Ein Dinosaurier, der fehlen wird

Der Mann, der unseren Autor auf der Straße mit Zeitungen versorgt hat, ist mit nicht einmal 50 Jahren an der Seuche gestorben. Hassouna war eine Legende unter Kairos Zeitungsverkäufern. Von Khaled el-Khamissi

Von Khaled al-Khamissi

Hassouna ist tot, ist mit noch nicht einmal fünfzig Jahren gestorben, nachdem er sich mit dem Corona-Virus infiziert hatte. Er ist für immer fort und hat eine Leere hinterlassen, von der ich nicht glaube, dass sie jemals wieder ausgefüllt werden wird. Sonderbar ist, dass er beim letzten Mal, da ich ihn traf, zu mir sagte: "Nackt bin ich auf diese Welt gekommen und nackt werd ich sie wieder verlassen." Worauf ich scherzhaft zu ihm meinte, ich hoffte doch, er würde sich auf seiner Reise vom Diesseits ins Jenseits etwas überziehen.

Jetzt aber begreife ich, dass er die Liebe vieler trug, nachdem er sein Herz so lange mit Sympathie für alle Menschen bekleidet hatte, unabhängig von ihrer jeweiligen Ausrichtung. Hassouna war Zeitungsverkäufer im Kairoer Stadtteil Mounira, einer mit einer Farsha, einer Matte. Die Farsha ist ein Holzbrett oder ein Stück Kartonpappe, das auf dem Gehweg liegt und auf dem der Verkäufer seine Zeitungen und Illustrierten feilbietet, manchmal auch einige Bücher. Die Farsha ist kein Kiosk und kein Ladenlokal, sondern bloß eine winzige Fläche auf dem Bürgersteig, in der Regel kaum zwei Meter breit, aber voller Ideen und Gedanken von Journalisten und Schriftstellern, wie ein loderndes Feuer, um das die Schlangen züngeln.

Ein Dasein, wie Hassouna es den ganzen Tag auf dem Bürgersteig führte, erfordert große Beschlagenheit in allen Dingen des Lebens. Denn der Bürgersteig ist nicht weniger ein lebenswichtiger Raum für die Mächtigen, für Polizisten, Polizeispitzel und städtische Kontrolleure, für die Elenden, Händler, Schuhputzer und selbsternannte Aufpasser, die von jedem Wagen, der parken möchte, eine Gebühr einfordern.

Aufgabe der Ordnungshüter ist zu kontrollieren, was sich auf jedem Meter Bürgersteig in Ägypten abspielt. Ihre allervornehmste Aufgabe besteht darin, die anwesenden Elenden zur Kasse zu bitten, da anderenfalls deren Verbannung vom Bürgersteig droht. Ein altbekanntes Spielchen, das in etwa so geht: Du bist hier und kannst hier bleiben, bekommst aber keine Genehmigung, die es dir erlaubt, hier legal deinem Broterwerb nachzugehen. Weshalb die Klinge immer über deinem Hals schwebt. Du bist hier, aber dein Verbleib ist nur einer generösen Geste geschuldet und kann sich jederzeit ändern.

Dieses Bild, das am 24. Mai 2020 aufgenommen wurde, zeigt einen Blick auf das historische Kinotheater Metro entlang der Straße Talaat Harb in der fast menschenleeren Innenstadt der ägyptischen Hauptstadt Kairo am ersten Tag von Eid al-Fitr, dem muslimischen Feiertag, der mit dem Ende des heiligen Fastenmonats Ramadan beginnt. -Ägypten hatte zuvor eine Verlängerung der nächtlichen Ausgangssperre und andere Maßnahmen angekündigt, um große Versammlungen während der Eid-al-Fitr-Feiertage zu verhindern.  (Foto: SAMER ABDALLAH/AFP über Getty Images)  Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)
Die Straßen in Kairo fast menschenleer: Ägypten hatte zuvor eine Verlängerung der nächtlichen Ausgangssperre verhängt, um große Versammlungen während der Eid-al-Fitr-Feiertage zu verhindern. Im bevölkerungsreichsten Land in Nordafrika haben sich nach offiziellen Angaben mehr als 32 600 Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert.

So war es nur natürlich, dass jeden Tag eine Vielzahl von Journalisten und Autoren bei Hassouna vorbeischauten

Jeder hat sein Revier, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und sollte dieses tunlichst nicht überschreiten. Oft aber bedingt erst der eine die Präsenz des anderen. Da Hassouna über einen großen Kundenstamm verfügte, fand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Farsha immer ein Schuhputzer, der dort seine Dienste anbot. Um der Härte des Lebens auf dem Bürgersteig zu trotzen, musste Hassouna eine Unzahl empfindlicher Gleichgewichte zwischen den auf der Straße herrschenden Machtverhältnissen herstellen. Er musste die scharfe Klinge von seinem Hals fernhalten, musste seinen Lebensunterhalt verdienen und alle Seiten zufrieden stellen, ohne eine von ihnen zu verraten. Er durfte sich nicht dazu hergeben, bloß ein weiterer Polizeispitzel zu sein, musste Bücher finden, die sich gut verkauften, durfte seinen Durst nach Wissen nie gestillt wähnen und musste beflissen die Publikationen seiner Freunde verfolgen. Seltsam, dass er all dies vermochte.

Hassouna war ein freundlicher Mann von dunklem Teint, der einen kleinen Kugelbauch vor sich her schob und ein großes, kreisrundes Gesicht hatte, oben auf dem Kopf eine kleine Glatze trug und diese durch einen mächtigen, schwarzen Schnurrbart vergessen machte. Wäre ich davon überzeugt, es gäbe so etwas wie einen Phänotyp, der eine Nationalität von anderen unterscheidet (eine Idee, die ich entschieden ablehne), dann war Hassouna der Idealtypus des ursprünglichen Ägypters.

