Der Sommerboom des Virus

Die Hitze soll das Corona-Virus töten, hieß es am Anfang der Pandemie. Dem ist aber nicht so. Die Infektionszahlen steigen auch in den heißen Regionen der Welt derzeit stark an. Aus Bagdad informiert Birgit Svensson.

Von Birgit Svensson

Alle warteten auf die Hitze. Mit der Hitze ersticke das Virus, hieß es in den ersten Monaten, als Corona die Welt eroberte. Der Erreger breite sich vor allem in der Kälte aus, einem Grippevirus gleich. Im Sommer werde alles besser, so die gängige Meinung im Februar und März.

Auch der deutsche Virologe Alexander Kekulé meinte, dass die warme Jahreszeit die Zahl der Corona-Infizierten sinken lässt. Andere waren skeptischer und sagten nur, man habe ja noch keine „belastbaren Erkenntnisse“.

Es war eine wunderbare Vorstellung: Während der kühleren und somit infektiöseren Jahreszeit waren wir alle vernünftig; jetzt im Sommer, wenn wir die verdienten Lockerungen wieder ohne schlechtes Gewissen genießen, tut Mutter Natur ihr Übriges – und das Coronavirus ist so gut wie verschwunden. Die Gewissheit verbreitete sich, dass es vor allem in den heißen Gegenden dieser Erde gar nicht so schlimm werde mit der Krankheit.

Vor allem im Nahen Osten witzelten die Menschen, dass man sich im Sommer nur auf die Straße in die Sonne zu stellen brauche, den Mund aufmachen müsse, dann werde Covid-19 getötet. Bei Temperaturen von 50 Grad im Schatten und darüber sei das eine sichere Sache. Experten rieten, den Mundschutz mit 60 Grad zu waschen, um das Virus in der Maske zu töten. Viel Hoffnung für die Wüstenländer also, die locker diese hohen Temperaturen in der Sonne erreichen.

Corona-Zahlen am Nil sind mit Vorsicht zu genießen

Doch weit gefehlt. Gerade jetzt schnellen die Infektionszahlen auch in den heißen Ländern nach oben. Iran verzeichnet gerade eine zweite Welle, die nicht weniger dramatisch ist als die erste. Auch Afrika wird derzeit von Corona heimgesucht. Ägyptens Gesundheitsministerium weist allerdings nur zwischen 200 und 300 Neuinfektionen täglich aus, zählt ganze 5197 Tote (Stand 20.8.) bis jetzt.

Irak Coronavirus; Foto: picture-alliance/AP Photo/H. Mizban
Leere Straßen in Bagdad. Obwohl sich der Irak seit Mitte März im Dauerlockdown befindet und teilweise strikte Ausgangssperren verhängt wurden, gehen die Zahlen dramatisch nach oben, schreibt Birgit Svensson. Bei 51 Grad im Schatten Höchsttemperatur, die Anfang August in Bagdad gemessen wurden, laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Die Ansteckungsgefahr nehme zu, je mehr sich die Menschen in geschlossenen Räumen aufhalten, geben Mediziner als Grund für die steigenden Infektionszahlen an.

Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Wer sie in Frage stellt, riskiert Gefängnisstrafen wegen Falschmeldungen. Das Nilland tut derzeit alles, um Touristen zurückzugewinnen, die für das Land lebensnotwendig und für den Arbeitsmarkt überlebenswichtig sind. Der ägyptische Ärzteverband indes hält nicht mit tatsächlichen Zahlen hinterm Berg. Allerdings konzentriert sich die Information allein auf den medizinischen Sektor. Man ist vorsichtig.

Präsident Abdel Fattah al-Sisis eiserne Hand ist gnadenlos und macht auch vor Ärzten nicht halt. Ibrahim al-Zayat, Vorstandsvorsitzender des Ärzteverbandes, spricht von 152 Ärzten, die durch Covid-19 in Ägypten gestorben sind und über 3.000 infizierten Medizinern. Das seien sieben Prozent des gesamten medizinischen Personals, klagt er.

 

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Klimaanlagen tragen zur Verbreitung des Virus bei

Der Irak, wo es im Sommer um durchschnittlich zehn Grad heißer wird als in Ägypten, verbucht seit Anfang Juli über 2.000 Neuinfektionen täglich. Obwohl sich das Land zwischen Euphrat und Tigris seit Mitte März im Dauerlockdown befindet und teilweise strikte Ausgangssperren verhängt wurden, gehen die Zahlen dramatisch nach oben.

