann befürchte ich das Schlimmste. Dann werden hier sehr viele Menschen sterben."

Loreen Msallam, Bethlehem/Palästinensische Autonomiegebiete,  37 Jahre, Wirtschaftswissenschaftlerin

"Die Situation ist wirklich nicht leicht und ich empfinde auch Sorge. Wenn sich die Situation bei uns verschlechtern sollte, dann gibt es keine ausreichende medizinische Versorgung. Ich sehe ja auch wie es anderen Ländern geht, die eigentlich ein besseres Gesundheitssystem haben als wir hier. Wir fragen uns auch, wie lange wir eingesperrt bleiben. Das Leben steht still. Auch wenn ich wirklich stolz darauf bin, wie die Palästinensische Autonomiebehörde damit umgeht.

Loreen Msallam, Wirtschaftswissenschaftlerin aus Bethlehem; Foto: privat
Loreen Msallam, Wirtschaftswissenschaftlerin aus Bethlehem: "Wir fragen uns auch, wie lange wir eingesperrt bleiben. Das Leben steht still. Auch wenn ich wirklich stolz darauf bin, wie die Palästinensische Autonomiebehörde damit umgeht."

Sie hat gleich alles dicht gemacht und eine Ausgangssperre verhängt. Das hat wahrscheinlich auch deshalb gut funktioniert, weil wir Ausgangssperren, die durch israelische Regierungen verhängt wurden, schon kennen. Es ist also nichts Neues für uns, zu Hause zu bleiben. Aber diese Situation ist anders. Wie lange soll das so gehen? Und was uns Sorge bereitet, ist, dass die palästinensischen Tagelöhner, die in Israel arbeiten, alle wieder ins Westjordanland gebracht werden sollen - ungetestet. Man befürchtet, dass viele schon infiziert sein könnten, weil es bereits solche Fälle gegeben hat. Insgesamt sollen 45.000 Arbeiter zurückkommen. Unsere Autonomiebehörde bereitet sich darauf vor, will einige in Quarantäne stecken, aber das wird für so viele Menschen nicht funktionieren. Ich hoffe, das geht alles schnell vorbei – ich will mein Leben zurück!"

Faten Jebai, Libanesin mit Wohnort Doha/Qatar, 28 Jahre, Videojournalistin/Medientrainerin

"Ich bin in Doha angekommen, war gerade mal fünf Tage in meinem neuen Job - und musste dann schon in Quarantäne. Für mich das eine Herausforderung: Ich habe die Stadt, in der ich jetzt lebe, auch noch gar nicht erkunden können. In Doha zu sein bedeutet aber auch, dass ich finanziell zumindest abgesicherter bin als im Libanon – zumindest ist das mein Eindruck.

Faten Jebai, Medientrainerin aus Doha; Foto: privat
Faten Jebai, Medientrainerin aus Doha: "Ich bin in Doha angekommen, war gerade mal fünf Tage in meinem neuen Job - und musste dann schon in Quarantäne. Für mich das eine Herausforderung: Ich habe die Stadt, in der ich jetzt lebe, auch noch gar nicht erkunden können."

Im Libanon liegt die Wirtschaft am Boden, das Gesundheitswesen auch. Ich mache mir deshalb um meine Familie große Sorgen. Doha ist zum Glück nicht so eng besiedelt und hat schon früh die öffentlichen Verkehrsmittel eingestellt und den Flugverkehr gestoppt. Dennoch schaue ich aus dem Fenster, und es gibt immer noch Leute, die zur Arbeit fahren und auch die Baustellen sind noch in Betrieb. Katar sollte da strikter sein, finde ich. Diese Ungewissheit, nicht zu wissen, was noch kommen wird, macht mir zu schaffen. Ich arbeite zwar noch, aber natürlich weiß ich nicht, wie lange das so sein wird. Ich bin Freiberuflerin und auch die Medienbranche wird Einschnitte erleben. Ich wünsche mir ein wissenschaftliches Wunder, das diesen Albtraum bald beendet."

Deema Deeb Abu Dalo, Amman/Jordanien, 26 Jahre, Masterstudentin Architektur:

"Ich bin dankbar, dass ich gesund bin und dass ich genügend Platz habe, um mich in Quarantäne zu begeben. Mir fehlt es an nichts. Ich habe Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel – aber in den sozial schwächeren Gegenden sind nicht alle Menschen versorgt – und die Preise  sind stark gestiegen. Ich mache mir aber auch Sorgen.

Deema Deeb Abu Dalo aus Amman/Jordanien; Foto: privat
Deema Deeb Abu Dalo, Architekturstudentin aus Amman: "Ich weiß nicht, wie sich die Quarantäne auf Dauer mental auf mich auswirkt. Mehrere Monate kann ich das nicht aushalten – auch, wenn ich die verhängte Ausgangssperre richtig und wichtig finde."