Ich weiß nicht mehr, wann ich ihm das erste Mal begegnet bin. Ganz sicher jedoch noch vor 2011. Ich glaube, er hatte den Platz von seinem Vater geerbt, oder von einem anderen Mitglied seiner Familie. Doch diese Farsha soll, wie ich gehört habe, seit vielen Jahrzehnten immer an ein und derselben Stelle gelegen haben, einem strategisch günstigen Standort, umgeben von mehreren der wichtigsten journalistischen Einrichtungen Ägyptens, wie dem Verlagshaus der staatlichen Kunstzeitschrift al-Hilal, dem Sitz der altehrwürdigen politischen Wochenzeitschrift Rose al-Yusuf und anderen publizistische Institutionen, die seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts tätig sind.

So war es nur natürlich, dass jeden Tag eine Vielzahl von Journalisten und Autoren bei Hassouna vorbeischauten. Denn der Zeitungsverkäufer war immer präsent, war Teil des Bürgersteigs, ein festes Denkmal, das sich nie wegbewegte.

Trotz ihrer Zahl kannte er jeden seiner Kunden mit Namen, so wie seine Kunden wussten, dass sie mit einiger Wahrscheinlich bei ihm den einen oder anderen Journalisten treffen würden. So wurde Hassouna vom Zeitungsverkäufer zum Treffpunkt und Gesprächsort. Und seine Farsha verwandelte sich von einem Punkt auf dem Bürgersteig zu einem Seminarraum.

Hassouna verfügte über eine erstaunliche angeborene Intelligenz. Er kannte das literarische Naturell jedes Schriftstellers und seine intellektuellen Neigungen. Für jeden suchte er das passende Buch aus, und wenn man kam, holte er ein unter einem Packen schmutziger, alter Papiere verstecktes Packet hervor, öffnete den Umschlag, reichte einem das Buch mit einem Lächeln, das sein Gesicht aufleuchten ließ, und sagte: "Dieses Buch wird Sie interessieren, deshalb habe ich es besorgt." Nur selten lag er falsch mit seiner Empfehlung.

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Das Verhängnis des verfluchten Virus, das er sich wohl von einem Nachbarn eingefangen hatte, trat die schöne Flamme dieses Mannes aus

Ich erinnere mich an ihn während der Zeiten der großen Massenbewegung ab dem Jahr 2011, da seine Farsha nicht weit vom Sitz der Volksversammlung und dem Tahrir-Platz entfernt lag. Inmitten der großen Ereignisse war er die Gegenwart, inmitten der schnelllebigen Presseberichte die Konstante. Es war die wichtigste Zeit seiner großen Brillanz. Danach brachen die Zeitungsverkäufe ein. Hatte er zuvor mehr als zweihundert Zeitungen am Tag verkauft, waren es jetzt keine fünfzig mehr. Also musste er einen Ersatz finden.

Er spezialisierte sich darauf, Bücher zu verkaufen. Bemerkenswert war nur, dass er sich immer weigerte, Raubdrucke zu verkaufen. Wohl wissend, dass die allermeisten Straßenhändler in Ägypten ausschließlich solche Kopien verkaufen und, da sie dafür den Preis des Originals verlangen, so hübsche Gewinnspannen erzielen. Wichtiger war, dass Hassouna in jenen Jahren der Mann wurde, zu dem etliche Autoren wallfahrten, um seine Hilfe bei der Suche nach einem attraktiven Titel für ihre Bücher zu erbitten. Ja, Hassouna war ein unentgeltlicher Marketingberater geworden.

Mehr als einmal hat Hassouna versucht, an die Lizenz für einen Kiosk zu kommen, doch ohne Erfolg. Hat versucht, die Zeitungsverkäufe zu steigern, indem er jeden Tag die besten Presseerzeugnisse studierte und sie bevorzugt platzierte, um die Aufmerksamkeit der Käuferschaft zu wecken. Doch die Umsätze gingen kontinuierlich zurück. Jemand sagte ihm, er bekäme jeden Tag sämtliche Zeitungen als Newsletter auf WhatsApp geschickt, warum also etwas kaufen, was ihm kostenlos zur Verfügung stehe?

Und so hat er wohl erkannt, dass er in einem vom Aussterben bedrohten Gewerbe tätig ist. Und dass er irgendwann, genauso wie die Hersteller von Fezen, in Ägypten Tarbusch genannt, oder jene Bügler, die einst mit den Füßen ihre Arbeit versahen, verschwunden sein würde. Aber mir sagte er, dass er seinen Beruf niemals aufgeben könnte, da seine einzige Leidenschaft die Lektüre und der Verkauf von Zeitungen sei.

Das Verhängnis des verfluchten Virus, das er sich wohl von einem Nachbarn eingefangen hatte, trat die schöne Flamme dieses Mannes aus. Hassouna ist gestorben, doch sein Lächeln ist es nicht.

Andere werden auch weiterhin versuchen, Zeitungen zu verkaufen, und sich dabei fragen, ob diese Druckerzeugnisse, die unser Bewusstsein geprägt haben, verurteilt sind, zu Dinosauriern des modernen Zeitalters zu werden. Oder ob sie die Anlagen und Eigenschaften haben, zu siegen und zu überdauern.

Khaled al-Khamissi

© Süddeutsche Zeitung 2020

Aus dem Arabischen von Markus Lemke

Khaled al-Khamissi, geboren 1962 in Kairo, studierte Politikwissenschaften an der Universität Kairo und der Sorbonne. Er arbeitet als Journalist für ägyptische Zeitungen. Für verschiedene Spiel- und Dokumentarfilme war er als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor tätig.