Dort ist das Gegenteil von dem zu beobachten, was vermutet wurde. Gerade der Sommer bringt einen Corona-Boom. Bei 51 Grad Höchsttemperatur im Schatten, die Anfang August in Bagdad gemessen wurden, laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Die Ansteckungsgefahr nehme zu, je mehr sich die Menschen in geschlossenen Räumen aufhalten, geben Mediziner als Grund für die steigenden Infektionszahlen an.

Am 19. August wurde die Zahl von 3.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden zum ersten Mal überschritten. Das Gesundheitsministerium in Bagdad sprach von einem Rekord in Sachen Corona. Damit habe der Irak den Nachbarn Iran überholt, von wo das Virus ursprünglich übertragen wurde. Als die Infektionsketten noch nachvollziehbar waren, schleppten Iraker das Virus aus dem Iran ein, wenn sie dort zu Besuch oder zur medizinischen Behandlung waren.

Allerdings entsprechen die Zahlen aus dem Iran wohl nicht der Wahrheit. Das Coronavirus wütet dort offenbar viel schlimmer als offiziell zugegeben. Der britischen BBC zufolge zeigten iranische Regierungsunterlagen, dass bis Ende Juli rund 42.000 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19 starben, mehr als doppelt so viele wie amtlich angegeben. Auch Amnesty International und die iranische Exilopposition schlagen Alarm. Die Enthüllungen untermauern den Vorwurf, dass die iranischen Behörden die Öffentlichkeit in dem am schwersten betroffenen Land des Nahen Ostens seit Monaten bewusst in die Irre führen.

 

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Nur eingeschränkte Hadsch in Saudi-Arabien

Inzwischen ist auch das Mutterland des Islam, Saudi-Arabien, zu einem Corona-Hotspot geworden. Mit 3.548 Toten (Stand 17. August) liegt die Zahl zwar weit hinter Irak mit über 6.000 an Corona Verstorbenen und einer vergleichbaren Bevölkerungszahl.

Doch die massenhaften Touristenströme zu den islamischen Pilgerstätten bergen ein enormes Ansteckungsrisiko. Deshalb wurde die große Pilgerfahrt Hadsch nach Mekka in diesem Jahr so gut wie abgesagt, das anschließende Opferfest war daher für viele Muslime wie Schall und Rauch. Wie sollen wir feiern können, wenn wir keine Bilder von Pilgern sehen, die die Kaaba in Mekka umrunden? In den letzten Jahren hatte jede Familie in der muslimischen Welt irgendein Mitglied, das den Hadsch unternahm. Dadurch war man nah dran an einer der wichtigsten Säulen des Islam, die vorschreibt, dass jeder gläubige Moslem einmal in seinem Leben nach Mekka pilgern muss. Die Heimkehrer aus Saudi-Arabien wurden gefeiert, erzählten stundenlange Geschichten und wurden danach Hadschi, männlich, oder Hadschija, weiblich, genannt. Das war in diesem Jahr nicht möglich. Corona nahm dem Opferfest den Geist und legte nahe, dass das Virus eben nicht im Sommer stirbt.

Das haben nun auch Wissenschaftler erkannt und eine Studie zum Thema erstellt. Ein Team um die Umweltwissenschaftlerin Rachel Baker von der Princeton Universität im US-Bundesstaat New Jersey veröffentlichte kürzlich ihren Bericht im Fachmagazin „Science“. Demnach sei der Einfluss der klimatischen Bedingungen auf den neuartigen Erreger gering. Zwar beeinflusse eine höhere Luftfeuchtigkeit die Ausbreitung anderer Coronaviren und der Grippe, im Fall des neuen Erregers SARS-CoV-2 sei aber das Fehlen einer „weitverbreiteten Immunität“ entscheidend, schreiben die Forscher.

Auch das Pandemie-Geschehen in warmen Ländern liefere Hinweise für diese These. „Es scheint, dass das Klima die Verbreitung des Virus derzeit nicht reguliert“, erklärt Baker. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass das Wetter erst dann zu einem entscheidenden Faktor wird, wenn große Teile der Bevölkerung immun gegen den Erreger sind und das neuartige Coronavirus zu einer saisonalen Erkrankung werde. Dies sei auch bei der durch andere Coronaviren ausgelösten Erkältung zu beobachten, die vor allem im Winter außerhalb der Tropen auftrete, heißt es in der Studie.

Bis allerdings die angesprochene Immunitätsrate erreicht ist, werden noch viele Wochen vergehen. Auf die Hitze braucht jedenfalls niemand mehr zu warten.

Birgit Svensson

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