Ich habe das Haus seit drei Wochen nicht verlassen dürfen. Ich lerne zwar jetzt neue Design-Programme, um mich zu beschäftigen. Da ich derzeit einen Master mache, arbeite ich nicht. Ich weiß aber nicht, wie sich die Quarantäne auf Dauer mental auf mich auswirkt. Mehrere Monate kann ich das nicht aushalten – auch, wenn ich die verhängte Ausgangssperre richtig und wichtig finde. Ich wünsche mir aber, dass sich alle Bürger an die Regeln halten, damit wir das gemeinsam schneller hinter uns bringen. Nicht überall in Jordanien ist das Bewusstsein dafür da, dass es wichtig ist, zu Hause zu bleiben. Mein Land hat nicht die Kapazitäten, um viele kranke Menschen zu versorgen. Daher setzen sie hier auf Prävention und das ist gut."

Sanaa (möchte ihren Nachnamen nicht nennen), Idlib/Syrien, 43 Jahre, NGO-Mitarbeiterin

"Wir leben seit 2011 im Krieg. Es fehlt an allem, an Wasser, Arbeit – viele leben in Zelten. Mein Mann, mein Sohn und ich leben in einer kleinen Wohnung, aber alles ist teuer. Wir müssen regelmäßig den Wassertank auffüllen, sonst ist auch das Händewaschen nicht möglich.

Sanaa aus Idlib/Syrien; Foto: privat
Sanaa, NGO-Mitarbeiterin aus Idlib: ""Wir leben seit 2011 im Krieg. Es fehlt an allem, an Wasser, Arbeit – viele leben in Zelten."

Zwar dürfen wir uns nicht auf Plätzen versammeln, aber hier leben sowieso alle von der Hand in den Mund. Die Menschen müssen rausgehen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Die Menschen bemühen sich, soweit es geht, sich die Hände zu desinfizieren, wenn sie einkaufen gehen oder Gebäude betreten. Aber wir haben weder ausreichend Masken, noch Handschuhe noch Desinfektionsmittel. Außerdem fehlt es am nötigen Geld: Im Zweifel entscheiden sich die Menschen für Nahrungsmittel, nicht für Desinfektionsmittel. Ich habe Sorge, dass das Virus sich hier ausbreitet und die Welt uns damit im Stich lässt."

Selma Mahfoudh, Tunis/ Tunesien, 38 Jahre, Übersetzerin:

"Ich mache mir besonders Sorgen um meine Mutter, die in einer Gegend mit schlechter medizinischer Versorgung lebt, aber auch um meine vierjährigen Zwillinge. Die Wirtschaft Tunesiens war schon vor COVID-19 schlecht dran. Diejenigen, die vorher schon in ärmlichen Verhältnissen gelebt haben, werden nach der Pandemie noch schlechter gestellt sein.

Selma Mahfoudh, Tunis; Foto: privat
Selma Mahfoudh, Übersetzerin aus Tunis: "Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr lange mit der Ausgangsbeschränkung leben müssen. Die Sonne fehlt mir und auch die Gesellschaft von Familie und Freunden fehlt mir sehr."

Ich arbeite zum Glück schon länger im Homeoffice- diesbezüglich hat sich nicht viel für mich geändert. Aber ich vermisse den Kindergarten für meine Mädchen. Es ist nicht einfach, nicht mit ihnen rausgehen zu dürfen. Mein Mann und ich meistern das gemeinsam. Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr lange mit der Ausgangsbeschränkung leben müssen. Die Sonne fehlt mir und auch die Gesellschaft von Familie und Freunden fehlt mir sehr."

Ghina Mansour, Batroun / Libanon, 25 Jahre, NGO-Mitarbeiterin

"Die Situation ist mental belastend. Das ganze Leben spielt sich im Internet ab und die meisten Medien kennen kein anderes Thema mehr als Corona. Man bekommt keine Auszeit und der Fokus liegt fast ausschließlich auf negativen Themen.

Ghina Mansour aus Batroun, Libanon; Foto: privat
Ghina Mansour, NGO-Mitarbeiterin aus Batroun: "Wenn ich sehe, dass Menschen in manchen Gegenden im Libanon die Ausgangsbeschränkung nicht ernst nehmen, dann bereitet mir dies Sorge. Dadurch werden wir noch länger in diesem Zustand leben müssen."

Wenn ich sehe, dass Menschen in manchen Gegenden im Libanon die Ausgangsbeschränkung nicht ernst nehmen, dann bereitet mir dies zusätzliche Sorge. Dadurch werden wir noch länger in diesem Zustand leben müssen. Ich bin bei einer Menschenrechtsorganisation tätig und bekomme viel Leid mit. Unsere Regierung hat die Maßnahmen ergriffen, die auch andere Länder ergriffen haben – mit dem Unterschied, dass der Libanon von einer Krise in die nächste rutscht und wir schon vor Corona vor einem Staatsbankrott standen. Wirtschaftliche Hilfen für Menschen in Not sind hier kaum möglich."

Die Interviews führte Diana Hodali.

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